1. April 2009
Uni Bolognese: Diplom und Magister waren gestern, die Hochschulen stellen massiv um auf Bachelor und Master: Überfälliger Aufbruch oder Verschlimmbesserung? Für seine Doktorarbeit hat der Politologe Roland Bloch Studenten befragt - und sieht einen Trend zum stromlinienförmigen Akademiker.
SPIEGEL ONLINE: Herr Bloch, Sie haben mit Studenten an großen Unis in Berlin und Leipzig sowie an kleinen Wirtschaftshochschulen in Vallendar und Oestrich-Winkel gesprochen, die sowohl in den alten als auch in den neuen Studiengängen studieren. Sind Bachelorstudenten anders als Magister- oder Diplomstudenten?
Roland Bloch: Selbstverständlich, schon weil sie ganz anders mit der Strukturierung in ihrem Studium umgehen und mehr Vorgaben berücksichtigen müssen. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Mentalität der Studierenden. Die wird immer mehr von strategischen Überlegungen bestimmt. Insofern: Ja, Bachelorstudenten ticken anders, sie ticken vor allen Dingen strategischer.
SPIEGEL ONLINE: In ihrer Studie vergleichen Sie Sozialwissenschaftler mit Studenten von privaten Business-Schools. Haben denn karriereorientierte BWLer überhaupt Gemeinsamkeiten mit "normalen" Bachelorstudenten?
Bloch: Die BWL-Studierenden der Business-Schools sind sicherlich ein Extremtypus, der sich nicht eins zu eins übertragen lässt. Aber an den Wirtschaftshochschulen lässt sich das Bachelorstudium in Reinform besichtigen. Die Praxis der Studierenden dort ist eben kein Sonderfall. Viele der Reformen sind an den Privathochschulen längst umgesetzt, etwa die Modularisierung des Studiums, das Kreditpunktesystem oder studienbegleitende Prüfungen. Selbst Auslandsaufenthalte und Praktika sind vorstrukturiert und fest in den Studienverlauf integriert.
SPIEGEL ONLINE: Welche Auswirkungen hat das auf den Alltag der Studenten?
Bloch: In den alten Studiengängen konnten Studierende ihr Studium relativ eigenständig planen und entscheiden, mit welcher Intensität und wie lange sie studieren. In den neuen Studiengängen ist das wesentlich regulierter, das ganze Semester ist festgelegt. Der Stundenplan schreibt vor, wie viel Arbeitszeit in jedes Modul investiert werden muss. Die Prüfungsdichte ist wesentlich höher und muss gemanagt werden. Nebenbei sollen sich die Studierenden noch für den Beruf qualifizieren. Das war früher anders. Der Student Guido beispielsweise studierte 17 Semester BWL an der TU Berlin. Statt Praktika zu machen, jobbte er in den Semesterferien als Tennislehrer im Ausland. Für einen Studenten in den neuen Studiengängen wären solche Umwege unvorstellbar.
SPIEGEL ONLINE: Studenten sollen nicht nur effizient und zügig studieren, sondern auch Praktika absolvieren, Auslandserfahrungen sammeln und sich neben dem Studium engagieren. Wie gehen sie mit diesem Erwartungsdruck um?
Bloch: Aus der Sozialerhebung des Studentenwerks geht hervor, wie sehr Bachelorstudierende unter dem Leistungsdruck leiden. Die Nachfrage nach Beratungsangeboten ist rapide gestiegen. Das Ziel der Reform, den Studenten bei der Organisation des Studiums zu helfen, wird verfehlt. Stattdessen hat die Unsicherheit zugenommen. Die Studierenden der Wirtschaftsschulen entscheiden sich dagegen bereits zu Beginn des Studiums für eine Leistungsgemeinschaft. Das bedeutet auch, drei Jahre lang fast keinen Urlaub zu machen. Ein Beispiel aus meiner Untersuchung ist Claudia, Studentin an der European Business School im vierten Semester: Sie hat bereits ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich Zeit für Schlafen oder Freunde nimmt, statt zu lernen. Innerhalb des straff organisierten Studiums sind die einzigen wichtigen Entscheidungen, die die Studierenden noch fällen müssen, an welcher Uni sie ihr Auslandssemester verbringen und bei welchem Unternehmen sie ihr Praktikum organisieren.
SPIEGEL ONLINE: Wegen mangelhafter Studienbedingungen und bürokratischer Hemmnisse brechen viele Studenten ihr Studium ab. Ist die Runderneuerung des Studiums da nicht ein notwendiger Schritt?
Bloch: Dass man etwas tun musste, lag auf der Hand. Aber es fällt schwer sich vorzustellen, wie die Bologna-Reformen die Probleme lösen sollen. Bisher deutet nichts daraufhin, dass sich irgendetwas ändert. Hätte man mehr Wahlfreiheiten gelassen, wie es an amerikanischen Colleges üblich ist, hätte man die Abbrecherquote vielleicht senken können. Die Verschulung des Studiums ist ein deutscher Sonderweg. Hier wurde strukturiert, wo Flexibilität gefördert werden sollte. Alles spricht dafür, dass die Reformen eher die Mobilität hemmen. Wegen der eng definierten Module und des straffen Zeitplans ist es kaum möglich, während des Studiums die Uni zu wechseln.
SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben, die Studienreformen seien von einem generellen Misstrauen in die Fähigkeit der Studenten geprägt, ihr Studium selbst zu organisieren. Warum?
Bloch: Die Studierenden stehen unter dem Verdacht, das Studium unnötig zu verlängern. Doch angesichts der schlechten Betreuungsrelationen kann man die Schuld dafür kaum allein den Studenten geben. Aktivitäten neben dem Studium tragen zudem ihren Teil zu Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung bei. Studium, Freizeit und Berufsqualifizierung lassen sich oft nicht voneinander trennen. Eine Studentin organisierte neben der Uni noch Schulprojekte, andere engagieren sich politisch. Gerade Studenten der Sozialwissenschaften finden so Nischen auf dem Arbeitsmarkt. Dieses flexible Verhalten wird durch die Reformen erschwert. Es wird Eindeutigkeit geschaffen, wo Mehrdeutigkeit besteht.
SPIEGEL ONLINE: Einer der Studenten sagte: "Erfolgreich studieren heißt für mich, einen guten Job zu finden" - eine typische Einstellung?
Bloch: An den Business-Schools gibt es diese Karriereorientierung auf jeden Fall. Auch die Studiengebühren verstärken die instrumentelle Einstellung zum Studium. Das bedeutet aber nicht, dass es nur um die Höhe des Gehalts geht, es zählt auch, ob der Job interessant ist. Absolventen der Business-Schools müssen sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Sie gehen davon aus, auf der mittleren Führungsebene in den Beruf einzusteigen. Studierende an öffentlichen Unis haben diese Option meist nicht. Da geht es in erster Linie darum, zunächst einmal den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Dafür sind die Studierenden auch bereit, weitere Praktika, Ortswechsel sowie nicht adäquate Beschäftigung und Bezahlung in Kauf zu nehmen.
SPIEGEL ONLINE: Jens Jessen, Kulturchef der "Zeit", hat Studenten von heute Angepasstheit vorgeworfen. Halten Sie das für berechtigt?
Bloch: Studierenden vorzuwerfen, die Freiheit des Studiums nicht zu unangepasstem Verhalten zu nutzen, geht an den Lebensentwürfen der Studierenden vorbei. In den achtziger Jahren traf man noch auf den deutlich karrieredistanzierten Studenten, dem es darauf ankam, sich nicht konform zu verhalten. Das konnte man sich leisten, weil Hochschulabsolventen noch relativ problemlos eine Beschäftigung fanden. Dieses sogenannte alternativ-hedonistische Milieu unter Studierenden ist sicher verschwunden. Die Einsicht, dass ein Hochschulabschluss keinen Job garantiert, belastet das unbeschwerte Studieren. Stattdessen hat man heute immer die Berufsqualifikation im Blick - leider oft schon ab dem ersten Semester. Diese Anpassung geht aber an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts vorbei. Je stärker man ein Studium durchstrukturiert, desto mehr befördert man Stromlinienförmigkeit und verhindert produktive Umwege.
Das Interview führte Peter Neitzsch