Horrorjobs zu Dumpinglöhnen: Deutschland auf McJob-Niveau
Wovor ekeln sich Putzfrauen? Wie ergeht es Tellerwäschern? Was erlebt man als Fußballmaskottchen oder im Sexkino? Tobias Kurfer hat mies bezahlte Jobs getestet, die keiner gerne macht.
Herr Kurfer, wie viele Nebenjobs haben Sie in Ihrem Leben schon gemacht?
Oh weh, das habe ich noch nicht gezählt - allein für das Buch und meine Kolumne habe ich mehr als ein Dutzend Aushilfs- und Nebenjobs gemacht. Während des Studiums und der Schulzeit habe ich bei Burger King und McDonalds gearbeitet, aber auch als Bauhelfer, Gärtner, Promoter, Zeitungsausträger - das Metier war mir also nicht fremd.
Für das Buch haben Sie als Klomann, als Fußballmaskottchen und im Sexkino gearbeitet. Welcher war der mieseste Job von allen?
Am unangenehmsten war sicherlich das Kloputzen in der Disko nachts um zwei, wenn die Gäste alle betrunken sind und vieles, was in die Schüssel gehört, daneben geht. Nur: Irgendwie rechnet man damit ja auch. Den Job als Museumswärter habe ich dagegen völlig unterschätzt: Es ist absolut zermürbend, einfach nur herumzustehen und nichts passiert. Man kann ja auch nicht ständig auf- und ablaufen. Hut ab vor den Leuten, die das dauerhaft machen: Das geht sehr auf die Beine und auf den Rücken. Das lange Stehen verursacht regelrecht Schmerzen. Der Museumswärterjob ist tatsächlich der einzige, den ich auf keinen Fall noch mal machen würde.
Was war das krasseste Erlebnis, das Sie auf Arbeit hatten?
Schockierend fand ich, wie herablassend man oft behandelt wird. Die Klofrau, mit der ich zusammengearbeitet habe, musste sich oft Sprüche anhören wie: „Ich würde mich schämen, wenn ich Ihren Job machen müsste.“ Ständig angesehen zu werden, als hätte man eine ansteckende Krankheit - das hält man nur aus, wenn man sich ein dickes Fell zulegt.
In dem Sexkino dagegen war die Arbeitsatmosphäre fast familiär, auch wenn der Ekelfaktor anfangs hoch war. Völlig hilflos habe ich mich in dem Kostüm des Maskottchens Ritter Keule des 1. FC Union gefühlt. Man steckt in diesem Riesenkopf, hört nichts, sieht nur durch eine kleinen Schlitz, bekommt kaum Luft und stolpert ständig über die viel zu großen Füße. Und das alles inmitten von grölenden Fußballfans.
Gab es auch mal einen Job, bei dem Sie gekniffen haben? Und gesagt haben: Das tue ich mir nicht an!
Ich habe lange überlegt, als Aktmodell zu arbeiten. Habe dann aber gekniffen. Mit dem Samenspenden hatte ich ein ethisches Problem - außerdem ist das ja kein richtiger Job.
Sie haben meist nur eine Schicht übernommen, andere arbeiten über viele Jahre in solchen Jobs.
Natürlich ist es sehr subjektiv, was ein Horrorjob ist. Für manche gibt es vielleicht nichts Größeres, als Kinderanimateur zu sein. Für mich war es der pure Stress. Für mich wäre auch Lehrer ein Horrorjob. Positiv überrascht war ich von den Sargträgern, die ein eigenes Berufsethos haben: Einmal fand eine Beerdigung ohne Angehörige statt, aber alle haben mit großer Konzentration und Würde gearbeitet, obwohl niemand dabei zusah.
Rund zehn Millionen Deutsche arbeiten in Teilzeitjobs - sicherlich nicht alles Horrorjobs. Dennoch: Existiert da eine Parallelwelt, die wir nicht sehen wollen?
Da gibt es mit Sicherheit eine Parallelwelt: Wenn man im Restaurant gut essen geht, sieht man ja nicht, wer in der Küche schuftet. In der Hierarchie der Küche steht der Tellerwäscher ganz unten. Mein Kollege hat sehr darunter gelitten, wie er schikaniert wird. Viele, die in diesen schlechten Arbeitsverhältnissen festhängen, sind Ausländer, die ihre Rechte nicht kennen. Aber auch viele Deutsche arbeiten unter miesen Bedingungen: Manche machen eine schwere, körperliche Arbeit mit Nachtschichten für nur 960 Euro brutto. Da wundere ich mich schon, was einige mit sich machen lassen.
Die Löhne, die gezahlt werden, sind oft ausgesprochen gering.
Wenn man sich selbstständig macht und beispielsweise als Dogwalker Hunde ausführt, kann man vielleicht ganz gut verdienen. Aber das meiste befindet sich auf McJob-Niveau. Für mich ist das Ausbeutung, wenn ein wohlhabender Restaurantbesitzer, dessen Laden brummt, seinen Tellerwäschern nur Hungerlöhne zahlt - ohne Anspruch auf Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dazu bekommt man ständig das Gefühl vermittelt, austauschbar zu sein.
Nach diesen Erfahrungen bin ich sicher, dass wir Mindestlöhne brauchen. Es ärgert mich und macht mich wütend, wenn ich sehe, wie Leute behandelt werden, die Schwerstarbeit verrichten. Diese Menschen sind fleißig und strengen sich an und können trotzdem nicht davon leben.
Man sagt gern: vom Tellerwäscher zum Millionär. Kann man sich heute noch hocharbeiten?
Diese Anekdoten entsprechen nicht der Realität: Die Chance aufzusteigen, geht gegen Null. Es vom Tellerwäscher zum Küchenhelfer oder Hilfskoch zu bringen, ist für viele in diesem Job schon fast unmöglich.
Was müsste geschehen?
Gesellschaftliche Anerkennung ist genauso wichtig wie vernünftige Bezahlung. Ich finde es empörend, wenn jemand denkt, er sei etwas Besseres und könne zum Beispiel Klofrauen herablassend behandeln. Insofern bin ich meinen Eltern dankbar, dass ich mir mein Taschengeld zum Teil selbst verdienen musste, obwohl es uns finanziell nicht schlecht ging. Das schützt vielleicht ein wenig vor Hochmut.
Interview: Peter Neitzsch
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