"Mörder." "Vergewaltiger." "Neger." "Zum Kotzen!"
Anfang Februar brennen sich Worte wie diese in mein Gedächtnis. Es sind Facebook-Kommentare. Kommentare über mich.
Der Auslöser der Hetze? Eine Werbung, die meine Freundin Regina und mich zeigt, dazu ein Ultraschallbild und einen flotten Spruch: "Auf einmal steht das Leben Kopf!" Mehr ist auf den Werbeplakaten der Krankenkasse DAK nicht zu sehen, und doch bieten sie genug Anlass für einen rechten Shitstorm. Weil ich nicht weiß bin wie Regina, sondern dunkelhäutig.
"Das ist nicht mehr mein Heimatland!"
Ich bin in Deutschland geboren und als jüngster Sohn einer deutsch-beninischen Familie aufgewachsen. Von Zeit zu Zeit habe ich fremdenfeindliche Erfahrungen machen müssen. Doch mit den Ereignissen rund um das Werbeplakat ist Rassismus in einer neuen Dimension in mein Leben getreten. In Hunderten von Posts und Kommentaren echauffierten sich Menschen über mich, bezeichnen mich als "Afro-Moslem-Flüchtling" und Regina als "muslimische Hure".
Natürlich schmerzte diese Erfahrung, doch zugleich hat sie einen persönlichen Wunsch geschürt: solchen Hass zu verstehen.
"Freut sich der Kollege etwa über seinen deutschen Pass?"
Begonnen hatte alles vor rund einem Jahr mit reichlich guter Laune: lachen am Schreibtisch, lachen auf der Couch, lachen am Fenster. Regina und ich strahlen für einen Fotografen und dessen Datenbank um die Wette - ohne zu ahnen, was folgt: Einige Monate später kauft die DAK eines der Bilder für eine bundesweite Kampagne.
"Wir fanden das Motiv einfach passend", sagt Andreas Reimann. Er ist Geschäftsführer der Hamburger Werbeagentur BBS, gemeinsam mit seinem Team gestaltet er die Werbung der DAK.
In unserem Plakat sieht Reimann ein Abbild deutscher Gesellschaft. "Deutschland ist nun einmal vielfältig und das ist auch gut so." Gerade deshalb hätten ihn die Reaktionen auf das Foto "total überrascht".
Reimanns Meinung teilt nicht jeder.
"Überall jetzt Kanaken-Werbung."
Der AfD-Kreisverband Nordwestmecklenburg veröffentlicht am 5. Februar einen Facebook-Post: Es geht um "Asylchaos", die "Flutung unseres Landes mit Migranten", um "triumphierende" Krankenkassen und "deutsche Bürger", welche die Beiträge der meisten Migranten zahlen müssten. Unter den Worten prangt unser Plakat, in den Kommentaren häufen sich rassistische und fremdenfeindliche Parolen.
Ich kontaktiere die Moderatoren der AfD-Seite, die mehr als 37.000 Menschen gefällt. Ich möchte wissen, warum sie die fremdenfeindlichen Beiträge - selbst nach explizitem Hinweis durch einen Bekannten von mir - nicht gelöscht haben.
Zwei Stunden später erhalte ich eine Antwort: kein Wort des Bedauerns, die Moderation der Kommentare sei aufgrund knapper personeller Ressourcen "vernachlässigt" worden. Mit einem zusätzlichen Moderator wolle man Abhilfe schaffen.
Ich sehe mir die Seite genauer an. Sie wird aktiv betrieben, täglich werden mehrere Beiträge veröffentlicht und geteilt. Wer die Administratoren kontaktiert, erhält laut Facebook "innerhalb weniger Minuten" eine Antwort. Grundsätzlich scheint also Zeit vorhanden zu sein - für die Dinge, die Priorität genießen.
Zudem durchforste ich sämtliche Seiten-Kommentare der vorherigen zwei Tage, mehrere Hundert. Ich melde offensichtlich rassistische oder beleidigende Inhalte - mehrere Dutzend - direkt bei Facebook. Den Administratoren teile ich mit, wie lange meine Suche gedauert hat: weniger als 15 Minuten pro Tag. Eine Viertelstunde täglich gegen Hass und Hetze - machbar, oder?
Auf eine Rückmeldung warte ich seit Anfang Februar. Stattdessen stelle ich wenig später fest, dass die AfD-Moderatoren sehr wohl ein wachsames Auge auf die Kommentare haben - nur eben nicht auf die rassistischen.
" Dem Drecksgesindel wird alles in den Arsch geschoben."
Es herrscht Einigkeit bei Beiträgen wie dem des AfD-Verbands: Merkel zerstöre Deutschland, Flüchtlinge seien kriminelle Schmarotzer, der deutsche Bürger werde betrogen, und ein Werbeplakat habe gefälligst "Einheimische" zu zeigen. Zu spüren ist kollektive Empörung, Gegenmeinungen finden sich keine.
Dieser Zustand ändert sich erst, als die Geschichte des Plakats medial verbreitet wird - mein Facebook-Post zum Thema wird vielfach geteilt, mehrere Regionalzeitungen berichten.
Einige Menschen, aus meinem Bekanntenkreis und darüber hinaus, ergreifen Partei - auch auf der Facebook-Seite des AfD-Verbands. Die meisten Kommentare schreibt ein Mann, der mich nicht kennt: Holger Kregeloh.
Kregeloh ist Erzieher. Er betreut Heranwachsende, versucht, ihnen Werte und Normen zu vermitteln. Seine Freizeit verbringt er nicht selten damit, diese Werte online zu verteidigen: "Ist zwar wie ein Kampf gegen Windmühlen", sagt Kregeloh, "aber vielleicht erreicht man ja doch den einen oder anderen."
Allzu viel Zeit, Menschen zu erreichen, haben Kregelohs Worte im Fall des Plakates nicht. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung sind seine Kommentare allesamt entfernt und sein Profil gesperrt - wie schon auf vielen anderen AfD-Seiten. Auch die anderen Beiträge, die Gegenmeinungen vertreten oder Regina und mich schützen, verschwinden.
"Meinen Sie, dass die beiden Deutschen auf dem Plakat nicht hart arbeiten?"
Gelöscht.
"Sie wissen gar nichts und stellen Ihr Unwissen zur Schau. Hut ab."
Gelöscht.
"Ihr beurteilt einen Menschen, über den ihr rein gar nichts wisst, nach seiner Hautfarbe. Rassismus in Reinkultur."
Gelöscht.
Weiterhin zu lesen sind dagegen Beiträge, die mein Freundeskreis und ich per Facebook-Meldung nicht aus dem Verkehr ziehen konnten:
" Igitt, dauernd die anderen Fressen zu sehen."
" Dieses Plakat ist ein Schlag ins Gesicht jedes ehrlich arbeitenden Menschen dieses Landes! Pfui Teufel!"
"Es gibt so viele blöde Menschen, die sich mit so einem einlassen, ist ja besser als gar kein Partner."
Ich begreife es nicht. Kregeloh ist kein "linker Troll". Auch bei anderen Nutzern, die mir ähnliche Erfahrungen schildern, lassen sich weder linke Hetze noch andere Gründe für eine Sperre erkennen. Ich bitte beim übergeordneten AfD-Landesverband um eine Erklärung - ohne Erfolg.
Es ist der persönliche Tiefpunkt meiner Suche. Ich hatte es schon für mehr als bedenklich gehalten, Rassismus und Respektlosigkeiten unmoderiert im eigenen Forum grassieren zu lassen. Fremdenfeindliche Hetze jedoch aktiv zu fördern, empfinde ich als rechtsextrem; als das Werk von Rassisten, die aus der eigenen Plattform eine Echokammer rechter Ressentiments machen.
"Auf einmal befinde ich mich rechts."
Je länger ich mich durchs Netz bewege, desto mehr stechen mir die weniger radikalen Beiträge ins Auge. So stoße ich beispielsweise auf den Kommentar von Anja (Name geändert). Sie werde "regelrecht paranoid", wenn sie dunkelhäutige Menschen sehe, schreibt sie. Mit einem kleinen Zusatz: "Leider".
Ich kontaktiere sie.
"Früher gehörte ich eher dem linken Spektrum an", antwortet Anja, eine Frau mittleren Alters, wohnhaft im Großraum Berlin, Angestellte im öffentlichen Dienst. Ihr liebster Arbeitskollege sei Türke, betont sie, der Schwiegersohn habe "nichtdeutsche Wurzeln". Alles kein Problem.
Schwierig wurde es für Anja "circa ein Jahr nach der Flüchtlingswelle". Seither fühle sie sich in ihrer Heimat "nicht mehr wohl und sicher". Regelmäßig werde sie von "Gruppen junger dunkelhäutiger Männer" schikaniert, müsse Platz machen auf der Straße und in Geschäften, sich als "deutsche Hure" beschimpfen lassen. Ihre 81-jährige Mutter sei von einer Gruppe junger Muslime umringt und massiv sexuell belästigt worden.
Da habe sie begonnen, sich "permanent herabgesetzt" zu fühlen, und ihr Vertrauen in die Politik verloren, ebenso wie ihre Unvoreingenommenheit gegenüber Menschen bestimmter Hautfarbe, Religion oder Herkunft. "Auf einmal befinde ich mich rechts."
Es braucht nicht mehr viel, um Hass zu triggern
Je mehr Anja erzählt, desto rauer wird ihr Ton. Am Ende nennt sie Angela Merkel nur noch die "Raute des Grauens", Migranten bezeichnet Anja jetzt als "Invasoren", während sie selbst Teil der "kochenden Volksseele" sei. Es ist, als habe sie im Kleinen, in wenigen Worten noch mal den Wandel vollzogen, den sie in den vergangenen Jahren erlebte. Um ihre Gefühle zu triggern, braucht es offenbar nicht mehr viel: einen dunkelhäutigen Mann auf der Straße. Einen Artikel im Netz. Ein Plakat an der Wand.
Bei vielen Kommentaren zum Werbefoto habe ich das Gefühl, Menschen wie Anja zu erkennen. Vor fünf Jahren hätten sie beim Blick auf unser Werbefoto vielleicht noch anders gedacht. Heute verbinden sie damit Gewalt, Kriminalität oder die Ausnutzung des deutschen Sozialstaats - allein wegen der Hautfarbe der abgebildeten Person.
Anja betont mehrfach, dass ihr das leidtue. Dass sie es nicht gut finde, dass auch Deutsche mit Migrationshintergrund und gut integrierte Ausländer von der Stimmung im Land betroffen seien. "Ich hoffe, Sie bringen für Menschen wie mich ein wenig Verständnis auf", sagt sie.
Das tue ich. Irgendwie. Und irgendwie auch nicht.
"Krass! Darüber regen sich Menschen auf? Ich dachte, das gibt's nur noch in Geschichtsbüchern."
Fast einen Monat lang habe ich versucht, zu verstehen, warum ein Werbeplakat so viel Hass auslöst. Mitnehmen werde ich aus dieser Zeit vor allem Wünsche.
Welle der Solidarität
Ich wünsche mir, dass Menschen wie Anja ihre Haltung so bald wie möglich wieder ändern können, und dass andere ihnen bis dahin zuhören, anstatt sie als "braunes Nazi-Gesindel" zu stigmatisieren.
Dass Menschen wie Holger Kregeloh nicht in ihrem Recht auf Meinungsäußerung beschnitten werden, nur weil sie, von rechts betrachtet, unliebsame Standpunkte vertreten.
Dass AfD-Vertreter solchem Rassismus entschieden entgegentreten, anstatt ihn zu protegieren.
Und vor allem, dass Menschen, die sich an der Hautfarbe einer Person stoßen - ganz gleich vor welchem Hintergrund - nie mehr sein werden als eine Minderheit, der vielfach und laut widersprochen wird.
Zumindest was Letzteres betrifft, bin ich angesichts der Welle der Solidarität für Regina und mich überwältigt.
"Du und deine Familie sind wertvoller als all diese Hetzer zusammen."
"Vielfalt statt Einfalt bereichert unsere Gesellschaft."
"Ich sehe da einfach nur ein ganz normales Paar."