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Serie: Energiewende, aber wie? - stern.de

15. August 2011

stern.de-Serie zur Energiewende

Deutschland steigt um - aber wie?

Raus aus der Atomkraft - und dann? Sauberer Strom aus Wind, Wasser und Sonne - und weiter wie bisher? Wer meint, die Energiewende gibt's zum Nulltarif, irrt. stern.de erklärt in einer neuen Serie, was für den Ausstieg nötig ist. 

Von Peter Neitzsch

Der Atomausstieg ist beschlossen. 2022 geht das letzte AKW vom Netz. Bis 2020 sollen die erneuerbaren Energien die Lücke füllen. Doch der Umbau der Stromversorgung wird nicht umsonst zu haben sein. stern.de erklärt in einer Serie die Risiken und Chancen der Energiewende, was die Erneuerbaren kosten, wer davon profitiert und wer verliert.

Fest steht: Konflikte lassen sich nicht vermeiden beim Ausbau von Windenergie und Wasserkraft, von Photovoltaik, Biogas und Erdwärme. Wir alle müssen Zugeständnisse machen und Einschränkungen in Kauf nehmen. Für die sechsteilige Serie haben -Reporter die Orte in Deutschland besucht, an denen schon heute zu besichtigen ist, wie wir uns in Zukunft mit Strom und Wärme versorgen. Ergänzt und vertieft werden die Reportagen und Berichte mit Grafiken und Fotostrecken.

Die Chancen und Risiken der Energiewende lassen sich heute schon benennen. Es gibt drei zentrale Probleme bei der Umstellung unserer Energieversorgung:

Risiko: Monokultur - Was gut fürs Klima ist, ist nicht immer gut für die Umwelt

Das beste Argument für regenerative Energien ist der Klimaschutz. Aber: Was das Klima schont, ist nicht notwendigerweise auch gut für die Umwelt. Ein Beispiel dafür, wie die Erneuerbaren zum Risiko für die Natur werden können, ist die Energie vom Acker: Biogas und Biodiesel sind CO2-arme Energielieferanten, doch der Anbau energiereicher Pflanzen fördert umweltschädliche Monokulturen. Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter sagt: "Reine Maiswüsten laugen die Böden aus." Auch die Windkraft gerät immer wieder in die Kritik von Umweltschützern: Gigantische Windparks vor der Küste würden den Naturraum Wattenmeer schädigen und Zugvögel und Schweinswale gefährden.

Risiko: Flächenverbrauch - Die Landschaft wird sich verändern

Beliebt sind die weithin sichtbaren Windräder aber auch an Land nicht. Ihre Kritiker befürchten eine "Verspargelung" der Landschaft. Die Energie der Zukunft wird sichtbarer sein. Statt Ökoidyllen entstehen neue Industrielandschaften. Der Flächenverbrauch steigt nicht nur aufgrund von Windparks und Solaranlagen auf dem Acker, um den wetterabhängigen Naturstrom zu speichern, sind Pumpspeicherkraftwerke in Form von Stauseen nötig. Dagegen kommt es zu mitunter heftigen Protesten - wie 2003 im thüringischen Goldisthal.

Die Energiewende zieht auch einen Ausbau der Stromnetze nach sich: Große Nord-Süd-Trassen werden benötigt, um den Windstrom von der Küste ins Land zu transportieren. 40 Meter neben dem Haus von Werner Schneider aus Quickborn in Schleswig-Holstein verläuft so eine Stromtrasse. Schneider, Gründer der Bürgerinitiative "Quickborn unter Höchstspannung", sagt: "Ich habe Angst vor den gesundheitlichen Folgen."

Risiko: Kosten - Die Energiewende zahlt der Verbraucher

Noch können die neuen Technologien Energie nicht zu den gleichen Preisen liefern wie Atom- und Kohlekraftwerke. Um die Energiewende einzuleiten, wird daher per Gesetz für Ökostrom eine höhere Vergütung garantiert. Davon profitieren die Stromproduzenten - die Verbraucher jedoch zahlen mehr. Umverteilung von unten nach oben.

Doch nicht nur die Nebenkosten steigen, weil Strom teurer wird, auch die Kaltmiete klettert nach oben. Immobilienbesitzer sollen ihre Häuser sanieren, um Energie zu sparen, und legen die Kosten auf die Mieter um. In Bottrop griff eine Mieterin zu juristischen Mitteln: Die Rentnerin aus dem Ruhrgebiet hat gegen ihre Mieterhöhung geklagt. Der Mieterbund kritisiert, die Mieten würden stärker steigen, als die Kosten für den Energieverbrauch sinken. Wieder zahlt der Verbraucher für die Energiewende.

Dennoch spricht vieles dafür, dass die Chancen, die in den regenerativen Energien stecken, die Risiken überwiegen.

Die erneuerbaren Energien bieten uns viele handfeste Vorteile: Der CO2-Ausstoß wird drastisch gesenkt, wir machen uns unabhängig von endlichen, fossilen Brennstoffen und - nicht zuletzt - schaffen die Erneuerbaren dauerhaft Arbeitsplätze:

Chance: Arbeitsplätze - Neue Jobs entstehen durch erneuerbare Energien

Die Firma Abakus Solar steht beispielhaft für den Strukturwandel im Ruhrgebiet: Früher wurde in Gelsenkirchen Kohle gefördert, heute werden hier Solarkraftwerke geplant - und Mitarbeiter eingestellt. Firmengründer Heiner Breuer sagt: "Es gibt einen enormen Bedarf an Fachkräften. Unsere Mitarbeiter müssen wir selbst qualifizieren." 2011 arbeiten in Deutschland bereits 370.000 Menschen im Bereich der regenerativen Energien.

Aus einigen Startups sind große Konzerne geworden. Doch schillernde Unternehmer wie der Solarworld-Gründer Frank Asbeck, Grünen-Mitglied und Multimillionär, sind die Ausnahme: Vor allem im Mittelstand und im Handwerk entstehen Jobs durch die Produktion, Installation und Wartung von Solar- und Windkraftanlagen.

Chance: Innovation - Deutschland wird Vorreiter bei Zukunftstechnologien

Greentec boomt und oft kommt die Technik aus Deutschland. Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme, sagt: "Wir haben die Technologie und können sie in alle Welt verkaufen." Im Bereich Sonne, Wind und Biogas ist die Bundesrepublik Vorreiter. Auch Siemens-Chef-Technologe Michael Weinhold sagt: "Die Energiewende bringt den Standort Deutschland voran. Da liegen riesige Chancen für die deutsche Industrie." Vor allem die Konzernsparte Siemens Energy profitiert von dem forcierten Ausbau der Erneuerbaren hierzulande. Längst verdient der deutsche Traditionskonzern mehr Geld mit Windkraft als mit Waschmaschinen.

Chance: Wohnkultur - Die Energiewende ermöglicht eine neue Art zu wohnen

Es wird nicht ausreichen, Strom anders zu produzieren, wir müssen auch unser Verhalten ändern - Strom und Wärme aus Sonne, Wind und Erdwärme erfordern andere Konsum-Muster. Das kann ein Risiko sein, aber auch eine Chance - wie das Beispiel von Kalle Burmester zeigt, der mit seiner Frau Corinna Hesse seit einem Jahr in einem Plusenergiehaus im mecklenburgischen Tüschow lebt.

Auf Burmesters Stromrechnung steht nicht, was er zahlen muss, sondern wie viel er bekommt: Denn das Paar produziert mehr Energie, als es verbraucht. "Das ist für mich ein Teil meiner Rente", sagt Burmester. Das Leben im Passivhaus empfindet er in jeder Hinsicht als Bereicherung: "Das Raumklima ist extrem angenehm."

Noch weiter gegangen sind die Bewohner des Dorfes Krebeck bei Göttingen, die sich mit einer Biogasanlage selbst mit Wärme versorgen und Strom ins Netz einspeisen. Karl Heine, Vorstand der Genossenschaft "Bioenergie Wollbrandshausen - Krebeck" sieht in dem Kollektiv einen "Hort der Urdemokratie" und eine Alternative zur zentralen Energieversorgung der großen Konzerne.

Längst sind es nicht mehr nur Idealisten, die die Energiewende vorantreiben. Auch die Firma Siempelkamp in Krefeld (NRW), Hersteller von Nukleartechnik, setzt auf erneuerbare Energien: 1,5 Millionen Euro hat der Maschinenbauer für eine Solaranlage auf der Werkshalle ausgegeben. "Wir wollten den steigenden Energiekosten entgegenwirken und etwas für unsere Versorgungssicherheit tun", sagt Projektleiter Klaus Gartz.

Ob wir nun wollen oder nicht, wir müssen uns auf die Energiewende einstellen. Der Energieexperte Weber sagt: "Es gibt keine Alternative zu den regenerativen Energien - die Obergrenze für den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix kann langfristig nur bei hundert Prozent liegen."

stern.de-Serie zur Energiewende:

http://www.stern.de/3784022.html
http://www.stern.de/3779760.html
http://www.stern.de/3777086.html
http://www.stern.de/3781872.html
http://www.stern.de/3781924.html
http://www.stern.de/3776960.html

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