Papa Biden. Oder eher Opa Biden. 78 Jahre alt und seit heute der älteste Präsident, den die USA je hatten! Und genau der Präsident, den die USA jetzt brauchen: ein Anti-Trump.
Wenn Trump ein trotziges Kleinkind ist, dann ist Biden der nette Reli-Lehrer aus der Mittelstufe: kein Messias, aber einer, der sich auskennt mit dem Erlösen von dem Bösen. Und einer, der immer auch ein wenig brav, ungelenk und langweilig wirkt. Biden ist wie ein Pflaster: Nicht gerade glamourös, aber notwendig, um das zerrüttete Land zu heilen. Sein ruhiger Politikstil verhält sich zu Polarisierung und Populismus wie ein Gegengift und, zugegeben, manchmal auch wie ein Schlafmittel. Aber die Bilder von der Belagerung des Kapitols brennen jetzt noch auf der Netzhaut. Wie sieht der Gegenentwurf aus?
Welche Bilder produziert einer wie Biden?
„Mit der großen staatsmännischen Inszenierung, mit großen Reden, vor gelandeten Helikoptern - das ist Biden nicht. Aber das ist auch das, wonach wir uns jetzt sehnen", sagt Lea Michel, die sich für einen Bildband 164 Filme und Serien angeguckt hat und die Bilder, die sie sich vom US-Präsidenten machen. Darin taucht immer wieder die Figur des Helden auf, der die Nation rettet und Terroristen oder Aliens bekämpft, da ist der Bösewicht, der seine Frau und auch sein Land hintergeht und da sind Witzfiguren wie Leslie Nielsen als Präsident in Scary Movie. Aber all das ist Biden nicht, schon gar kein Held. Er ist eher wie die Typen, die Tom Hanks spielt.
In Clint Eastwoods Film „Sully" zum Beispiel spielt Hanks einen ergrauten Piloten, der durch eine Notlandung auf dem Hudson River seine Passagiere rettet. Hanks hat ein Abo auf Figuren, die gutmütig, besonnen und verantwortungsvoll sind. Nicht sexy, aber rechtschaffen. Wenn eines Tages Bidens Leben verfilmt wird, ist Tom Hanks die Idealbesetzung! Passenderweise ist er es, der die Fernsehshow nach der Inauguration heute moderiert.
Wenn Biden ein Schauspieler wäre, dann wäre er also Tom Hanks. Und als Musiker? Ed Sheeran in alt! Der Singer-Songwriter sieht nicht nur nett aus, er klingt auch nett. Und er macht Musik, die man sogar dann auflegen kann, wenn die Schwiegereltern zu Besuch kommen.
Normal, Normaler, Joe Biden
Biden wird nie die Wucht der Begeisterung erzeugen, die radikale und auch visionäre politische Positionen auslösen. Er ist kein Bernie Sanders, er ist ein Mann der Mitte. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pittsburgh im August fragte er: „Do I look like a radical socialist with a soft spot for rioters?"
Die Antwort ist natürlich: Nö. Biden ist nur in einer Sache radikal: Er ist Normcore, also ein Hardcore-Normalo. In der Mode steht Normcore für Turnschuhe, die Vorstadt-Daddys auf Grillfesten tragen und für Hipster, die aussehen wie Informatiker. In der Politik ist Normcore: Biden. Mit ihm kehren wir in die gefühlte Normalität zurück oder in das, was davon übrig ist. Aber sogar in Bidens Auftreten steckt etwas Modernes - das sagt jedenfalls der Soziologe Ulrich Bröckling von der Universität Freiburg: „Biden ist in seinem ganzen körperlichen Habitus nicht die Figur eines starken Mannes, sondern eher eines moderierenden, die Menschen und auch sein Team zusammenführend koordinierenden, auf Kompromisse ausgerichteten Politikers. Bei Trump war Politik immer zuallererst Ego-Politik. Bei Biden geht es nicht darum, selbst im Mittelpunkt zu stehen, sondern sehr viel stärker auch sein Kabinett, die Vizepräsidentin als Team in den Mittelpunkt zu stellen."
In Bidens Regierungsteam sind mehr Frauen, mehr Schwarze, mehr Eingewanderte als in jedem Kabinett der Vereinigten Staaten bisher. Er ist - wieder - ein alter, weißer Mann - aber einer, über den vielleicht auch jene, die ihn nicht gewählt haben, sagen können: Das ist mein Präsident.