Peter Eichhorn

Freier Journalist und Autor / Kulinarik, Reise, Berlin

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Bier und Craft Beer - Die neue Biervielfalt hält Einzug |

Wenn es um Bier geht, so gilt die Liebe der Deutschen ihrem bewährtem Pils. Der Braustil führt mit Abstand die Verkaufsränge an. Nur in Bayern liegt das Weizenbier vorne. Nun gesellen sich zu den bewährten Marken in den Getränkemärkten und an die gastronomischen Tresen immer mehr abwechslungsreiche und aromatische Biere, an die sich manch hiesiger Gaumen erst gewöhnen muss.

Stolz verweisen wir hierzulande auf eine stolze Brautradition und einen ansehnlichen Bierdurst. Dass die neue Biervielfalt nun ausgerechnet von den USA ausgeht, deren dünnflüssige Industriebiere in Europa gerne mitleidig verlacht wurden, mag da zunächst irritieren.

Die Bierrevolution der USA

Dabei belegen historische Quellen, dass die Geschichte der Vereinigten Staaten ohne den Bierdurst der europäischen Einwanderer womöglich ganz anders verlaufen wäre. Im Logbuch der "Mayflower", jenem berühmten ersten Aussiedlerschiff, mit dem die frühen Pilgerväter und -mütter den Weg über den großen Teich antreten, steht zu lesen, dass 1620 Plymouth Rock als erste Anlegestelle diente, weil an Bord das Bier ausgegangen sei. Das Wasser auf dem Schiff war unsauber und sorgte für Erkrankungen, daher landete das Schiff an dieser Stelle im heutigen Bundesstaat Massachusetts.

Insbesondere deutsche und böhmische Auswanderer prägten in der Folge das Braugeschehen der Neuen Welt. Für einen Einbruch sorgte die Prohibition, die von 1919 bis 1933 alle Produktion und jeglichen Handel mit Alkohol untersagte, was Alkoholschmuggler wie Al Capone und George Remus unterwanderten. Zahlreiche Brauereien mussten schließen und fade Industriebiere prägten in der Folge die Bierkrüge des Landes. Zahlreiche Folgegesetze jener Prohibitionszeit bleiben erhalten (manche bis heute) und so galt das Verbot, privat zu brauen, bis weit in die 1970er Jahre hinein.

Zu jener Zeit kann sich der amerikanische Mittelstand erstmals eine Flugreise nach Europa leisten. Immer mehr US-Bürger kommen in Genuss von belgischen Klosterbieren, britischen Bitter-Ales und deutschem Pils. Zurück in der Heimat gibt man sich mit den Brauwaren nicht mehr zufrieden. Der politische Druck wächst und 1979 unterzeichnet Präsident Jimmy Carter die Verordnung H.R. 1337, die das Verbot des Heimbrauens aufhebt. Im selben Jahr gründen sich eine Handvoll Brauereien im Lande. Heute zählen die USA an die 6.000 davon. Der Begriff "Craft Beer" ist geboren und steht für handwerklich gebraute Biere aus kleinen, unabhängigen Brauereien.

Tradition und Innovation

Einige der frühen Wegbereiter sind mittlerweile auch im hiesigen Fachhandel zu bekommen, wie Anchor Brewing, Boston Beer Company, Samuel Adams, Widmer Brothers und die Brooklyn Brewery. Die US-Brauer gehen innovativ ans Werk, ohne das Erbe der europäischen Braunationen zu verleugnen. Die USA verfügen über gewaltige Hopfenanbaugebiete, insbesondere in Washington und Oregon. Dort kultivieren sie klassische Hopfensorten, aber sie entwickeln zudem Neuzüchtungen, deren Aromen den Bieren völlig neue Aromen von floral bis tropenfruchtig verleihen.

Bei den Bierstilen stürzen die Microbrewer sich auf europäische Varianten, die dort vom Aussterben bedroht sind, weil sich viele Produzenten auf untergärige Massenbiere begrenzen und andere Biergattungen zunehmend aus dem Sortiment streichen.

Innbegriff der Craft Beer Revolution wird das IPA - India Pale Ale. Ursprünglich ein britischer Braustil, der auf dem Pale Ale basiert, einem obergärigen Klassiker, der in Burton-on-Trent nahe Birmingham perfektioniert wird. Um in Zeiten vor dem Bau des Suez-Kanals den langen Seeweg in die indischen Kolonien zu überstehen, musste Bier kräftiger eingebraut werden. Also alkoholstärker und mit mehr Hopfen. Hopfen sorgt nicht nur für Schaum und Aromatik, sondern auch für die Haltbarkeit des Bieres. Als Mitarbeiter der Handelsgesellschaften und Soldaten in die Heimat zurückkehren, vermissen sie den Bierstil, den sie in Übersee schätzen gelernt hatten. Und die britischen Brauereien kommen im frühen 19. Jahrhundert dem Wunsch nach dem kraftvollen Gebräu gerne nach. Mit der Zeit geriet India Pale Ale dann aber zunehmend in Vergessenheit.

Nicht nur Indien

Nun dreht sich die Geschichte um. Eine zunehmende Zahl von reisenden besucht die USA und lernt dort die Ergebnisse der dortigen Bierrevolution kennen. Double India Pale Ale, Imperial Stout, Barley Wine, Sauerbiere und die Hopfenvielfalt von Citra über Centennial bis zu Cascade beeindrucken die Biertrinker der Kontinente. Überall in der Welt sprießen neue Brauprojekte, oft von Hobbybrauern und Quereinsteigern initiiert, aus dem Boden. Skandinavien, Italien, Japan, Brasilien, Israel - eine lange Brautradition ist nicht nötig, um sich für die neue Biervielfalt zu begeistern.

Nur in Deutschland ist lange nichts zu spüren, von der spannenden Biervielfalt und den Weltweiten Brautrends. Wozu auch? Der markentreue Deutsche kauft klassisch sein bewährtes Pils billigst im Sonderangebot und ist damit insgesamt zufrieden, es löscht ja den Durst. Und wer in Franken lebt, der hat die Biervielfalt ja sowieso nie verloren, wie andere Regionen. Mit Festbier, Rauchbier, Märzen, Export, Helles, Eisbock oder Doppelbock gab es von hunderten Brauereien stets das passende Bier zur entsprechenden Gelegenheit.

Deutschland zuletzt

In Berlin investierte jüngst die kalifornische Kult-Brauerei Stone Brewing 25 Millionen Dollar in die "Stone Brewing World Bistro & Gardens", die auf auf 2.400 Quadratmetern Brauerei, Restaurant und Biergarten betreibt. Gründer und CEO Greg Koch beobachtet bereits seit Längerem den deutschen Markt und hat eine einleuchtende Erklärung dafür, dass Deutschland so spät die Kreativbier-Vielfalt entdeckt: "In den USA war der Handlungsbedarf groß. Damals gab es ja nur die fade, blonde Industrieplörre. Im direkten Vergleich zu diesen sind die Industriebiere aus Deutschland sehr aromatisch und von guter Qualität. Der Leidensdruck war somit deutlich geringer." Hinzu kommt, dass die Preise sehr günstig sind und viele Verbraucher erst lernen müssen, dass gute Rohstoffe und sorgfältige Verfahren auch bei Bier ihren Preis haben müssen.

Erst um das Jahr 2010 kommt auch in Deutschland Bewegung in den Biermarkt. Erste Brauer bringen ihrem Publikum die Biervielfalt und das Aromenspektrum von Hopfen näher. Noch heute erfreuen sich die Fans an den handwerklichen Bierpionieren der ersten Stunde, wie Freigeist Bierkultur, AleMania, PAX-Bräu, Brewbaker, Braukunstkeller, Hopfenstopfer, Camba Bavaria oder Kiesbyes Waldbier. Einige davon beginnen als "Wanderbrauer" oder "Gypsy Brewer", ohne eigene Braustätte und stattdessen zu Gast bei befreundeten Brauereien.

Auch die Industrie selbst reagiert und so gründet die Radeberger Gruppe mit Braufactum eine Craft Marke, deren Budget und Initiative dem Thema Genussbier insgesamt zu größerer Aufmerksamkeit verhilft.

Heute vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neues Brauprojekt gegründet wird oder eine neue Bierbar ihre Pforten öffnet. Beinahe ausgestorbene Bierstile, wie Grutbier, Leipziger Gose, Berliner Weisse oder Lichtenhainer. Auch entdecken immer mehr Restaurantbetreiber, wie herrlich man mit einem Bier in der Getränkebegleitung die Gäste überraschen kann. Das Durstbier wird immer willkommen und wertgeschätzt bleiben. Aber es ist eine vortreffliche Zeit, um Bier nun in seiner Vielfalt als Genussmittel neu zu entdecken.

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