Peter Dörrie

Freier Journalist und Analyst, Münster

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Ein Fahrrad als Lockmittel - Kinderarbeit und Kinderhandel im Kakaoanbau

Für viele Kinder in Deutschland gibt es kein schöneres Geschenk als eine Tafel Schokolade. Im westafrikanischen Land Elfenbeinküste verbinden Kinder mit Kakao dagegen oft gemischte Gefühle. Denn hier, wo jede dritte Kakaobohne weltweit geerntet wird, ist Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen immer noch die Regel.

Etwa 800.000 Kinder arbeiten auf ivorischen Kakaofarmen. Sie ernten Kakaoschoten, jäten Unkraut, pflegen die Bäume, befreien die Bohnen aus der Schote mit Macheten und sind an den ersten Verarbeitungsschritten beteiligt, die aus einer unscheinbaren Bohne die ultimative Süßigkeit machen. Nicht in jedem Fall ist diese Arbeit ausbeuterisch - auch in Deutschland helfen viele Kinder in der Landwirtschaft oder im Familienbetrieb. Aber für mehr als eine Viertelmillion Kinder ist die Arbeit auf den Kakaofeldern so schwer oder gefährlich, dass sie eigentlich durch internationale Abkommen und die Gesetze der Elfenbeinküste verboten ist.

In einem Bericht der britischen Organisation Anti-Slavery International erzählt etwa ein junger Erwachsener, der als 14-Jähriger auf einer Kakaoplantage zu arbeiten begann, dass er täglich neun Stunden harte Arbeit leisten musste. Dazu gehörte auch das Tragen der schweren Säcke voller Kakaobohnen. Besonders gefährlich ist das Beseitigen von Unkraut und Unterholz zwischen den Bäumen: Viele Kinder verletzen sich mit den scharfen Macheten, und im Gebüsch lauern oft Giftschlangen.

Bei einer Untersuchung des US-amerikanischen Payson Centers for International Development über die Zustände im ivorischen Kakaosektor gab die Hälfte aller Kinder an, sich in den letzten zwölf Monaten bei der Arbeit verletzt zu haben. Vier von fünf klagten über das Tragen von zu schweren Lasten, und auch der massive Einsatz von Pestiziden auf den Feldern birgt erhebliche gesundheitliche Gefahren.

Besonders benachteiligt sind jene Kinder, die nicht für ihre eigenen Eltern arbeiten. Die hiervon betroffenen Jungen gehen nur zu 40 Prozent in die Schule, Mädchen noch seltener. Insgesamt arbeiten knapp 150.000 Kinder in der Elfenbeinküste auf den Kakaofeldern fremder Familien.

Nicht alle diese Kinder sind unfreiwillig dort. In vielen afrikanischen Ländern ist es üblich, dass Kinder bei Verwandten unterkommen, wenn dadurch etwa der Schulbesuch oder eine bessere Versorgung gewährleistet werden kann. In der Elfenbeinküste gibt es allerdings bis heute viele Fälle von Zwangsarbeit und Kinderhandel. Rund 20.000 Kinder, die hier arbeiten, stammen aus anderen Ländern. Wie viele Kinder aus der Elfenbeinküste selbst Opfer von Kinderhändlern werden, darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen.

Kinder werden getäuscht und ausgebeutet

Kinderhandel nimmt dabei ganz unterschiedliche Formen an. Am stärksten betroffen sind Kinder aus den nördlichen Nachbarländern Burkina Faso und Mali. Zum Teil werden sie mit Versprechen gelockt und schließen sich freiwillig und ohne das Wissen ihrer Eltern den Kinderhändlern an. So berichtet etwa ein Kind aus dem burkinischen Ort Letiefesso, dass ihm ein Vermittler ein Fahrrad versprochen hatte und es deshalb mit neun Jahren ohne das Einverständnis seiner Eltern in die Elfenbeinküste reiste.

Statt das erhoffte Fahrrad zu erhalten, landete das Kind laut Anti-Slavery International aber in Verhältnissen, die an Sklaverei erinnern: „Ich erinnere mich nur an Leid. Mir wurde erzählt, dass ich dort leicht Geld verdienen könnte, aber ich wurde getäuscht. Es war zu schwer für mich, dass Gras mit der Machete zu schneiden und ich hatte Schmerzen im Nacken durch das Abschlagen der Schoten von den Bäumen mit einer langen Stange. Nachts konnte ich wegen der Schmerzen nur schlecht schlafen und wir mussten um vier Uhr aufstehen und bis 16 Uhr arbeiten. Ich war immer müde."

In anderen Fällen werden Kinder regelrecht entführt. In Burkina Faso erregte im letzten Jahr ein Fall Aufsehen, in dem Polizisten mehrere unter Drogen gesetzte Kinder in einem Bus fanden. Einige der Kinder starben an den Folgen der Drogen. Es wird vermutet, dass die Kinder zur Arbeit auf Kakaoplantagen in die Elfenbeinküste geschmuggelt werden sollten.

Manchmal stimmen die Eltern dem Handel mit ihren Kindern auch zu, allerdings selten im vollen Wissen um die Konsequenzen für das Kind. Viele Familien in Burkina Faso leben am Rande des Existenzminimums und ernähren sich durch Subsistenzlandwirtschaft. Wenn der Regen ausbleibt und es zu Missernten kommt, was aufgrund des Klimawandels immer häufiger passiert, müssen viele Familien hungern. Die Elfenbeinküste steht immer noch in dem Ruf, dass man dort leicht Geld verdienen kann. Manche Eltern glauben darum den Versprechungen von Kinderhändlern, dass es ihren Kindern dort besser gehen wird und sie vielleicht sogar Geld nach Hause schicken können.

Die Kakaobauern verdienen zu wenig

Doch die Preise für Kakao auf dem Weltmarkt haben sich - inflationsbereinigt - seit den 1980er Jahren halbiert. Dieser Preisverfall ist eine Reaktion auf den massiven Ausbau der Kakaoproduktion in jener Zeit, der auch in der Elfenbeinküste staatlich gefördert wurde. Kakaobäume brauchen mehrere Jahre und erhebliche Investitionen von Seiten des Bauern, bis sie ihre volle Produktivität erreichen. Als die Preise in den 1990er Jahren anfingen zu verfallen, konnten es sich viele Bauern schlicht nicht leisten, auf eine andere Frucht umzusteigen.

Von der Regierung gab es wenig Unterstützung und die Lebensmittelkonzerne im Norden freuten sich über die billigen Weltmarktpreise. Für die Bauern, bei denen oft nur weniger als die Hälfte des Weltmarktpreises ankommt, bedeutete diese Entwicklung das Abrutschen in die absolute Armut. Die Beschäftigung erwachsener Erntehelfer konnten sich bald nur noch wenige Kleinbauern leisten. „Ein erwachsener Erntehelfer aus Burkina Faso kostet rund 250 Dollar im Jahr plus Verpflegung, aber ein Kind kostet nur die Hälfte", so Friedel Hütz-Adams, Kakaoexperte des Südwind-Instituts in Siegburg.

Für die Regierung der Elfenbeinküste und die nördlichen Konzerne entsteht dadurch eine Zwickmühle: Keiner will für die ausbeuterische Kinderarbeit und Kinderhandel verantwortlich gemacht werden. Aber die Kakaoindustrie freut sich über die niedrigen Weltmarktpreise. Und die ivorische Regierung ist auf die Einkünfte aus dem Handel mit Kakao angewiesen.

In der Vergangenheit versuchten die beteiligten AkteurInnen darum vor allem, mit Aufklärungskampagnen und der besseren Ausbildung von Bauern und Bäuerinnen gegen das Phänomen Kinderhandel und Kinderarbeit vorzugehen - mit beschränktem Erfolg. Denn dass es für Kinder besser ist zur Schule zu gehen, als schwere Arbeit zu leisten, ist praktisch jedem Beteiligten klar. Es sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, die es den Kakaobauern nicht erlauben, diese Erkenntnis auch in die Tat umzusetzen.

Darum ist eine aktuelle Initiative der ivorischen Regierung von besonderer Wichtigkeit: Erstmals garantiert die Regierung seit der letzten Erntesaison allen Bauern einen festen Abnahmepreis für ihre Ernte. 750 Franc CFA bekommen ivorische Bauern pro Kilo Kakaobohnen, das entspricht etwa 1,13 Euro, gut 50 Prozent des aktuellen Weltmarktpreises - ein wichtiger erster Schritt, um den Kakaobauern ein menschenwürdiges Einkommen zu sichern, dem allerdings noch weitere folgen müssen. Damit beendet die Regierung vor allem die schädliche Praxis, bei der Zwischenhändler den Bauern zu bestimmten Zeiten unverschämt niedrige Angebote machen konnten, wenn nach der Ernte Kakao im Überfluss zum Verkauf stand.

Im Gespräch mit dem Südlink gibt sich darum der ivorische Premierminister Daniel Kablan Duncan optimistisch: „Wir arbeiten auf regionaler Ebene an der Abschaffung von Kinderarbeit. Dazu wollen wir die Einkommen der Bauern weiter erhöhen. Aktuell streben wir einen Mindestpreis von 60 Prozent des Weltmarktpreises für die Bauern an, weshalb wir die Zahlungen gerade von 700 auf 750 Franc CFA pro Kilo erhöht haben. Wir sehen jetzt schon deutliche Verbesserungen im Sektor."

Friedel Hütz-Adams sieht trotz der jüngsten Preisrückgänge auf dem Weltmarkt keine Anzeichen für eine Verschlimmerung der Kinderarbeit oder des Kinderhandels in der Elfenbeinküste. Dass die ivorische Regierung inzwischen die wirtschaftliche Situation der Bauern als Hauptgrund für die Praxis der Kinderarbeit anerkennt, ist in jedem Fall eine positive Entwicklung.

Um den Trend aber nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren, müssen auch Industrie und VerbraucherInnen umdenken: So lange im Norden weiterhin nur darauf geachtet wird, dass Rohstoffe wie Kakao möglichst billig auf dem Weltmarkt gehandelt werden, so lange wird auch Kinderarbeit weiter bestehen.

Peter Dörrie ist freier Journalist und auf Fragen der Ressourcenpolitik und Sicherheit in Afrika spezialisiert. Er hat unter anderem in Burkina Faso gelebt und gearbeitet.

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