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Brexit-Talk bei "Maischberger": Martin Schulz muss sich beherrschen

In vielen EU-Ländern erstarkt der Nationalismus, Sandra Maischberger wollte deshalb von ihren Gästen wissen: "Ist der Brexit erst der Anfang?" Dabei kam besonders der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz richtig in Fahrt. Von Peter Luley


Die Brexit-Spekulationen des Abends: Zum Einstieg wurde Theresa Mays Antrag auf Aufschub bis zum 30. Juni erörtert und mit ein paar Spekulationen über den Fortgang des Dramas angereichert. Der frühere "heute journal"-Moderator Wolf von Lojewski, 81, steuerte Anekdoten über den Parlamentssprecher John Bercow bei ("genießt es zu glänzen, wie seine Frau"). Die in Deutschland lebende britische TV-Produzentin Shona Fraser ("Love Island") äußerte ihre "größte Hoffnung", es könne doch noch ein weiteres Referendum geben. Und Martin Schulz bekundete Mitleid mit der Premierministerin angesichts des "verantwortungslosen Parlaments", das ihn an Weimar erinnere und "taktische Spielchen zulasten des britischen Volks" spiele.

Ob es doch noch einen Exit vom Brexit geben könne, fragte Sandra Maischberger den Brüsseler ARD-Hörfunkkorrespondenten Ralph Sina. Der schlug vor, May könne doch "die Notbremse ziehen" und gemäß EuGH-Urteil einseitig "den Scheidungsantrag zurückziehen". Petra Steger, FPÖ-Kandidatin für das Europaparlament, bestritt, dass ihre Partei sich über das Austritts-Referendum gefreut habe. Der rechtskonservative Publizist Roland Tichy beklagte eine "übertriebene Zentralisierung der EU seit 2015", diese lehnten viele Länder ab.

Die Albanien-Diskussion des Abends: Nachdem ein Einspielfilm darüber informiert hatte, dass die EU mit Großbritannien ihre zweitstärkste Volkswirtschaft verlieren würde - aber dafür derzeit Beitrittsverhandlungen mit mehreren Balkanstaaten führe, etwa Albanien - ging es erstmals höher her. "Toller Tausch", kommentierte Tichy, während Schulz bekannte, er sei "von den Socken" angesichts dieser Darstellung. "Es wird in absehbarer Zeit keine weiteren Beitritte geben, da sorgt schon die österreichische Regierung dafür", sagte er in Richtung Petra Steger, die das "respektlos" fand.

Schulz aber fuhr fort: Der Beitritt der Balkan-Staaten sei ein "Prozess von 15 bis 20 Jahren", zunächst müssten die Länder die Kriterien erfüllen. Steger entgegnete, Österreich sei "für die Heranführung des Westbalkans an Europa, schon allein aus sicherheitspolitischen Gründen". Lediglich gegen einen Beitritt der Türkei sei man: "Wir wollen nicht, dass eines der größten EU-Länder ein muslimisches ist."

Die Grundsatzfrage des Abends: "Wer ist die EU?", warf Martin Schulz rhetorisch fragend in die Runde, als ARD-Mann Sina ein EuGH-Urteil gegen den britischen Staubsauger-Unternehmer James Dyson als "desaströsen Fehler" der EU bezeichnet hatte. Schulz stellte klar, der unabhängige EuGH sei nicht die EU, sondern nur ein Organ. Die EU sei vielmehr "eine Union von 27 souveränen Staaten, die sich einen Vertrag gegeben haben". Alles, was Kommission und Rat machten, hänge von der Zustimmung der Mitgliedstaaten ab. Eben, konterte Tichy, das "amorphe Gebilde EU" sei "zunehmend intransparent" und löse Widerstand bei der Bevölkerung aus, deshalb gebe es vielfach eine "Rückbesinnung auf die Nationalstaaten". Was Maischberger die Überleitung zum Populismus-Thema bescherte.


Der Schlagabtausch des Abends: Nach einem Einspieler mit Anti-EU-Zitaten von unter anderem Viktor Orbán und Matteo Salvini wollte Maischberger von Petra Steger wissen, warum die Kritiker nicht wie die Briten die EU verlassen würden. "Es geht nicht um fundamentale Kritik", erklärte diese, "wir wollen ein Europa der starken Nationalstaaten, das subsidiär aufgestellt ist." Man dürfe "nicht die Kritiker verteufeln". Da traf sie wieder auf Martin Schulz.

"Die Entscheidungen des 21. Jahrhunderts machen es nötig, dass der Nationalstaat ergänzt wird", so der SPD-Politiker. Populisten seien gefährlich, "weil sie erzählen, dass das der falsche Weg ist". Im Übrigen dürfe man Muslime nicht so betrachten wie die FPÖ. Da brauchte Maischberger nur noch einzuwerfen, dass Schulz den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache ja mal Nazi genannt habe, um den Schlagabtausch des Abends zu provozieren. Ja, erklärte Schulz, "die rassistischen Bemerkungen des Herrn Strache sind auch heute noch nicht aus der Welt zu schaffen". Steger wiederum fand es "extrem verwerflich, mit Worten wie Nazis um sich zu werfen". Dies verharmlose den Nationalsozialismus und diffamiere Wähler.

Der Schulz-Ausbruch des Abends: Laut einer Umfrage glaube in acht von zehn EU-Ländern eine Mehrheit, dass die EU die Bedürfnisse ihrer Bürger nicht mehr verstehe, so Sandra Maischberger. Ob das für ihn als langjährigen EU-Parlamentarier nicht eine Ohrfeige sei, wandte sie sich an Schulz. Diese Frage koste ihn "echte Beherrschung" erklärte der, wo er doch "gebetsmühlenartig" gegen das Demokratie-Defizit angeredet habe. Aber die Regierungschefs seien derartig zerstritten, dass er damit nicht durchgedrungen sei.


"Wenn wir etwas falsch gemacht haben, dann genau das: dass wir die Kompetenz-Ordnung der EU nicht so austariert haben, dass die EU für die wirklich großen Dinge - Klimawandel, Finanzpolitik, Steuerflucht, Außengrenzensicherung - zuständig ist und dass wir uns nicht mit der Verkehrspolitik im Großraum Salzburg beschäftigen." Nun brauche man einen "völlig neuen Anlauf".


Die Macron-Debatte des Abends: Ob der neue Anlauf wohl in den Reformideen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bestehen könne, war das naheliegende Anschlussthema - also in mehr EU, der Schaffung eines europäischen Finanzministeriums, einheitlichen Steuern und Mindestlöhnen. "Was nicht funktioniert, muss man verdoppeln", ätzte da Roland Tichy, und auch Ralph Sina und Petra Steger äußerten sich skeptisch. Die Staaten seien einfach zu unterschiedlich für ein Konzept der "Vereinigten Staaten von Europa", man solle sich lieber auf Außengrenzschutz und eine Reform des Asylsystems konzentrieren, so Steger. Lediglich Schulz verteidigte die Vorschläge Macrons.

Das Schlusswort des Abends: Sprach mit erfrischendem Realismus die Britin Shona Fraser. Ob ihre Landsleute, wenn sie die Sendung gesehen hätten, wohl Lust hätten, wieder in die EU zu kommen oder den Brexit zu stoppen, wollte Sandra Maischberger wissen. "Ich befürchte, wenn die Briten heute zugeschaut hätten, hätten die vieles nicht verstanden", sagte Fraser.


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