Peter Stefan Herbst

Journalist / Moderator, Saarbrücken

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Kommentar: Wahlkampf-Taktik überschattet Corona-Politik

Olaf Scholz attackierte seinen Kabinettskollegen Jens Spahn (picture alliance/dpa / Christoph Soeder)

2021 werden sechs Landtage und der Bundestag neu gewählt. Die Nervosität in allen Parteien nimmt mit Blick auf die ersten Urnengänge am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erkennbar zu. Können doch hier - wie vor vier Jahren - erste Vorentscheidungen für die Bundestagswahl fallen. 2017 hatte der Erfolg von Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland die Erfolgswelle des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz gestoppt. Diesmal geht es für alle Parteien um viel, haben doch die Ankündigung von Merkel, nicht mehr anzutreten und die Auswirkungen der Corona-Pandemie die politische Landschaft deutlich verändert und weniger kalkulierbar gemacht.


Es wird auf allen Kanälen ausgeteilt

In großer Unsicherheit wird häufig mit harten Bandagen gekämpft. Kann sich aber Deutschland mitten in der Corona-Pandemie eine Bundesregierung und mehrere Landesregierungen leisten, deren Kabinettsmitglieder vor allem Wahlkampf machen - und oft auch noch gegeneinander? Wegen der Pandemie wird der politische Wettbewerb erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nicht auf Straßen und Plätzen ausgetragen. Es gibt keine Kundgebungen und keinen politischen Aschermittwoch im Bierzelt. Ausgeteilt wird trotzdem - in Parlamenten, Interviews, Talkrunden, Videokonferenzen und immer mehr auch auf Social Media-Kanälen. Es begann mit dem Frontalangriff von SPD-Kanzlerkandidat und Finanzmister Olaf Scholz auf seinen Kabinettskollegen Jens Spahn von der CDU zu Jahresbeginn, der bereits viele Wähler in der Form verärgerte und in der Sache enttäuschte. Dies gilt allerdings auch für den Aktionismus des Gesundheitsministers und seine Schönrederei der massiven Probleme bei den Impfungen.


Holpriger Impfstart liefert Wahlkampfmunition

Dass viele Ursachen für den vermasselten/holprigen Impfstart in Brüssel liegen, ist nicht nur für die traditionell EU-kritische AfD willkommene Wahlkampfmunition. Die umstrittene Impfstoffbeschaffung der EU soll auch zu einem Wutausbruch des sonst eher beherrschten Hanseaten Scholz in der kleinen Runde des Corona-Kabinetts im Kanzleramt geführt haben. Dass sprachliche Entgleisungen und sein Angriff auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die Öffentlichkeit gelangten, dürfte ein Manöver eines Koalitionspartners für einen kurzfristigen Vorteil in der öffentlichen Wahrnehmung gewesen sein. Belastet es doch zunächst Scholz und lenkt erstmal von von der Leyen ab.Ihr Eingeständnis von Versäumnissen bei der Impfstoffbeschaffung in dieser Woche wirkt mit Blick auf die Wahltermine als kalkulierter Entlastungsversuch über ihre Wirkstätte in Brüssel hinaus. Drohte doch das Thema nicht nur sie als bereits mehrfach gescheiterte Krisenmanagerin weiter zu belasten, sondern auch ihre Förderin Angela Merkel und somit vor allem die CDU. In der Sache war von der Leyen zu halbherzig, vom Zeitpunkt her zu spät. Eine richtige Entschuldigung war das nicht.


Ganzheitliches Konzept für Corona-Hilfen sieht anders aus

Die Wahlkampf-Taktik überschattet täglich die Corona-Politik. Selbst, wenn es wie beim Koalitionsausschuss in dieser Woche harmonisch bleibt. Union und SPD haben viele bedacht, die von der Pandemie hart betroffen sind. Doch auch hier wurden wieder einmal Milliarden nach parteipolitischen Maßstäben verteilt. Die Union hat sich besonders starkgemacht für die Hilfen an die Wirtschaft, die SPD für die an Bedürftige. Hier haben beide Seiten ihr tatsächliches oder vermutetes Klientel bedient. Ein ganzheitliches Konzept, das sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umgeht, um die bestmögliche Effekte zu erzielen, sieht anders aus.


Vereinzelt gibt es Stimmen, dass Corona kein Wahlkampf-Thema sein sollte. Doch wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, darüber ernsthaft zu streiten, welches die besten Wege aus der Pandemie und aus der Krise sind. Das Problem ist nicht der Streit über die richtige Pandemiepolitik, sondern all jene Auseinandersetzungen, bei den es lediglich um die eigene Profilierung oder die Schwächung des politischen Gegners geht. Die Parteien müssen sich daran messen lassen, ob es ihnen gelingt, diesen Eindruck zu vermeiden und statt Scheingefechten eine neue Debatten- und Streitkultur zu befördern. Sie ist wichtiger und nötiger denn je. Haben sich doch in der Corona-Krise weiter Menschen von Staat und Demokratie abgewendet. Einschränkungen von Grundrechten brauchen eine breitere Basis als die von Videokonferenzen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Und Politikvermittlung ist mehr als ein effektorientierter Schlagabtausch in einer TV-Talkshow.

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