Peter Sieben

Reporter Zentralredaktion, Düsseldorf

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Innenminister will Klima-Protestler aus Lützerath vertreiben - doch Stadt stellt sich quer

RWE will an die Braunkohle unter dem Dorf Lützerath. Klima-Protestler kündigen massiven Widerstand an. Die Polizei bereitet sich vor - doch ein Verwaltungsdetail bremst alle aus.

Köln - Es klang so einfach. Mit einem „Gesamteinsatz" will NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) das von Aktivisten besetzte Tagebau-Dorf Lützerath im Januar räumen lassen. Mehr als 150 Protestler campen derzeit dort, um gegen den Braunkohletagebau in NRW zu protestieren. Reuls Plan: Besetzer entfernen, Barrikaden beseitigen, Häuser abreißen, Bäume roden. Alles in einem Aufwasch sozusagen. Die Vorbereitungen seien schon im vollen Gange, man habe längst den Kölner Regierungspräsidenten gebeten, eine Räumungsverfügung auf den Weg zu bringen. „Erst danach kommt die Polizei ins Spiel, wenn nämlich die Stadt Erkelenz um Vollzugshilfe bittet", so Reul. Nur: So einfach wird es wohl doch nicht. Denn die Stadt Erkelenz weigert sich, das zu tun.

Tagebau Garzweiler

Braunkohle-Tagebau der RWE Power

Abraum pro Jahr

175 bis 225 Millionen Tonnen

Kohleförderung pro Jahr

35 bis 40 Millionen Tonnen

Start

1940 (Neurath), 1987 als Garzweiler, ab 2006 Garzweiler II

RWE-Tagebau bei Lützerath: Stadt Erkelenz „grundsätzlich gegen den Tagebau"

„Grundsätzlich ist die Stadt Erkelenz gegen den Tagebau", so eine Stadt-Sprecherin auf Anfrage. Erkelenz verliere wertvolle Flächen des Stadtgebiets und versuche, jeden Quadratmeter zu erhalten. So habe der beschlossene Kohleausstieg 2030 zwar Klarheit über den Erhalt der fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath geschaffen. Aber die Stadt will in Lützerath nicht roden und räumen, denn: „Die Flächen befinden sich im Privateigentum der RWE AG." Nach Auffassung der Stadt Erkelenz sollte die bergbauliche Inanspruchnahme von denjenigen in Gang gesetzt werden, die die Entscheidung dazu getroffen haben.

Deshalb soll die Bezirksregierung Köln jetzt einspringen und bei der Polizei Aachen um Vollzug bitten. Ein trockener bürokratischer Akt, der aber nötig ist, damit die Beamten bei der Räumung aktiv werden können. Eigentlich sollte der Verwaltungsvorgang schon gestartet sein, bislang existiert bei der Aachener Polizei aber kein solches Papier. „Das Vollzughilfeersuchen liegt hier noch nicht vor", sagt der Aaachener Polzeisprecher Andreas Müller auf Anfrage.

Parallelen zum Hambacher Forst - doch Protestler sind „bürgerlicher geprägt"

Dabei bereitet man sich dort schon vor, das NRW-Innenministerium spricht von einem „komplexen polizeilichen Einsatz" . Was die Widerstandsstrukturen anbelange, rechne man mit Parallelen zum Hambacher Forst, wo Aktivisten über Monate den Wald besetzt hielten. „Auch in Lützerath wurden Baumhäuser errichtet. Darüber hinaus gibt es auch Barrikaden und Gräben, die eine Räumung erschweren sollen", so Müller.

Mit Eskalationen wie damals müsse man aber eher nicht rechnen, denn: „Im Vergleich zur Situation im Hambacher Forst sehen wir aber einen Unterschied in der Zusammensetzung der Protestgruppen. In Lützerath sind die Gruppen viel bürgerlicher geprägt." Die Kommunikationsbeamten stünden schon jetzt im ständigen Kontakt mit den Aktivisten und Bürgerinitiativen vor Ort.

„Wer Lützerath angreift, wird einen hohen Preis zahlen"

Aber: „Wir können natürlich nicht in die Zukunft schauen und wissen nicht, was da noch für ein Mobilisierungspotenzial kommt." Innenminister Herbert Reul glaubt nicht, dass Lützerath zu einem ähnlichen Symbol wird wie der Hambacher Forst. Die Klugen in der Klimapolitik hätten längst verstanden, dass sie mit der Rettung des Forsts und dem vorgezogenen Kohleausstieg ganz viel gewonnen hätten, heißt es aus dem Ministerium. Ein verlassener Weiler wie Lützerath habe diese Bedeutung nicht.

Demgegenüber stehen Ankündigungen wie die des Aktionsbündnisses „Ende Gelände", die jüngst mit markigen Worten massiven Widerstand versprachen: „Wir werden um Lützerath kämpfen, wie wir den Hambacher Wald verteidigt haben. Wer Lützerath angreift, wird einen hohen Preis zahlen", heißt es von dort.

RWE-Tagebau bei Lützerath: „Ziviler Ungehorsam ist nicht legal"

„Das nehmen wir ernst. Da haben wir in den vergangenen Jahren auch entsprechende Erfahrungen gemacht, wenn die Aktivisten in Maleranzügen in den Tagebau eingedrungen sind", so Andreas Müller von der Aachener Polizei. Es sei grundsätzlich die Aufgabe der Polizei, den friedlichen Protest zu schützen. Aber: „Der Begriff des zivilen Ungehorsams bringt das Motiv der politischen Unzufriedenheit zum Ausdruck. In der Vergangenheit hat man damit jedoch auch versucht, Straftaten zu legitimieren. Auch Gewaltstraftaten."

Grundsätzlich sei ziviler Ungehorsam ja nicht legal, sondern immer eine Gesetzesübertretung, stellt Müller klar. „Erst bei der Strafzumessung vor Gericht kann das eine Rolle spielen, wenn der Richter sieht: Okay, die Person hat die Straftaten nicht begangen, um jemandem konkret zu schaden. Für uns als Polizei ist es aber erst mal eine Straftat, die wir verfolgen müssen. Da haben wir keinen Handlungsspielraum", so Müller.

Unabhängig von der sicherheitspolitischen Diskussion um Lützerath ist ein Team von Wissenschaftlern jüngst in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass die Kohle unter dem Ort gar nicht gebraucht werde, um die aktuelle Energiekrise zu überbrücken. Allerdings benötigt RWE neben der Kohle auch gewaltige Mengen an Erde, um an anderer Stelle Restlöcher zu verfüllen und zu rekultivieren, wie es vertraglich vorgesehen ist. So sollen aus den Tagebaulöchern häufig Seelandschaften werden, wie etwa in Hambach, wo der zweitgrößte See Deutschlands entstehen wird.

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