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Mehr als Kitsch: Was Heimat ausmacht

Heimat ist so ein Begriff, der immer schwammiger zu werden scheint, je konkreter man versucht, ihn zu definieren. Auf die Frage, was meine Heimat ist, würde ich wahrscheinlich antworten: das Rheinland. Das ist geografisch korrekt und kommt mir leicht über die Lippen. Fühlen würde ich aber mehr als das. Ich würde wohl an meine Familie denken, an den Garten meiner Eltern, an gesellige Abendessen. Glückliche, traurige, lustige Erinnerungen würden mir durch den Kopf gehen. Und dieses Potpourri an Gefühlen wäre dann für mich irgendwie Heimat.

Aber wie soll man das beschreiben, also so richtig? Dann bleibe ich der Einfachheit halber doch lieber beim Rheinland, oder Deutschland, oder auch Europa, je nach Perspektive. Eine Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn hat sich jetzt dem Thema angenommen. "Heimat. Eine Suche" geht der Bedeutung von Heimat nach, der Schwerpunkt liegt dabei auf Deutschland in den Jahren nach 1945 bis heute.

Heimat hat Konjunktur

Nach der Flutkatastrophe verkauften viele Winzer im Ahrtal vom Schlamm verdreckte, aber intakte Weinflaschen

Meine Heimatstadt liegt rechtsrheinisch, ziemlich genau gegenüber vom Ahrtal, wo eine verheerende Flut im Juli 2021 die Häuser und die Heimat tausender Menschen zerstört hat. Deutlicher kann uns die Natur kaum demonstrieren, dass unser Lebensraum bedroht ist. "Der Heimatbegriff wird immer dann wichtig, wenn die Verunsicherung zunimmt", sagt Christian Peters, Projektleiter der Ausstellung. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und Corona-Pandemie führten dazu, dass Heimat Konjunktur habe.

Zum ersten Mal im Leben sorge ich mich seit der Flutkatastrophe um das, was geografisch meine Heimat ist. Glück gehabt - bisher, könnte man sagen. Was mir immer sicher schien, haben andere Menschen verloren. Zum Beispiel an eine Braunkohlegrube, wie die Ausstellung eindrücklich zeigt. Im Rheinischen Revier, Mitteldeutschen Revier und Lausitzer Revier mussten bereits über 200 Orte mit insgesamt über 100.000 Einwohnern den Tagebauen ganz oder teilweise weichen. Kirchen wurden abgerissen, Friedhöfe verlegt.

In Deutschland zuhause

Ehemalige Bewohner dieser Orte erzählen in Videoaufnahmen, wie sich der Verlust ihrer Heimat anfühlt. Wie sie in Tränen ausbrachen, als die Bagger anrückten. Die Ausstellung lebt von diesen persönlichen Schilderungen und Gedanken zum Thema Heimat. Tonaufnahmen aus dem Off und Zitate an den Wänden begleiten die Besucher von Raum zu Raum. "Wer ein Haus baut, will bleiben, und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit", wird der jüdische Architekt und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, zitiert.

Aber was bedeutet es, als Jude nach dem Holocaust in Deutschland zu leben? Gibt es Heimat ohne Sicherheit? Synagogen, Vereine, Schulen: Jüdisches Leben in Deutschland ist vielfältig und deutlich sichtbar - aber auch streng bewacht und geprägt von der Sorge vor antisemitischen Gewalttaten, wie ein an die Ausstellungswand projizierter Tweet des Autors Ronen Steinke deutlich macht:

Wer gehört dazu?

Die Ausstellung thematisiert das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit, das mitunter den Alltag der Jüdinnen und Juden in Deutschland prägt. "Heimat bedarf des Engagements aller", sagt Projektleiter Christian Peters. "Es ist wichtig, darüber nachzudenken, wie ein moderner Heimatbegriff aussehen kann, der Menschen einschließt und nicht ausschließt." Und so wirft die Ausstellung auch diese Fragen auf: Wer gehört dazu? Wer nicht? Und wann fühlt man sich heimisch?

Leo Sachs bewahrte seine Häftlingskleidung aus Auschwitz in einem Koffer auf. 1945 kehrte er nach Köln zurück

In Deutschland sehen sich viele Menschen mit diesen Fragen konfrontiert, ob sie wollen oder nicht. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung hat familiäre Wurzeln im Ausland. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch Menschen mit Migrationshintergrund erleben häufig Diskriminierung und Ausgrenzung im Alltag. Schlimmstenfalls erleben sie rassistisch motivierte Gewalttaten. So etwa am 19. Februar 2020, als bei einem Attentat in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden.

HU N 454 - Kennzeichen der Heimat

Eines der Opfer, der 21-jährige Said Nesar Hashemi, fand seinen ganz persönlichen Weg, um die Verbundenheit mit seiner Heimatstadt auszudrücken: Für sein Autokennzeichen wählte er die Zahlenfolge 454, die letzten drei Ziffern der Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt. "Die Opfer waren keine Fremden!", lautete eine der zentralen Gedenkbotschaften. "Wir leben in einer Zeit, in der man sich nicht einfach zurücklehnen kann, wo zu viele Dinge in Bewegung geraten sind", mahnt Projektleiter Christan Peters.

Der Film "Almanya - Willkommen in Deutschland" erhielt 2011 den deutschen Filmpreis

Wie vielseitig, persönlich, fragil, fröhlich und bedrohlich Heimat sein kann, dokumentiert die Ausstellung mit rund 600 Exponaten. Da ist etwa der Schlüsselbund einer Vertriebenen aus Schlesien, die die Hoffnung nicht aufgeben wollte, irgendwann nochmal in ihr Haus zurückzukehren. Oder das traditionelle Dirndlkleid, gefertigt aus afrikanischen Stoffen, dass die beiden Münchner Schwestern Marie Darouiche und Rahmée Wetterich als Hommage an ihre zwei Heimaten entworfen haben. Heimat, das ist die Botschaft der Ausstellung, geht uns alle an.

Die Ausstellung "Heimat. Eine Suche" läuft bis zum 25. September 2022 im Haus der Geschichte in Bonn.
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