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Millionengeschäft Abmahnung, stern.de

2. November 2011

Inkasso-Abzocke

Millionengeschäft Abmahnung

Mit Mahnbriefen an die Opfer von Abofallen verdienen Inkassobüros Millionen - und das schon seit Jahren. Die Justiz geht nur zögerlich gegen die Abzocker vor.

Von Peter Neitzsch

Das kleine Sternchen habe ich überhaupt nicht gesehen", sagt Doris Kall. Die pensionierte Lehrerin war in Eile, wollte noch schnell im Internet "den Weg von A nach B" nachschlagen. Fündig wurde sie auf der Seite Routenplaner.de. Alles schien ganz einfach: "Man gibt das Ziel ein, meldet sich an. Die gewünschte Route wird angezeigt, man druckt sie aus." Fertig. So dachte Kall, bis sie eine "Zahlungsaufforderung" über 96 Euro erhielt.

Die Rheinländerin ärgert sich maßlos, dass das ausgerechnet ihr passiert ist: "Wenn ich sonst im Internet irgend etwas einkaufe, werde ich immer gefragt, ob ich das auch will." Nicht so in diesem Fall. Nicht einmal eine Bestätigungsmail gab es von der Firma Webtains, die das Angebot betreibt. "Stattdessen wurde in der Rechnung gleich mit Mahnkosten gedroht."

So wie Kall ergeht es Hunderttausenden. Die Masche ist immer dieselbe: Kunden werden mit Lockvogelangeboten geködert, mal geht es um Gratissoftware, mal um Kochrezepte oder um Horoskope. Um das Angebot nutzen zu können, muss man sich mit Name und Adresse anmelden. Auf die Kosten wird entweder gar nicht hingewiesen oder nur versteckt - in den AGBs oder am Rand der Website.

"Man kommt gar nicht auf die Idee, dass das etwas kostet. Weil solche Dinge überall im Netz kostenlos angeboten werden", sagt Edda Castello von der Verbraucherzentrale Hamburg. Verbrauchern rät sie, auf keinen Fall zu zahlen: "Man kann sich durch Nichtzahlung und Sturheit dem Ganzen sehr gut entziehen." Das gelte auch dann, wenn die Mahnungen von Inkassobüros verschickt werden. Für Castello steht fest: "Inkassobüros sind die Handlanger der Abzocker. Die wissen ganz genau, dass sie unberechtigte Forderungen eintreiben."

Geld machen durch Einschüchterung

Auch Doris Kall braucht jetzt gute Nerven. Sie hat sich auf Anraten der Verbraucherzentralen entschlossen, nicht zu zahlen. Auf die Rechnungen werden Mahnungen folgen und auf die Mahnungen die Forderungsschreiben der Inkassobüros. Zur Rechnung werden Mahnkosten und Inkassogebühren kommen. Die Drohkulisse, die die Abzocker aufbauen, ist beachtlich: Schufa-Eintrag, Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher, Gerichtskosten, Verurteilung.

Die Opfer unter Druck zu setzen, funktioniert häufig. "Vielen Menschen bereitet das schlaflose Nächte", sagt Rechtsanwalt Benedikt Klas, Spezialist für IT-Recht. Hinzu kommt die vergleichsweise geringfügige Summe, die gefordert wird: "Die Beträge liegen meist unterhalb der psychologisch wichtigen Grenze von Hundert Euro", sagt Klas. "Da sagen sich viele: Lieber zahle ich und erspare mir den Ärger."

Wer in eine Abofalle getappt ist, solle sich von den Drohschreiben aber auf keinen Fall einschüchtern lassen. "Die ganz große Mehrheit der Amtsgerichtsurteile hat den geprellten Kunden recht gegeben", so der Rechtsanwalt. Ohnehin gebe es kaum Klagen. "Das dient alles nur der Einschüchterung."

Nach einem Jahr kommt die zweite Rechnung

Gut möglich, dass Doris Kall auch Post von der Deutschen Zentral Inkasso bekommt. Diese Firma mahnte in den vergangenen Wochen deutschlandweit im Massenversand Abofallen-Opfer ab. Das Berliner Inkassobüro treibt unter anderem auch die Forderungen von Webtains ein. Neben Routenplaner.de betreibt Webtains noch weitere Abofallen wie beispielsweise Gedichte-download.de. Der Firmensitz ist in Rodgau bei Frankfurt, in der Borsigstraße 35.

Weitere Firmen, die ihren Sitz in der Borsigstraße 35 haben, heißen: Premium Content, Content4U oder IContent. Das Geschäftsmodell ist immer dasselbe. Auch eine ProPayment GmbH, die Mahnungen verschickt, firmiert unter dieser Adresse. Das Firmengeflecht lässt sich im Wesentlichen auf einen Mann zurückführen: Michael Burat. Der windige Unternehmer fungiert mal als Geschäftsführer, ein andermal als Prokurist.

Für eine Stellungnahme gegenüber stern.de war Burat nicht zu erreichen. In einem Interview mit dem TV-Magazin "Akte 2011" weist er aber jede Schuld von sich, den Preishinweis mit Sternchen könne man gar nicht übersehen - "da muss man schon blind sein". Sein Geschäftsmodell nennt Burat: "Mehrwertdienste im Internet".

Wolfram Petsch weiß, wie dieser Mehrwert aussieht. Petsch schlägt sich bereits seit eineinhalb Jahren mit den Firmen des Herrn Burat herum. Bei dem Rentner begann es im April 2010. Petsch sagt: "Ich habe im Netz nach günstigen Einkaufsmöglichkeiten gesucht, da bin ich in diese Falle getappt." Die Website Outlets.de warb mit Schnäppchen, "mit denen Sie bis zu 80 Prozent sparen können". Von einem teuren Zwei-Jahres-Abo ist auf der Startseite nirgendwo die Rede. Besonders ärgerlich: "Die Informationen auf dieser Seite sind für mich absolut nutzlos", sagt Petsch.

Im Glauben an Recht und Gesetz bezahlt Petsch die Rechnung und kündigt schriftlich den Vertrag. "Der Ausdruck Outlet ist ja durchaus gebräuchlich, das ist das Perfide", sagt der ehemalige Berufsschullehrer. Petsch schreibt das Geld ab und glaubt, damit habe sich die Sache erledigt. Bis 2011 eine zweite Rechnung für das nächste Jahr kommt. "Da war für mich das Maß voll." Der 69-Jährige nimmt sich einen Anwalt.

Inkassofirmen sind Teil des Systems

Die Namen der Klienten von Benedikt Klas, zu denen nun auch Wolfram Petsch zählt, füllen bereits mehrere DIN-A4-Seiten. "Ich habe schon Hunderte Abofallenopfer vertreten", sagt Klas. "Oft können wir gar nicht alle Fälle annehmen und geben nur am Telefon Tipps, so viele sind es." Die Marke Outlets.de ist Klas bereits gut bekannt, sie gehört zu Burats Firma IContent. Der Rechtsanwalt sagt: "Burat ist einer der ganz Großen am Markt."

Und die Inkassofirmen sind Teil dieses Systems. "In der Regel stecken die Inkassobüros mit den Machern der Abzock-Sites unter einer Decke", sagt Klas. Die Geldeintreiber machen einen Großteil der Abwicklung aus und beeindrucken durch das vermeintliche amtliche Gütesiegel. "Seriöse Inkassobüros würden solche unlauteren Rechnungen nicht eintreiben."

Der Betreiber der Verbrauchersite Abzocknews.de, Adrian Fuchs, kann das nur bestätigen. Er sagt: "Als Inhaber der Domains werden häufig Strohleute vorgeschoben." Dahinter steckten jedoch Firmengeflechte wie das von Burat in Frankfurt. Ähnliche Strukturen würden auch in Hamburg, München oder Wien existieren. Mittlerweile listet Abzocknews.de mehr als 7000 Abofallen auf.

"Ein Wirtschaftskreislauf, von dem viele profitieren"

Die Masche hat nicht nur System, sie ist auch hoch profitabel: Allein die Deutsche Zentral Inkasso treibt derzeit 800.000 Forderungen ein. Frank Drescher, Prokurist der Firma, ist selbst ein Betreiber von Abofallen. Zu seinen Domains zählen: Drive2u.de und Live2gether.de.

Etwa sieben Prozent der Opfer zahlen laut Fuchs bereits bei der ersten Rechnung. Diese Zahl würde sich mit jeder verschickten Mahnung noch einmal um etwa fünf Prozent erhöhen. Insgesamt würden etwa 20 Prozent der vermeintlichen Schuldner zahlen. Von 800.000 Forderungen könnten also etwa 160.000 eingetrieben werden. Bei einer durchschnittlichen Abmahnsumme von 150 Euro kommen so Einnahmen von 24 Millionen Euro zustande.

In der Vergangenheit in ähnlichen Fällen beschlagnahmte Gelder, lassen diese Summe durchaus realistisch erscheinen. "Das ist ein Wirtschaftskreislauf, von dem sehr viele profitieren", sagt Fuchs. "Das Geschäftsmodell läuft, solange es läuft und ein Ende ist nicht in Sicht."

Verbraucherrechte werden nicht durchgesetzt

Die Abzockseiten sind das Krebsgeschwür des E-Commerce: Ist eine Domain verbrannt, treten zehn neue an diese Stelle. "Bei einer Niederlage vor Gericht wird dann eben unter anderem Namen eine neue Firma mit dem gleichen Geschäftsmodell gegründet", sagt Castello von der Hamburger Verbraucherzentrale. Die Leiterin der Rechtsberatung ist darüber empört: "Das Problem ist seit fünf Jahren bekannt und trotzdem wurde es immer noch nicht eingedämmt."

Brauchen wir schärfere Gesetze im Umgang mit den Betrügern? Rechtsanwalt Klas sagt: "Die Gesetzeslage ist ausreichend." Aus seiner Sicht mangelt es viel mehr an der Umsetzung: "Die Staatsanwaltschaften gehen diesen Delikten nicht energisch genug nach." Viele der einzelnen Betrugsfälle würden unter dem Radar der Gerichte durchlaufen, weil die Schadenssumme zu gering sei.

Doch es besteht Hoffnung, dass sich etwas ändert: Am 31. Oktober hat am Hamburger Landgericht ein Prozess gegen einen Zirkel von Abofallen-Betreibern aus Norddeutschland begonnen. Die Anklage lautet auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug. Es drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.


Zehn Tipps, wie Sie sich gegen die Abzocker wehren können, finden Sie hier: http://www.stern.de/wirtschaft/news/so-koennen-sie-sich-wehren-10-tipps-gegen-inkasso-abzocke-174375...








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