Peter Ringel

Freier Journalist, Oldenburg

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Artikel

Überwachen, abschrecken, Resilienz schaffen

13 Zentimeter dick und mit Kunststoff ummantelt: Auf Norderney wird ein Stromkabel für Offshore-Windparks verlegt.

Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines hat gezeigt, wie verwundbar kritische Infrastruktur im Meer ist. Mit dem fortschreitenden Ausbau der Offshore-Windenergie stellt sich auch bei Stromleitungen zunehmend die Frage nach der Sicherheit. Welcher Schutz ist möglich?

„Wir sollten uns keine Illusionen machen", sagt Andreas Mummert von der Stiftung Offshore-Windenergie, „ein lückenloser Schutz aller Anlagen ist auf See nicht möglich." Gleichwohl bekomme die maritime Sicherheit spätestens seit den Anschlägen in der Ostsee mehr Aufmerksamkeit in der Branche, so Mummert im Gespräch mit EnergieWinde. Mögliche Strategien kreisen um Überwachung, Abschreckung und Resilienz.


Die Bedrohungsszenarien reichen von Sabotage bis zu terroristischen und militärischen Attacken. Neben physischen https://energiewinde.orsted.de/energiepolitik/strom-leitungen-offshore-wind-schutz-kritische-infrastruktur-im-meer Manipulationen drohen Cyberangriffe. Die Anlagen auf See werden über Leitstände an Land gesteuert. Welche Schutzkonzepte es gibt, teilen auf Anfrage weder Netzbetreiber noch Sicherheitsbehörden mit. Begründung: Angreifer könnten die Informationen nutzen. Verständlich, erklärt Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel gegenüber EnergieWinde: „Kein Staat macht gern transparent, wie gut er Bescheid weiß."


Zwölf Leitungen verbinden Deutschlands Offshore-Windparks mit dem Festland

Klar ist, dass der Schutzbedarf steigt. Bis 2045 will Deutschland seine Offshore-Kapazitäten auf 70 Gigawatt fast verzehnfachen, die EU peilt 450 Gigawatt an. Aktuell kommt Windstrom über zwölf Anbindungen ans deutsche Festland. Bei den Gleichstromsystemen, die küstenferne Windparks anbinden, werden zwei parallele Kabelstränge etwa eineinhalb Meter tief in den Meeresboden gepflügt. Die Seekabel sind rund 13 Zentimeter dick, der Kupferkern ist von Kunststoff umschlossen. Eine Armierung aus Stahldraht soll vor Schäden schützen. Zum Vergleich: Bei Nord Stream wurde eine mit Beton ummantelte Pipeline aus zentimeterdickem Stahl zerstört.


Der Netzbetreiber Tennet plant ab 2027 Gleichstromanbindungen mit jeweils zwei Gigawatt. Damit würden bis 2045 allein für deutsche Windparks mindestens 30 Anschlüsse zwischen Konverterplattformen und Festland hinzukommen, um Tausende Windräder anzuschließen. „Mit dieser Dimension der Offshore-Windkraft muss auch diskutiert werden, ob die Infrastruktur auf See attraktiver für Anschläge wird“, sagt Mummert. Es sei zu bestimmen, welcher Schutz möglich und sinnvoll ist. Die technischen Optionen zur Überwachung würden mit Drohnen oder autonomen Unterwasserfahrzeugen perspektivisch größer.


Aktives Sonar entlang der Leitungen könnte Objekte unter Wasser erfassen. Angriffe lassen sich so zwar schneller erkennen, aber nicht unbedingt verhindern. „Wenn ich Verursacher schnell finden kann, dient das immerhin der Abschreckung“, sagt Sicherheitsexperte Peters. Voraussetzung dafür sei zum einen ein präzises Lagebild und zum anderen die Möglichkeit, schnell vor Ort zu sein. Das sei schon in kleinen Seegebieten schwierig. Bei einem Dauereinsatz militärischer Ressourcen würden Schiffe und Flugzeuge zudem an anderer Stelle fehlen. Dass die Marine durchgehend präsent ist, hält auch Mummert für unrealistisch. „Es werden nicht permanent Fregatten durch die Nordsee kreisen, um Offshore-Anlagen zu schützen.“


Auf die Nord-Stream-Lecks reagierte die Bundeswehr mit verstärkter Überwachung unter anderem des norwegischen Seegebiets durch Fregatten und Seefernaufklärer. Diese Flugzeuge können auch U-Boote erkennen und bekämpfen. Der Einsatz beschränkt sich laut der Marine jedoch auf Manöver. Für die Sicherheit im deutschen Küstenmeer und in der Ausschließlichen Wirtschaftszone ist die Bundespolizei See zuständig. Die kann bei Bedarf die besseren technischen Ressourcen der Marine anfordern. Allerdings verweist die Bundespolizei darauf, dass die Zuständigkeit für den Schutz kritischer Infrastruktur zunächst beim Betreiber und nicht allein bei den Sicherheitsbehörden liege.


Die Möglichkeiten einzelner Unternehmen zur Gefahrenabwehr hält Mummert indes für begrenzt: „Es ergäbe keinen Sinn, wenn Betreiber die Aufgabe hätten, ein verdächtiges Vehikel selbst zu bekämpfen, welches sie im Rahmen der Seeraumüberwachung identifizieren.“ Mit der zunehmenden Relevanz der Offshore-Windkraft komme auch der Staat in die Verantwortung, ohne dass die Unternehmen außen vor sind: „Die Betreiber müssen und sollen sich beteiligen.“ So wie es bei der Rettungskette im Fall von Unfällen oder bei Notschleppern der Fall ist.

Mehr Sicherheit bedeutet nicht immer mehr aufwendige Technik. Schon Datenaustausch hilft laut Mummert: „Wir brauchen eine intelligente Verschachtelung von Kapazitäten und Kommunikation.“ Sicherheitsbehörden müssten Daten der Betreiber nutzen können. So könne etwa die belgische Marine auf die Kameras auf Windrädern und Plattformen zugreifen. Nach den Anschlägen in der Ostsee will auch die Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr die Fähigkeiten zur Seeraumüberwachung ausbauen. Ziel ist der „gläserne Ozean.“


Bereits bei der Offshore-Planung ist mehr möglich, sagt der Experte Peters: „Bislang spielt Sicherheit in Genehmigungsverfahren keine Rolle.“ Mehr Auflagen erhöhen allerdings die Kosten, die dann umzulegen sind. Weil Angriffe nicht komplett zu verhindern sind, ist Resilienz im Stromnetz wichtig. Je mehr redundante Leitungen es gibt, desto leichter sind Störungen auszugleichen. Das europäische Verbundnetz ist vermascht aufgebaut und laut einem Tennet-Sprecher „gegen lokale Angriffe recht gut zu schützen.“ Wenn zum Beispiel zwei Offshore-Windparks vorübergehend nicht zur Verfügung stehen, gehöre es zur täglichen Arbeit der Übertragungsnetzbetreiber, über den sogenannten Redispatch für Netzstabilität zu sorgen. Angreifer müssten demnach mehrere Leitungen attackieren, um Stromausfälle zu erreichen.


In Nord- und Ostsee liegen bereits viele grenzüberschreitende Kabel, zuletzt kam Nordlink zwischen Norwegen und Deutschland hinzu. Weitere derartige Interkonnektoren sind geplant. Auch Offshore-Windparks sollen über Verteilkreuze auf künstlichen Inseln im Meer länderübergreifend angeschlossen werden, was die Sicherheit erhöhen würde. In Deutschland war im Vorfeld des Flächenentwicklungsplans 2020 diskutiert worden, Querverbindungen zwischen Konverterplattformen zu schaffen, um Ausfälle zu reduzieren. Zum Bau dieser redundanten Leitungen kam es jedoch nicht. „Bisher zählten allein betriebswirtschaftliche Aspekte“, erklärt Mummert, „das dürfte sich ändern.“


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