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Cachaça-Verkostung in Brasilien, SPIEGEL ONLINE

Caipifruta statt Caipirinha: Der Zuckerrohrschnaps Cachaça lässt sich mit fast allem mischen, was zwischen Amazonas und Rio Grande do Sul an bekannten und unbekannten Früchten wächst.

21. Januar 2014

Brasiliens Nationalschnaps Cachaça: Der Drink zur Fußball-WM

Wenn die ersten Fußball-WM-Spiele über die Bildschirme flackern, beginnt auch in Deutschland die Cachaça-Zeit. Brasiliens Nationaldestillat schmeckt nicht nur als Zutat für Caipirinha. In seiner Heimat wird der Zuckerrohrschnaps auch pur genossen - in Varianten vom Fusel bis zum Edelbrand.

Von Peter Neitzsch

Nichts da mit Grundlage: Zuerst kommt der Schnaps. "Nach dem Essen sind die Geschmacksnerven überreizt, und man hat keinen Sinn mehr für die Nuancen", erklärt Manoel Augostinho Lima Novo und bestellt. Als das Glas mit der goldgelben Flüssigkeit vor ihm steht, zeigt er, wie man's richtig macht: "Es gibt ein Ritual, Cachaça zu verkosten."

Erst einmal schwenken und riechen, dann eine Fingerspitze wie eine Parfumprobe auf dem Handrücken verreiben. Am Geruch erkennt man die besseren Tropfen, sagt der 61-Jährige: "Es ist schlecht, wenn Cachaça nach Medizin riecht oder nach Horn. Sie sollte nach Zuckerrohrsaft, nach Früchten oder Gewürzen riechen." Die "Germana" aus Minas Gerais riecht nach Vanille und Tabak. "Das kommt von den Eichenfässern, in denen sie gereift ist", sagt Novo.

1,3 Milliarden Liter des Zuckerrohrbrands produziert Brasilien im Jahr. Rund 60.000 Menschen arbeiten für die mehr als 4000 Cachaça-Produzenten. Knapp hundert Sorten hat allein die wenige Blocks vom Strand gelegene Bar Academia da Cachaça in ihren Regalen.

Ein Universum, das es zu erschmecken gilt

Wenn Novo von Cachaça redet, und das tut er fast ohne Unterlass, dann meint er "Cachaça Artesanal" - die traditionell gebrannte Variante. Das macht er schnell klar: "Ich trinke keine industriell hergestellte Cachaça." Bei den etwa zehn großen industriellen Marken würde nicht perfekt gefiltert, behauptet der Kenner. "Wenn Cachaça richtig destilliert wird, bleiben nur das Herz des Schnapses, Ethanol und die Aromen übrig."

Den individuellen Geschmack erhält das Destillat durch die Lagerung: Die Fässer, in denen Cachaça Artesanal reift, können aus 28 verschiedenen Holzarten gefertigt werden. "Das ist mehr als bei Rum, Whisky oder jedem anderen Schnaps", sagt Novo. Neben Fässern aus brasilianischen Hölzern wie Amburana oder Bálsamo werden am häufigsten solche aus Eichenholz verwendet, oft welche, in denen zuvor Whisky, Cognac oder Bourbon lagerte. Jedes verleiht Cachaça eine andere Note.

Ein Universum, das es zu erschmecken gilt. Der nächste Schritt der Verkostung: eine Fingerspitze der Flüssigkeit im Mund zergehen lassen. Dann folgt die eigentliche Kostprobe. "Erst der zweite Schluck schmeckt, der erste dient der Vorbereitung", sagt Novo. Der Sorte Cachaça "Seleta", die nun auf dem Tisch steht, hat ein Fass aus Amburanaholz die Farbe von Bernstein und das Aroma von Zimt verliehen. "Man muss seine Zunge studieren, um zu wissen, wo die verschiedenen Geschmacksnerven sitzen", sagt der Fachmann.

Seit seiner Pensionierung widmet sich der Bauingenieur ganz seiner Leidenschaft. Als Cachaçier bietet er professionelle Verkostungen und Workshops in Rio an, hält Vorträge im ganzen Land, sitzt in der Jury von Cachaça-Wettbewerben und hat auch ein Buch über den Nationalschnaps geschrieben. Ein Hobby ist diese Beschäftigung dennoch geblieben: "Das Geld, das ich mit Cachaça verdiene, gebe ich auch wieder für Cachaça aus", sagt er.

Novo ordert ein Glas mit der Sorte "Lua Cheia", was übersetzt Vollmond heißt. Die riecht nach Mandeln und schmeckt schärfer. Schuld daran ist das Bálsamo-Holz, das weniger durchlässig ist für Sauerstoff als Eichenholz und so für einen hohen Alkohol- und Fruchtsäuregehalt sorgt. Wie schon die "Selata" wird der Vollmond in Salinas im Bundesstaat Minas Gerais gebrannt. "Salinas ist die Cachaça-Stadt schlechthin", sagt Novo. Mithalten könne da nur noch Paraty im Bundesstaat Rio de Janeiro.

400 Jahre Erfahrung

Der Ort, an dem Cachaça vor mehr als 400 Jahren erfunden wurde, liegt etwa vier Fahrtstunden südlich von Rio. Die hügelige Landschaft rund um Paraty ist bestens geeignet, um Zuckerrohr anzubauen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in dem Kolonialstädtchen an der Atlantikküste noch rund 300 Cachaça-Produzenten. Heute sind davon nur noch sechs übrig. Eduardo Mello ist einer davon. Seine Cachaça, die Coqueiro, ist preisgekrönt.

Wenn Brennmeister Mello sich nicht um die Cachaça kümmert, nimmt er sich die Zeit, Besuchergruppen durch die Destille zu führen. Mit Hilfe von Walzen wird der süße Saft aus dem geschnittenen Zuckerrohr gepresst, das überall auf dem Gelände lagert. Anders als Rum, der aus bei der Zuckerherstellung anfallender Melasse gebrannt wird, wird Cachaça unmittelbar aus dem Zuckerrohrsaft vergoren.

24 Stunden lässt Mello den Saft in großen Bottichen fermentieren, bevor er zum Brennen in die Kupferkessel kommt. Um eine klare Cachaça zu erhalten, die für Cocktails wie die Caipirinha geeignet ist, muss das Destillat noch einmal drei Monate reifen. Ein Teil davon wird anschließend in Eichenholzfässern veredelt: Je länger die Lagerung, desto kräftiger werden Farbe und Geschmack. "Nach drei bis vier Jahren bekommt man bereits ein sehr gutes Ergebnis", sagt Mello. Einzelne Sorten würden weitaus länger reifen.

Echte Cachaça nur aus Brasilien

Den Zuckerrohrschnaps gibt es auch in den Varianten Banane, Ananas oder Açai, eine dunkle, beerenartige Frucht aus dem Amazonasbecken. Oder mit eingelegten Hummern oder Krebsen. Die Meerestiere in den Flaschen verleihen dem Schnaps eine fischige Note. Manoel Novo, der Purist, hält von solchen Spielereien wenig: Die einzigen wahren Zutaten sind für ihn Zuckerrohr und Wasser. Nur Sorten, die in Brasilien gebrannt wurden und einen Alkoholgehalt zwischen 38 und 48 Prozent aufweisen, dürfen sich Cachaça nennen. Der Rest ist Aguardente - Feuerwasser.

"Die Obergrenze für die Geschmacksnerven liegt bei fünf bis sechs Cachaças, sonst schmeckt man keinen Unterschied mehr", sagt Novo. Beim derzeitigen Stand der Verkostung ist das eine beruhigende Information. Endlich darf gegessen werden! Die Portionen sind - typisch brasilianisch - sehr groß: Mengen an gegrilltem Fleisch, Reis, Pommes frites, schwarze Bohnen, Farofa - goldbraun geröstetes Maniokmehl - und feurige Chili bilden die Grundlage. Dann wird der Digestif serviert: Cachaça. Was sonst?



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