Die russische Künstlerin Sasha Skochilenko hat Preisschilder in einem Supermarkt mit Informationen über den Ukrainekrieg ausgetauscht. Dafür drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft. Wir haben mit Sashas Partnerin gesprochen, wie es ihr geht.
Ein Supermarkt in St. Petersburg Ende März. Sasha Skochilenko geht zum Regal mit dem Instant-Kaffee. Sie zieht das Preisschild aus der Plastikleiste und tauscht es heimlich aus. Auf den ersten Blick ist das neue Schild ganz normal. 400 Rubel, steht darauf. Aber statt der genauen Menge und Kaffeesorte ist darüber nun diese Botschaft zu lesen: „Die russische Armee hat eine Kunstschule in Mariupol bombardiert, in der sich etwa 400 Menschen vor den Angriffen versteckt hatten." Auf weitere Schilder hat Skochilenko Botschaften geschrieben wie: „Rekordinflation durch Militäreinsatz" oder „Stoppt den Krieg!".
„Ich bin direkt in einen Hinterhalt der Polizei geraten"
Elf Tage nach der Protestaktion. Die Polizei weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Skochilenko hinter den ausgetauschten Preisschildern steckt. Ein Supermarktkunde hat die Aktion der Polizei gemeldet. Aber die Polizisten finden Skochilenko nicht. Also wenden sie einen Trick an, so lässt es die queere Künstlerin später über ihren Anwalt mitteilen. Am 11. April weckt sie der Anruf eines Kindheitsfreundes: Die Polizei habe seine Wohnung durchsucht, ob sie vorbeikommen könne, habe er sie gefragt.
„Natürlich habe ich keine Sekunde gezögert", so Skochilenko. Sie sei schnell zu ihm, schließlich dachte sie, ihr Freund sei in Not. „Ich bin direkt in einen Hinterhalt der Polizei geraten." Die Polizisten hatten den Freund wohl unter Druck gesetzt. Sie verhaften Skochilenko. So ist es auf ihrer Instagram-Seite zu lesen. Dort schildert sie auch das Verhör, das schlimmer gewesen sei als all die Tage im Gefängnis, die folgten. „Fünf Ermittler haben mich beschimpft, belästigt und gedemütigt", erzählt Skochilenko. Lauter sexistische und homofeindliche Kommentare wie: „Was dir fehlt, sind ein Mann und ein Kind" oder: „Dich würde ich nicht mal vergewaltigen, ich habe schließlich Augen im Kopf."
„In Briefen schreiben wir uns, dass wir füreinander da sind"
Seit Skochilenkos Verhaftung im April veröffentlichen ihre Angehörigen und Freund*innen regelmäßig Updates zum Fall auf ihrer Instagram-Seite. Ihre Partnerin Sonya Subbotina erzählt dem Zündfunk per Sprachnachricht, wie sie Kontakt halten: In den acht Monaten, die ihre Freundin bereits in Haft sitzt, habe sie diese weder besuchen noch mit ihr telefonieren dürfen. „Das machen sie, um Sasha emotional unter Druck zu setzen", sagt Subbotina. „Wir können uns nur Briefe schicken. Darin schreiben wir einander, dass wir füreinander da sind und erzählen uns, was wir erlebt haben.
Seit April sitzt Skochilenko nun bereits in Untersuchungshaft, und wird es bis mindestens April 2023 bleiben. So hat es das Gericht angeordnet, wegen angeblicher Fluchtgefahr. Angeklagt ist sie für „die Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte". Ein neuer Straftatbestand, auf dessen Grundlage bereits Dutzende Menschen inhaftiert wurden. Janine Uhlmannsiek, Russland-Expertin von Amnesty International, erklärt: „Die russische Führung hat den Artikel im März 2022, also kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine eingeführt, um Kritik der Bevölkerung an der Invasion zu unterbinden und im Keim zu ersticken."
„Ihre Haftbedingungen sind menschenrechtswidrig"
Sasha Skochilenko drohen für ihren Protest nun bis zu zehn Jahre Haft. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, lässt sich schwer vorhersagen. Noch wurde das Verfahren nicht eröffnet. Klar ist aber: Jeder Tag im Gefängnis ist einer zu viel. „Ihre Haftbedingungen sind menschenrechtswidrig", sagt Janine Uhlmannsiek von Amnesty International. Skochilenko leide an der Autoimmunerkrankung Zöliakie und sei deshalb auf glutenfreies Essen angewiesen - was sie in der Haftanstalt aber nicht bekomme. Auf Instagram beschreibt Skochilenko, was das falsche Essen anrichtet: Es fühle sich an wie eine ständige Lebensmittelvergiftung mit pausenlosen Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen.
Nach Informationen von Amnesty International erlebt Sasha Skochilenko in der Untersuchungshaft außerdem Gewalt: Mitarbeiter*innen der Haftanstalt und Zellengenossinnen würden sie immer wieder einschüchtern, schikanieren und belästigen. Die Menschenrechtsorganisation ruft auch deshalb aktuell Menschen weltweit zu einem Briefmarathon auf: Sasha Skochilenko ist eine von zehn Personen für deren Freilassung und Schutz noch bis zum 22. Dezember Mails und Briefe an jene Regierungen geschrieben werden sollen, die ihre Grundrechte verletzen. Im vergangenen Jahr hatten sich laut Amnesty International vier Millionen Menschen an der Aktion beteiligt.
„Ich vermisse Sasha so sehr, sie ist meine Familie"
Sasha Skochilenkos Partnerin, Sonya, kämpft weiter. Sie will ihre Freundin so gut es geht unterstützen und hat dafür sogar ihren Job bei einer Apotheke gekündigt. Fast jeden Tag fährt sie zur Haftanstalt, bringt Medikamente vorbei, gibt außerdem Interviews, macht Druck, damit ein Arzt ihre Freundin untersucht, schreibt Briefe.
„Dass ich mich um all diese Dinge kümmern muss, verhindert immerhin, dass ich völlig in Depressionen versinke", sagt Sonya Subbotina dem Zündfunk. „Aber manchmal spüre ich trotzdem ein Gefühl der Leere und Verzweiflung." Vor allem wenn sie an die Zukunft denke. „Ich vermisse Sasha so sehr, sie ist meine Familie", sagt sie. Und fügt hinzu: „Sasha könnte zehn Jahre im Gefängnis sitzen – und das nur, weil sie diesen Krieg nicht wollte."
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