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Mit wem verbringen wir unsere Lebenszeit? Eine Studie gibt Antworten | Qiio Magazin

Die Uhr unseres Lebens tickt unaufhörlich. Doch was machen wir eigentlich mit der Zeit, die wir haben? Und mit welchen Menschen verbringen wir sie?

Wir spüren sie, wenn eine Jahreszeit die andere ablöst. Sie war am Werk, wenn wir Anzeichen des Alters im Spiegelbild entdecken oder uns und andere auf alten Fotos fast nicht mehr erkennen. Zeit ist nicht nur allgegenwärtig, sondern auch die beständigste Konstante in unseren Leben. Spätestens seit der Erfindung des mobilen Zeitmessgeräts - also der Taschen- oder einer Rolex-Armbanduhr, wie wir sie kennen - in der Moderne und allerspätestens seitdem Mobilgeräte die Zeit anzeigen, bestimmt sie zunehmend auch unsere Alltagsentwürfe.

Und statistisch betrachtet haben Menschen in Deutschland immer mehr Zeit - zumindest mehr Lebenszeit. Seit der Veröffentlichung der ersten allgemeinen Sterbetafel von 1871/1881 für das damalige Reichsgebiet, ist die Lebenserwartung immens gestiegen. Betrug die durchschnittliche Lebenserwartung damals bei Geburt für Männer noch 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre, so haben sich diese Werte bis 2019/21 mehr als verdoppelt.

Statistisch betrachtet haben Menschen in Deutschland immer mehr Zeit - zumindest mehr Lebenszeit. Seit 1871 hat sich unsere Lebenserwartung mehr als verdoppelt. Grafik: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (CC BY-ND 4.0) via Bund-Länder Demografie Portal

Im Wandel der Zeit: Tausche Eltern gegen Kolleg:innen

Eine höhere Lebenserwartung heißt auch, dass wir rein theoretisch mehr Zeit mit Menschen verbringen können, die uns wichtig sind. Intuitiv denkt man vielleicht direkt an die Familie - egal, ob das Familienbild sich am klassischen oder an neuen Konzepten orientiert. Aber mit welchen Menschen verbringen wir eigentlich die meiste Lebenszeit? Statistiken aus den USA zeigen, dass sich das im Laufe eines Lebens fundamental verändert. So nehmen etwa die eigenen Eltern mit voranschreitendem Alter immer weniger Raum ein - zumindest durchschnittlich betrachtet.

Wer seine Eltern pflegt, nicht direkt von Zuhause auszieht oder vielleicht aus ganz anderen Gründen in räumlicher Nähe zu ihnen lebt, wird andere Erfahrungen machen. Geht man jedoch nach den Durchschnittswerten der statistischen Auswertungen, so verlieren wir unsere Eltern ab ca. 21 Jahren zunehmend aus dem Blick. Oder anders gesagt: Es nehmen andere Menschen ihren Platz an der Spitze derjenigen Menschen ein, mit denen wir am meisten Zeit verbringen.

Eine höhere Lebenserwartung heißt auch, dass wir rein theoretisch mehr Zeit mit Menschen verbringen können, die uns wichtig sind. Aber mit welchen Menschen verbringen wir eigentlich die meiste Lebenszeit? Statistiken aus den USA zeigen, dass sich das im Laufe eines Lebens fundamental verändert. Grafik: Our World in Data (CC BY 4.0)

Sind wir erst einmal berufstätig, werden das vor allem Arbeitskolleg:innen sein. Denn mehr Zeit am Arbeitsplatz - im Schnitt etwa 2000 Wochen eines ganzen Lebens - bedeutet (logischerweise) auch mehr Zeit mit den Menschen, die sich ebenfalls dort aufhalten. Auch Lebenspartner:innen und potenziell eigene Kinder schaffen es unter die Top Drei der Menschen, mit denen wir zumindest eine beträchtliche Zeit unserer eigenen Lebenszeit verbringen. Erst im Alter kommt eine Person dazu, die wir vielleicht den Großteil unseres Lebens gar nicht wirklich auf dem Schirm haben: wir selbst. Obwohl wir grundsätzlich im Laufe eines Lebens konstant Zeit mit uns selbst verbringen, legen Umfragen nahe, dass sich die Alleinzeit mit zunehmenden Alter erhöht.

Quo Vadis, Zeit?

Das Alleinsein im Alter wird vielleicht durch Roboter, die uns Gesellschaft leisten, ein Ende finden. Und auch neue Trends wie Living apart together, die Entscheidung gegen eine Familiengründung oder für offene Beziehungen, werden die bisherigen Durchschnittswerte unseres Zeitschenkens in Zukunft sicherlich verändern. Entscheiden wir uns etwa bewusst, gegen ein Zusammenleben mit unseren Partner:innen, so wird das zwangsläufig zu weniger gemeinsam verbrachter Zeit führen. Ähnlich sieht es aus, wenn polyamoröse Partnerschaften ins Spiel kommen: Je nachdem, mit wie vielen Menschen ich eine zeitgleiche Beziehung eingehe, stehe ich vor der Herausforderung, meine Zeit anders verteilen zu müssen - etwa um allen Partner:innen gerecht zu werden. Beide Beziehungsmodelle bieten neue Möglichkeiten der Zeiteinteilung. Mehr Alleinzeit und mehr Zeit für verschiedene Menschen können sich ergeben, wobei beides immer auch damit einhergeht, mit einer bestimmten Person weniger Zeit zu verbringen.

Und dann ist da noch der 'Zeitfresser' Kind: Wenn man sich dagegen entscheidet, Kinder zu bekommen, kann ein Leben ohne sie Zeit schenken - Zeit, um anderes zu tun oder um andere Menschen oder die Beziehung zu ihnen zu pflegen. Vielleicht rücken dann in Zukunft zum Beispiel die eigenen Eltern, Großeltern, Geschwister oder auch Freund:innen wieder weiter nach oben in der Liste derer, mit denen wir im Schnitt die meiste Zeit verbringen. Auch die Frage, wie wir mit Menschen Zeit verbringen, wird zukünftig eine Rolle spielen. KI-Technologien und Remote-Arbeitsmodelle sind prädestiniert dafür, einen indirekten Einfluss darauf zu nehmen, mit wem wir während unseres Arbeitslebens in Kontakt kommen, und mit wem wiederum nicht (mehr). Und auch, ob wir zunehmend mit Technologien statt Menschen arbeiten oder letzteren nur noch virtuell begegnen, werden sie in Zukunft mitbestimmen.

Vor dem Hintergrund dieser Statistiken ist jedenfalls auch eine andere Überlegung interessant: Wäre das Bild darüber, mit wem man im Laufe seines oder ihres Lebens die meiste Zeit verbringt, anders, wenn man wüsste, dass nicht mehr viel Zeit bleibt? Kurz gefragt: Verbringen wir Zeit mit bestimmten Menschen, weil wir es wollen? Oder aus Gewohnheit, Zwang oder einem Mangel an Alternativen heraus? Wir selbst können uns das schon im Jetzt ganz direkt und persönlich fragen - und zwar ganz ohne auf die Zukunft warten zu müssen.

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