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#Fridaysforfuture bei "Anne Will": Verändert die "Generation Greta" die Politik?


"Anne Will" mit Greta Thunberg:

"Ich bin Realistin. Ich sehe Fakten"

Anne Will wollte wissen, ob "die Generation Greta" die Politik verändere: Ihre Gäste diskutierten über schlaue Schüler und das Schwänzen. Und Thunberg selbst erklärte, woher ihre "radikale Entschlossenheit" kommt. Von Peter Luley



In der vergangenen Woche hatten bereits Frank Plasberg und Maybrit Illner über die aktuellen Jugendproteste getalkt, jetzt setzte auch Anne Will das Thema auf die Agenda. Ihr Alleinstellungsmerkmal: Sie hatte die schwedische "Fridays for Future"-Galionsfigur Greta Thunberg im Interview - wenn auch vom Band. Will hatte ihr Gespräch mit der 16-Jährigen am Samstag aufgezeichnet, als Thunberg in Berlin bei der Goldenen Kamera geehrt wurde. In der Talkshow wurde dann ein rund zehnminütiger Ausschnitt des Gesprächs gezeigt.

Die Schulpflicht-Debatte des Abends: Zuvor allerdings ging es um die mit den Demonstrationen einhergehende Verletzung der Schulpflicht. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hatte dafür kein Verständnis: Es handle sich nicht um Streiks, sondern "schlicht und ergreifend um Schuleschwänzen". Die Schüler schadeten damit nur sich selbst. Derselben Meinung war Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Er habe seinen Enkeln empfohlen: "Macht in der Zeit Physik, Meteorologie und Klimapolitik, und versucht euch so aufzurüsten, dass wir gemeinsam etwas auf den Weg bringen."


Die 19-jährige Klimaaktivistin Therese Kah erkannte dagegen ein "grundlegendes Missverständnis". Nicht in 15 Jahren gelte es zu handeln, sondern jetzt: "Wir haben nicht Zeit zu warten, bis mein Studium zu Ende ist." Unterstützung bekam sie von Grünen-Chef Robert Habeck, der darauf hinwies, das Ziel von Schule sei es doch, "mündige Bürger zu erziehen - und wenn das kein Beweis für Mündigkeit ist, was denn dann?"


Auch der Astrophysiker und TV-Moderator Harald Lesch fand, die Schulpflicht sei "unerheblich im Vergleich zur Klimakatastrophe". Seit 40 Jahren weise die Wissenschaft auf die Risiken hin, und die jungen Leute seien im Grunde die Einzigen, die das ernst nähmen. Schlusspointe Robert Habeck: Das sei doch der schlagendste Beweis gegen das Schwänzer-Argument: Die Demonstranten gingen auf die Straße, eben weil sie so gut in der
Schule aufgepasst hätten.


Video: Greta Thunberg unterstützt "Fridays for Future"-Proteste in Berlin


Die Greta-Thunberg-Botschaften des Abends: "Ich bin Realistin. Ich sehe Fakten." So beantwortete die 16-jährige Schwedin Anne Wills Frage nach dem Quell ihrer "radikalen Entschlossenheit". Als sie im August 2018 begonnen habe, vor dem schwedischen Parlament zu demonstrieren, habe sie keine Bewegung starten wollen. "Ich wollte nur tun, was ich tun kann." Die Frage, ob sich das bei ihr diagnostizierte Asperger-Syndrom auf ihre Haltung auswirke, bejahte sie: "Ohne die Diagnose hätte ich wohl so weitergemacht. Aber jetzt arbeite ich anders. Wenn mir etwas wichtig ist, mache ich das zu hundert Prozent."

Nicht verstehen könne sie "die Doppelmoral mancher Menschen", sagte Thunberg: "Für mich lebt man entweder nachhaltig oder nicht. Man kann nicht ein wenig nachhaltig sein." Dabei verlange sie nicht von allen, so konsequent zu leben wie sie: "Ich will nur, dass die Menschen sich selbst aufklären." Danach könnten sie entscheiden, ob sie "Opfer bringen" wollten.


Die von Will erwähnten Vorwürfe, sie schreibe ihre Reden nicht selbst und werde manipuliert, wies Thunberg von sich: "Es ist lächerlich, dass Menschen so wenig voneinander halten, dass sie versuchen, andere niederzumachen." Sie schreibe ihre Reden selbst, hole sich nur Informationen von Wissenschaftlern. Ob sie für Atomkraft sei? "Persönlich: nein", so Thunberg. Sie habe nur den Bericht des Weltklimarats IPCC zitiert, demzufolge Atomenergie "ein kleiner Teil einer Lösung ohne fossile Brennstoffe" sein könne. Ihre Mission sei es, "alles zu tun, um die Welt mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang zu bringen". Das aber werde nicht eine Person allein erreichen, dazu brauche es "Kooperation".


Der besondere Tipp des Abends: So konsequent wie Greta Thunberg, die nicht mehr fliegt und sich vegan ernährt, schaffe er nicht zu leben, gab Harald Lesch zu. Dafür baue er "radikale Brüche" in seinen Alltag ein, "zum Beispiel, sich überhaupt nicht zu bewegen". "Das tut dem Klima gut?", warf Anne Will leicht spöttisch ein. Aber Lesch blieb unbeirrt: Auf dem Sofa zu liegen statt wegzufliegen sei gut, Nichtstun könne Unheil verhindern.


Die Medienschelte des Abends: Er sei als Physiker ja durchaus sensibilisiert und in der Lage, das CO2-Thema einzuschätzen, erklärte Reiner Haseloff, um unvermittelt zu einer Medienschelte anzusetzen: "In welcher Medienwelt leben wir, dass ein Rechtsbruch nötig ist, damit darüber berichtet wird?" Sicherheitshalber fragte Will nach, ob er dabei noch mal auf die Verletzung der Schulpflicht anspiele. Später hatte der Ministerpräsident noch mehr zu monieren: "Warum laufen die Sendungen von Herrn Lesch so spät?" Es gebe da doch einen öffentlichen Auftrag!


Die Partei-Polemik des Abends: Kam ebenfalls von Haseloff: "Wenn alle Grünen-Wähler den gleichen CO2-Ausstoß hätten wie die CDU-Wähler, dann würden wir das Klimaziel 2020 erreichen." Auf Wills Einwand, das habe sie jetzt nicht verstanden, bekräftigte der Ministerpräsident: Das sei "durchgemessen worden, wie die CO2-Emissionen der einzelnen Bevölkerungsschichten bezüglich ihrer parteilichen Affinität sich niederschlagen, und da sind wir die defensivsten."


Grünen-Chef Habeck ließ die These lässig abtropfen und stellte nur fest, dass das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu verringern, nicht erreicht worden sei: "Wir sind super darin, zu sagen, was wir 2030, 2040, 2050 machen, aber miserabel darin, in Legislaturperioden was umzusetzen." Die gute Nachricht sei, "dass wir alle Möglichkeiten haben: Wir haben kein Erkenntnisdefizit und die technischen Möglichkeiten entwickelt". Es fehle nur der politische Wille. Das kürzlich eingesetzte Klimakabinett verglich er mit einem "Kaffeekränzchen".


Der Kohle-AfD-Zusammenhang des Abends: Den Kohleausstieg auf das Jahr 2038 zu terminieren sei "kein künstliches Datum", verteidigte Reiner Haseloff den Beschluss der Kohlekommission, der er selbst angehört hatte. Vielmehr handle es sich um einen Kompromiss, die Ziele seien fundiert. Überdies müsse man "die technischen Alternativen im Blick haben" und "die Menschen mitnehmen": "Gucken Sie sich mal in meinem Land um, wo die Direktmandate der AfD entstanden sind: im Revier, nicht irgendwo anders."

FDP-Politiker Kubicki pflichtete ihm bei ("Wo Menschen Existenzangst haben, wählen sie radikal") und sprach sich dafür aus, CO2-Emissionen stärker zu bepreisen, um so "die Innovationen hervorzulocken, die notwendig sind". Habeck indes wollte das AfD-Argument nicht gelten lassen: Erst habe man den Flüchtlingen die Schuld am Erstarken der Rechtspartei gegeben, jetzt dem Klimaschutz: "Bei aller Verachtung für die AfD: Sie kann nicht für alles herhalten." Es sei jetzt politische Führung gefordert.


Die Wohlstands-Klimaschutz-Abwägung des Abends: Ob Wohlstandswahrung noch gegen Klimaschutz stehe, wollte Anne Will von Robert Habeck wissen. Genau andersrum sei es, befand der Grünen-Vorsitzende: Zu wenig Klimaschutz sei die "sicherste Garantie für Wohlstandsverlust und auch für De-Industrialisierung". "Wenn wir ein demokratisches Gemeinwesen erhalten wollen, dann müssen wir die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten." Das "dümmliche Entgegensetzen von Wohlstand und Klimaschutz" sei ein Rückfall in die Sechzigerjahre.


Das fand auch Aktivistin Therese Kah: Die Klimakrise stehe nicht im Gegensatz zur sozialen Frage, sondern sei "die drängendste aller sozialen Fragen". Und dann fügte sie noch an: "Was ist denn mit meinen Existenzängsten?"

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