Das sind die Stichworte zu Bernard Maris: Ökonom, Publizist, Hochschullehrer, Politiker, Mitglied des Aufsichtsrats der Banque de France, Linker, Kapitalismuskritiker - und tot. Der Franzose wurde am 7. Januar 2015 beim Terroranschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris ermordet. Es bleiben seine Schriften, so das posthum erschienene Buch "Michel Houellebecq, Ökonom". Zwischen ihm und dem Schriftsteller Michel Houellebecq bestand eine direkte Beziehung, sie kannten sich, waren vielleicht sogar Freunde.
Houellebecqs Szenario erscheint nahAm Tag des islamistischen Anschlags zeigte Charlie Hebdo eine Karikatur von Houellebecq; gerade war der neueste Roman des Autors erschienen, "Soumission", der deutsche Titel ist "Unterwerfung". Erzählt wird eine Geschichte in Frankreich im Jahr 2022, ein muslimischer Politiker wird Präsident und rüttelt an den Grundfesten der Republik. Viele Franzosen arrangieren sich schnell mit Scharia und Polygamie. Eine Dystopie? In "Unterwerfung" erscheint dieses Szenario erschütternd nah und realistisch.
Bernard Maris konnte das nicht mehr ökonomisch interpretieren - für den Rest des Universums des Mannes, dem regelmäßig reaktionäres Denken bis hin zu Antiislamismus vorgeworfen wird, ist ihm dies jedoch gelungen. In dem Essay "Michel Houellebecq, Ökonom" erklärt Maris die Kapitalismuskritik, die seiner Meinung nach in Romanen wie "Karte und Gebiet" oder "Elementarteilchen" steckt. Das Buch beginnt mit einem Zitat aus "Plattform", Houellebecqs drittem Roman: "Ich habe noch nie etwas von Wirtschaft verstanden." Damit wird bereits viel vorweggenommen.
Kritik an der einzigen WahrheitHouellebecqs Figuren sind Einzelgänger, ohne Selbstbewusstsein und voller Verachtung für oder Gleichgültigkeit gegenüber ihren Mitmenschen. Dieser "westliche" Mensch ist ein Produkt der liberalen Moderne, Michel Houellebecq kritisiert damit laut Maris Individualismus, Humanismus, Aufklärung und stellt damit infrage, was für viele die einzige Wahrheit oder auf "Merkel-Deutsch": alternativlos ist.
Auf den ersten Blick steckt hier noch keine Wirtschaftswissenschaft drin. Maris aber interpretiert das Tragische der Figuren von Houellebecq als Ausfaserungen des kapitalistischen Systems - und er tut dies klug, in bester marxistischer Manier: Zum Beispiel wendet er das Gesetz von Angebot und Nachfrage auf den Roman "Karte und Gebiet" an und interpretiert die Gedanken des Protagonisten Jed Martin so, dass er zwar seinen Marktwert kenne, aber nicht wisse, was er wirklich wert sei.
Eine ScheinwissenschaftDarüber hinaus liefert Maris eingangs kritische Ausführungen zur Zunft der Ökonomen. Selbstkritisch wirft er ihnen und somit sich selbst vor, Scharlatane zu sein und eine Scheinwissenschaft zu betreiben. Diese Direktheit beeindruckt, bleibt jedoch, wie die Interpretationen der Figuren in Houellebecqs Romanen, zu oft an der Oberfläche.
Bernard Maris schweift dann ab, denkt Gedanken des Romanciers weiter und versucht dabei, so zu klingen wie er, was ihm nicht immer gelingt. Alles in allem aber ist "Michel Houellebecq, Ökonom" gelungen; nicht nur für diejenigen, die die Romane gelesen haben, ist das Büchlein eine interessante Lektüre. Es behandelt im Kern die Probleme westlicher Zivilisation.