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Nach der Uni zum Wellenreiten, dpa

13. Januar 2014 

Rio de Janeiro. „Nach der Uni pflege ich einen brasilianischen Lebensstil", erzählt Philipp Sackenheim. Der 23-jährige Münchener studiert seit August in Rio de Janeiro. Die Stadt genießt er in vollen Zügen: „Im Anschluss an die Vorlesungen mache ich Sport, spiele Fußball mit Freunden oder lerne surfen."

Mit der Fußballweltmeisterschaft vom 12. Juni bis 13. Juli rückt Brasilien derzeit verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Studenten haben das Land dagegen offenbar schon länger im Blick. Sie ziehen es immer häufiger für ein Auslandsstudium in Betracht. Die Zahl der Bewerber für einen Austauschplatz nach Brasilien hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt, sagt Ana Santos-Kühn. Sie leitet das International Office der Technischen Universität München. Mit acht brasilianischen Hochschulen hat die TU München Partnerschaftsabkommen abgeschlossen. Rund 600 deutsche Studenten fördert der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) derzeit in Brasilien mit einem Jahresstipendium.

Einen Grund für das gestiegene Interesse sieht Santos-Kühn in der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des Landes. „Deutsche Firmen lassen sich vermehrt in Brasilien nieder und suchen Leute, die beide Länder kennen." Immer mehr Studenten erkennen das - und wollen mit einem Auslandsjahr in Brasilien ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Gleichzeitig gibt es bislang nur relativ wenig Fachleute, die sich gut mit Brasilien auskennen und etwa fließend Portugiesisch sprechen, ergänzt Michael Eschweiler, der beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) das Referat für Brasilien leitet.

Doch auch in fachlicher Hinsicht ist ein Studienaufenthalt in Brasilien für Hochschüler aus vielen Fachrichtungen interessant. Ingenieure finden häufig den Energiesektor spannend, da Brasilien anders als Deutschland einen Großteil seines Energiebedarfs mit Wasserkraft deckt, erzählt Eschweiler. Häufig können sie dort Techniken kennenlernen, die in Deutschland noch kaum genutzt werden. „Auch wer sich für Tropenmedizin oder Regenwaldschutz interessiert, ist gut aufgehoben." Mit Blick auf die Themen Stadtentwicklung und Modernisierung sei das Land auch für Sozialwissenschaftler spannend.

Philipp Sackenheim studiert keins dieser Fächer. Er ist in München für Technische Betriebswirtschaftslehre eingeschrieben. Auf Brasilien kam er aus einem anderen Grund. Nach dem Abitur absolvierte er ein soziales Jahr in einer Favela etwa eineinhalb Autostunden von Rio entfernt. Seitdem spricht er Portugiesisch - und hat das Land so lieben gelernt, dass er noch einmal länger zurückkehren wollte.

Vom Studium ist er begeistert. Es sei stärker praxisorientiert als in Deutschland, erzählt er. So hätten die Studenten die Aufgabe gehabt, in Kooperation mit einer Firma eine Geschäftsstrategie zu entwickeln. „In zwei Monaten in Rio habe ich mehr von der Praxis mitbekommen als in zwei Jahren in München", sagt Sackenheim.

„Die staatlichen Universitäten sind sehr gut", bestätigt Eschweiler vom DAAD in Bonn. Allerdings wählen sie ihre Studenten sehr sorgfältig aus. Der Auswahlprozess ist deutlich aufwendiger als in Deutschland. An Sackenheims Uni gibt es für jeden Studiengang einen Aufnahmetest. Viele Brasilianer belegten extra Vorbereitungskurse. Auf eigene Faust einen Studienplatz in Brasilien zu organisieren, ist deshalb nicht leicht. Einfacher ist es für deutsche Studenten, sich beim Auslandsbüro der Universität zu erkundigen, ob diese eine brasilianische Partner-Uni hat.

Auf jeden Fall sollten Hochschüler, die nach Brasilien möchten, vorher Portugiesisch lernen, rät Santos-Kühn. Die Vorlesungen seien meist in der Landessprache. Sprachkenntnisse sind unabdingbar. Sich zu integrieren, fällt den meisten nicht schwer. Die brasilianische Kultur ist sehr gastfreundlich und weltoffen. „Man wird hier sehr schnell in den privaten Freundeskreis aufgenommen und beispielsweise zum Essen zu den Eltern eingeladen", erzählt Sackenheim.

Die DAAD-Stipendiatin Bega Tesch hat einen Studienplatz in der Millionenmetropole São Paulo bekommen. In Heidelberg studiert Tesch Übersetzungswissenschaften für Französisch und Portugiesisch. An der brasilianischen Uni belegt die 22-Jährige Portugiesischkurse und solche über brasilianische Kultur. Fast 90 000 Studenten sind an der Universidade de São Paulo (USP) eingeschrieben. Auf dem Campus gibt es gleich mehrere Bushaltestellen, so groß ist das Gelände. „Am Anfang war das schon etwas verwirrend", sagt sie.

Mit zwei brasilianischen Studentinnen teilt sich Tesch eine WG in Campus-Nähe. „Ohne das Stipendium wäre es schwierig gewesen, das Jahr zu finanzieren", erzählt sie. Gerade São Paulo sei sehr teuer. Bei 875 Euro im Monat liegt der Satz für das Brasilien-Stipendium des DAAD derzeit. So viel Geld sollten Studenten pro Monat mindestens einplanen, wenn sie dorthin wollen.

Sackenheim macht außerdem die Bürokratie zu schaffen. „Man muss sich hier für alles seine Dokumente beglaubigen lassen", erzählt er. Dass er in München alle Scheine anerkannt bekommt, glaubt er nicht. Sein Bachelor-Studium werde deswegen wohl zwei Semester länger dauern. „Aber das war es auf jeden Fall wert."

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