Philipp Fritz

Journalist, Warschau, Berlin

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Artikel

Was hinter Polens Reparationsforderungen steckt

Polens Präsident Andrzej Duda sieht die Reparationszahlungen Deutschlands an Polen noch nicht als „erledigtes Thema“ an. Er stützt sich auf ein Gutachten vom ehemaligen Präsidenten Kaczynski | Quelle: WELT / Laura Fritsch

Heikler Zeitpunkt Was hinter den polnischen Reparationsforderungen steckt

Polen erwartet weiterhin Reparationszahlungen von Deutschland - das betonen Politiker des Landes immer wieder. Nun reiht sich sich Staatspräsident Andrzej Duda ein. Der Zeitpunkt ist heikel.

Wenige Tage vor den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen meldet sich Präsident Andrzej Duda zu Wort: Er erwarte weiterhin deutsche Reparationszahlungen für die von Deutschen verursachten Schäden während des Zweiten Weltkriegs. Gegenüber „Bild am Sonntag" sagte er, diese seien nie ausgeglichen worden. „Nach meiner Auffassung sind die Reparationszahlungen kein erledigtes Thema", so Duda weiter.

Er verwies auf ein Gutachten des früheren Präsidenten Lech Kaczynski, in dem zu einem großen Teil die Schäden in Warschau behandelt werden. Im Zuge des Warschauer Aufstandes und dessen Niederschlagung ermordeten die Deutschen mehr als 200.000 Zivilisten und zerstörten die polnische Hauptstadt beinahe vollständig.

Dass polnische Offizielle immer wieder Reparationen für im Zweiten Weltkrieg von Deutschen verursachte Schäden fordern, ist nichts Neues. Seit dem Sieg der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) bei den Parlamentswahlen 2015 jedoch ist das Thema zu besonderer Prominenz gelangt. Kaum ein Monat, in dem es in der polnischen Presse nicht diskutiert wird, oft angestoßen oder weitergedreht von Ministern oder Parlamentsabgeordneten. Der mächtige Parteichef Jaroslaw Kaczynski etwa pochte bereits auf Reparationen, Außenminister Jacek Czaputowicz spricht die Angelegenheit regelmäßig an.

Offizielle Forderungen Warschaus gibt es bisher jedoch nicht. Inoffizielle Berechnungen belaufen sich auf mehrere Hundert Milliarden Euro. Beim Besuch Dudas Anfang vergangener Woche in Berlin sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zu dem Thema lediglich, die deutsche Rechtsposition sei klar. Nach Auffassung Deutschlands gibt es keine rechtliche Grundlage für die Reparationsforderungen Polens, weil die Angelegenheit in einem Abkommen von 1953 geregelt worden sei. Die polnischen Behörden halten die Entscheidung aus den 50er-Jahren für ungültig.

Mit der Forderung nach Reparationen zielt die PiS auf ihr Wählermilieu. Es ist auch ein Versuch, Gruppen, die noch weiter rechts stehen, an sich zu binden. Denn die Wähler des Bündnisses der Oppositionsparteien PO (Bürgerplattform) und Nowoczesna (Moderne) dürfte Duda kurz vor dem zweiten Wahlgang der polnischen Kommunalwahlen am 4. November so kaum überzeugen. Denen sind Themen, die unmittelbar ihren Wahlkreis betreffen, wichtiger oder sie wählen aus einer strikten Ablehnung der PiS gegenüber einen Kandidaten der Opposition.

Merkel reist nach Warschau

Dem Präsidenten geht es vielmehr darum, das Thema Reparationen über die Europäischen Parlamentswahlen im Mai 2019 bis zu den polnischen Parlamentswahlen im Herbst nächsten Jahres weiter in der öffentlichen Wahrnehmung zu halten.

Bemerkenswert ist der Zeitpunkt seiner Aussagen dennoch. In wenigen Tagen nämlich, am 2. November, reist Angela Merkel mit mehreren Kabinettsmitgliedern zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Warschau. Dudas Bekräftigung des polnischen Anspruchs ist ein Indikator für die derzeit schlechten deutsch-polnischen Beziehungen. Neben der Reparationsfrage liegen die deutsche und die polnische Regierung auf etlichen Feldern so weit auseinander wie lange nicht: Flüchtlinge, Nord Stream 2, Rechtsstaatlichkeit in Polen, europäische Integration. Die Liste ist lang.

Duda galt einstweilen als jemand, der dem gemäßigten Flügel der PiS zuneigt und der dialogbereit ist. Auch wegen seines guten Verhältnisses zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Doch das hatte zuletzt empfindlich gelitten. Während eines Auftritts im Rahmen des Deutsch-Polnischen Forums in der vergangenen Woche in Berlin polterte Duda gegen die EU und trat mit irritierenden Aussagen zur Medienberichterstattung in Polen auf.

Gerade hatte der Europäische Gerichtshof Polen die Zwangspensionierung von Richtern am Obersten Gerichtshof für nicht zulässig erklärt. Auf Nachfrage eines deutschen Journalisten vom „Tagesspiegel", warum er im polnischen Staatsradio dazu nichts gehört habe, antwortete Duda patzig und gereizt. Er hätte auch darauf verweisen können, dass in Polen vor den Wahlen über Parteien nur eingeschränkt berichtet werden dürfe. Steinmeier, mit dem er sich ein Podium teilte, wirkte sichtlich genervt von den Einlassungen seines Amtskollegen.

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