Drei Jahre mit Familie Schöfl: Die Langzeitdoku "Früher oder später" zeigt Bauern, die als Bestatter arbeiten. "Six Feet Under" in der Oberpfalz, toll! Von Peter Luley
"Als Frau und als Städterin" sei es erst mal "eine harte Nuss" gewesen, die Protagonisten überhaupt für ihr Filmprojekt in der bayerischen Provinz zu gewinnen, so Regisseurin Pauline Roenneberg in einem Interview. Um Vertrauen aufzubauen, machte die Absolventin der Münchner Filmhochschule mitsamt ihrem Team ein 14-tägiges Praktikum bei Ernst und Roswitha Schöfl: Das Paar aus dem oberpfälzischen Schönsee betreibt im Hauptberuf einen Milchbauernhof.
Weil der aber nicht mehr genug zum Leben abwirft, verdienen sich die Schöfls als Bestattungsunternehmer etwas dazu. Nach der Hospitanz durften Roenneberg und ihre Crew über drei Jahre hinweg immer wieder kommen, um dieses "Doppelleben" zu porträtieren.
So konnte die Regisseurin für ihre 120-minütige, in vier Teile gegliederte Doku-Serie nicht nur reichhaltiges Material über die Arbeitsteilung der Schöfls im Stall wie auf dem Friedhof sammeln, sondern auch Entwicklungen dokumentieren: Während in Folge eins noch freudig der Geburt eines Kalbs beigewohnt wird, erweist sich das Jungrind in Folge zwei als so bockig, dass Bauer Ernst seine Frau mit der Aussicht tröstet, es nächstes Jahr als Wurst essen zu können.
Der trockene Umgang mit dem Kreislauf des Lebens ist angesichts des Nebenerwerbs der Schöfls natürlich ohnehin das bestimmende Thema - wobei neue Aufträge, manchmal dringend erwartet, stets mit einem Telefonat beginnen, das Bäuerin Roswitha entgegennimmt: "Schöfl - Oh, mein Beileid."
Pauline Roenneberg hat diesen Alltag in humorvollen Bildern und (hochdeutsch untertitelten) Dialogen eingefangen, die sie gelegentlich mit zeitgemäßer Volksmusik wie dem "Deifedanz" der Band Dreiviertelblut unterlegt.
Im Lauf der Dreharbeiten hatte die Filmemacherin das Glück der Tüchtigen: Eine vegane Freidenker-Kommune kaufte das leerstehende Jagdhotel im Ort - ein Aufreger in der traditionsbewussten katholischen Bevölkerung. Da sie auch hier Zugang fand, bot sich Roenneberg die Gelegenheit, Eindrücke aus noch einer ganz anderen Welt in ihre Beobachtungen hinein zu montieren.
Fragen wir die "Lichtintelligenz"
So zeigt sie eine hochschwangere Metzgerstochter, die in die Kommune einzieht, bei einer Rede über Tierkommunikation. Oder sie begleitet die Kommunarden beim Versuch, durch Befragung der "Lichtintelligenz" den richtigen Platz für einen Tierfriedhof zu finden. Dabei gelingt es ihr, nie jemanden für einen billigen Effekt der Lächerlichkeit preiszugeben, sondern die Szenen für sich sprechen zu lassen.
Mit derselben Lakonik porträtiert sie den Kirchenchor der Gemeinde, der auch auf den Trauerfeiern singt. Auf einer Busreise nach Dresden stimmt das wackere Ensemble erst mal den Kanon "Froh zu sein bedarf es wenig" an, um dann auf einem Raststätten-Parkplatz kollektiv mitgebrachte Würstchen aus dem Glas zu verzehren. Und dann ist da noch der junge Ministrant Tobias, der schon mal nachts zur Kommune hochläuft, um nach den Meditierenden zu schauen, was einen Hauch von Coming of Age in die Milieustudie einbringt.
All diese Charaktere ergeben einen Figurenkosmos, der durch Montage und Musik, durch wiederkehrende Motive und Sentenzen fast fiktional anmutet. Wenn Ernst Schöfl zur Beerdigungszeremonie seine Kappe aufsetzt, liegt der Gedanke an die Bestattersaga "Six Feet Under" jedenfalls nicht fern, und auch Heimatkomödien wie "Wer früher stirbt ist länger tot" lassen grüßen.
Die kühnste Pointe dieser tollen Arbeit, die doch eigentlich nur zeigen will, was im echten Leben auf engem Raum so alles nebeneinander existiert, hält dann der letzte Teil bereit. Wenn sich da der Leiter des Kirchenchors in die Kommune begibt, um ungelenk, aber allen Vorurteilen zum Trotz Nachwuchs anzuwerben, wird aus dem Neben- sogar ein zaghaftes Miteinander.
"früher oder später", Mittwoch 22.45 Uhr, BR (alle Folgen am Stück) sowie drei Monate in der BR-Mediathek
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