Haben DDR-Behörden die Rote Armee Fraktion mit Morden beauftragt? Der ZDF-Film "Verräter" entwickelt aus diesem Szenario einen furiosen Thriller.
Von Peter Luley
Es beginnt wie einer dieser routinierten Krimis vor regionaler Kulisse, die im ZDF stets am Montag laufen: Rügen 1988, eine Frauenleiche wird aus dem Meer geborgen, Mitte 30, Kopfschuss, vielleicht ein Fall von Republikflucht, wie kürzlich schon mal in dem Abschnitt. Nur dass die Grenzbrigade keine Schüsse gemeldet hat.
Der junge Volkspolizist Martin Franzen (Albrecht Schuch), dessen Mutter "rübergemacht" hat, wird mit der Angelegenheit betraut. Er stößt auf Ungereimtheiten, bekommt aber signalisiert, dass Wegschauen ihn jetzt weiterbrächte. Er raucht, säuft und trommelt sich den Frust am Schlagzeug aus dem Leib. Aber er gelangt auch an einen hinterlassenen Brief der Toten, der für eine gewisse N. in Berlin bestimmt ist und entscheidet sich, sie aufzusuchen.
Und da, nach etwa einer halben Stunde, fängt dann noch mal ein neuer Film an, der mit Routine nichts zu tun hat.
Nina (Hannah Herzsprung), die in einer abgedunkelten Wohnung haust, erweist sich als untergetauchte Ex-RAF-Terroristin aus der BRD, die sich für eine neue Identität der Stasi ausgeliefert hat; die Tote war ihre Schicksalsgenossin und Vertraute. Vom ersten Moment an, als Martin bei ihr klingelt und sie ihm mit Gesten bedeutet, dass sie abgehört werde, sind die zwei Komplizen.
Volkspolizist trifft RAF-Aussteigerin
Nach einer kleinen Showeinlage fürs Tonbandgerät gehen sie zum Reden raus. "Nehmen Sie mich in den Arm, los jetzt, Paare fallen nicht so auf", blafft Nina den ihr Fremden an. So misstrauisch sie sich begegnen, so anrührend und auch komisch verläuft ihre Annäherung. Um sich gegenseitig zu beweisen, dass sie nicht verkabelt sind, ziehen sie sich im Lagerraum eines Restaurants voreinander aus; sie lässt ihre Augen wandern und beiden huscht ein Lächeln übers Gesicht.
Der Plot "Volkspolizist trifft RAF-Aussteigerin" mag zunächst unwahrscheinlich klingen, doch Regisseurin Franziska Meletzky, die bereits in dem starken ARD-Psychothriller "Es ist nicht vorbei" DDR-Geschichte verarbeitet hat, gelingt es, ihn zwingend zu inszenieren, indem sie ihre Protagonisten als Getäuschte zeichnet, die gemeinsam aufbegehren. Während Nina wissen will, warum und wie ihre Vertraute gestorben ist, versucht Martin das für ihn Unfassbare zu verstehen: Die Staatssicherheit kooperiert mit West-Terroristen?
Geschickt bewegt sich das Drehbuch von Stefanie Veith und Nils Willbrandt, das auf dem Roman "Innere Sicherheit" von Christa Bernuth basiert, auf neues Terrain. Verbürgt und bekannt ist, dass RAF-Aussteiger in den Achtzigerjahren Zuflucht in der DDR fanden; auch Volker Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuss" erzählte davon. Hier wird darüber hinaus noch spekuliert: Was, wenn die Stasi sogar Ziele der RAF beeinflusst hat? Und welche Rolle spielte der BND?
Als Ninas Führungsoffizier ankündigt, sie werde nun für eine Aktion gebraucht - ein namentlich nicht genannter BRD-Banker, der aber an den 1989 von der RAF ermordeten Alfred Herrhausen erinnert, soll ins Visier genommen werden -, springt sie kurzerhand zu Martin ins Auto: "Ich bin's, fahr los!" Sie fuchtelt ein bisschen mit ihrer Waffe herum, er mit seinen Handschellen, dann geht es Richtung Ostsee, denn ihre Freundin hatte geschrieben, dass dort der einzige Mensch sei, der ihr helfen könne. Und Martin Franzen ahnt, um wen es sich handelt.
Dafür, dass das Spekulative nicht stört, sorgen alle Gewerke, von der Ausstattung bis zur Bildgestaltung (Kamera: Bella Halben) - gemeinsam lassen sie eine authentisch wirkende DDR wiedererstehen. Furios aber vor allem, wie die Hauptdarsteller Herzsprung und Schuch auf den Beklemmungs-Thriller eine flirrende Roadmovie-Romanze draufsetzen, wie sie der Atmosphäre permanenten Unbehagens ein paar starke Momente abtrotzen.
Die Staatssicherheit und bald auch eine Großfahndung im Nacken, fliehen die beiden in "Bonnie und Clyde"-Manier über Landstraßen und durch Felder, erst in seinem weißen Lada, dann in einem roten, den sie kurzgeschlossen haben, und während er noch immer hadert, hat sie bei ihm längst eine Verlorenheit erkannt, die sie verbindet. Die anrührendste Szene spielt sich ab, als die Lage schon verzweifelt ist. Da dreht sie das Radio an und fängt an mitzusingen: "Sterne sind dabei, sie gehen zueinander, unerhört alleinsam, tanzen sie gemeinsam." Erst zögerlich, dann mit Inbrunst stimmt er ein: "Die Sterne sind, die Sterne sind dabei."
Es passt zu diesem liebevoll gefertigten, seltsam schillernden (und leider etwas unter Wert betitelten) TV-Juwel, dass man sofort glaubt, bei dem Lied müsse es sich um einen echten DDR-Schlager handeln. Tatsächlich hat Komponist George Kochbeck das Stück eigens für den Film geschrieben, der Text stammt von der Regisseurin.
"Verräter - Tod am Meer", Montag, 20.15 Uhr, ZDF
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