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Könnte ein Roboter-Delfin, die Delfine in Gefangenschaft befreien? | Qiio Magazin

Noch immer leiden und sterben Delfine in Gefangenschaft. Damit sich daran endlich etwas ändert, setzt ein kalifornisches Unternehmen nun auf die Entwicklung von lebensechten Roboterdelfinen. Doch was wird aus unserem Verhältnis zu echten Tieren, wenn wir sie von Robotern nicht mehr unterscheiden können?

Susie, Cathy, Mitzi, Patty und Scotty - so hießen die fünf Delfine, die in den 60er-Jahren "Flipper" in der gleichnamigen TV-Serie verkörperten. Drei verstarben noch während der Dreharbeiten, einen verkaufte man an einen Wanderzirkus und Cathy verbrachte ihr restliches Leben in einem Aquarium. Ein Schicksal, das viele ihrer Artgenossen seit Jahrzehnten teilen.

Ob in Themenparks oder Aquarien: Delfinen begegnet man längst nicht mehr ausschließlich in den Meeren dieser Welt. Zwar ist die kommerzielle Haltung von Delfinen in sogenannten Delfinarien zumindest in der EU seit mehreren Jahrzehnten verboten. Doch noch immer werden über 30 Delfinarien in 14 der 27 EU-Mitgliedstaaten betrieben, die ähnlich einem Zoo dem Artenschutz dienen sollen und somit von dem Verbot ausgenommen sind.

Weltweit ist die Lage noch bedrückender: Der Report von World Animal Protection verzeichnete im Jahr 2019 über 3.000 Delfine, die in Einrichtungen auf der ganzen Welt gefangen gehalten wurden, rund 2.369 der Tiere erfasste man in touristischen Einrichtungen. Obgleich geschützt vor natürlichen Fressfeinden und zunehmender Meeresverschmutzung, ist die Gefangenschaft für die Tiere oftmals gleichbedeutend mit ständigem Leid oder einem frühzeitigen Tod.

Vor diesem Hintergrund hat das Design- und Entwicklungsunternehmen Edge Innovations nun einen Prototypen vorgestellt, der die Erlösung für alle Großen Tümmler aus den Meeresparks sein soll: Delle, ein animatronischer Delfin. Mit einem "Skelett", das den gleichen Aufbau wie jenes eines echten Delfins hat, und einer "Haut" aus Silikon bringt Delle mehr als 250 Kilogramm auf die Waage und hat eine Länge von 2,50 Meter. Auf Instagram teilt Edge Innovation zahlreiche Reels von Delle, die unter anderem zeigen, wie der Delfinroboter in einem Testpool mit Model und Influencerin Renee Herbert interagiert und schwimmt.

Wie viel Schmerz kann Delle lindern?

Das von Walt Conti gegründete Unternehmen erklärt seine neueste Entwicklung damit, dass der Einsatz lebender Tiere zu Unterhaltungszwecken auf zunehmende Ablehnung in der Gesellschaft stößt, die Menschen aber dennoch unterhalten werden wollen. Delle könne für dieses Paradoxon die Lösung sein. Auch PETA sieht das so. Außerdem ist der animatronische Delfin auf den ersten Blick vor allem ein vielversprechendes Novum in Sachen Entertainment. Seine hyper-realistische Erscheinung fasziniert. Und auch in gesundheitlichen Fragen könnte er in Zukunft als therapeutischer Ersatz bei Delfin-Therapien zum Einsatz kommen, wobei deren Wirksamkeit mittlerweile generell angezweifelt wird.

Doch bringt Delle wirklich weniger Delfin-Schmerz in unsere Welt? Für einen ganzheitlichen Paradigmenwechsel, wie Edge ihn sich vorstellt, müssten neben Delle noch viele weitere animatronische Delfine gebaut werden. Da die hochinnovative Technik von Delle zurzeit noch mehrere Millionen US Dollar kostet, ist zunächst fraglich, wie schnell Delle und ihre potenziellen Artgenossen die in Gefangenschaft lebenden echten Delfine ersetzen können.

Hinzu kommt, dass auch freilebende Delfine (und Wale) Gefahren für unser Vergnügen ausgesetzt sind, etwa den sogenannten Drive-Hunts auf den Färöer Inseln oder in Japan. Alleine während einer Jagd im Juli sind dabei 100 Große Tümmler in Skálabotnur grundlos getötet worden. Die Jagdzüge werden dabei als Tradition vermarktet oder dienen dem Gewinn von Delfin- und Walfleisch.

Unklar ist zudem, ob eine erfolgreiche Rückführung von Delfinen in die Ozeane nach Jahren in Gefangenschaft überhaupt gelingen kann. World Animal Protection hält das nur dann für möglich, wenn es ausgewiesene Meeresschutzgebiete gibt. In freier Wildbahn wird dafür nicht weniger nötig sein als die zielgerichtete und schnelle Umsetzung der Umweltschutzziele.

Die Welt als animatronischer Zoo?

Tierschutzorganisationen und Social Media-User:innen zeigen sich gleichermaßen begeistert von dem Robotic Dolphin. Auf Instagram-Kanal @EdgeDolphinSpirit gibt es zahlreiche User:innen, die in den Kommentaren bekunden, dass sie Delle kennenlernen wollen. Und aktuelle Forschungen suggerieren bereits, dass das Schwimmen mit animatronischen Delfinen in Zukunft auf breite Akzeptanz stoßen kann. Allerdings wird sich durch den zunehmenden Einsatz von und Umgang mit Robotertieren zukünftig wohl auch unser Verhältnis zu echten Tieren verändern.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie halten die Forscher:innen es dabei durchaus für möglich, dass die zunehmende Interaktion mit Robotertieren unsere Beziehungen mit lebenden Tieren beeinträchtigen könne und erwähnen das von Richard Louv 2005 geprägte Konzept der Nature-Deficit Disorder. Louv beschreibt damit eine problematische Entfremdung des Menschen von der Natur, die unter anderem aus zunehmender elektronischer Kommunikation, dem Rückgang freier Flächen in der Stadtplanung und dem übermäßigen Straßenverkehr resultiert. Ob die Interaktion mit "Tieren" wie Delle letztlich auch zu einer solchen Entfremdung beitragen wird, lassen die Forscher:innen noch offen.

Fraglich ist dabei auch, inwieweit Robotertiere ihre lebenden Lookalikes überhaupt ersetzen können. Christian Dries, Professor für Sozialphilosophie an der Uni Freiburg sagte in DLF Kultur kürzlich, er fände die Vorstellung, "die ganze Welt in einen animatronischen Zoo [zu] verwandeln", absurd, weil das Fremde und Zufällige in den Begegnungen zwischen Mensch und Robotertier fehle.

Dieses zufällige Verhalten lässt auch der Roboterdeflin von Edge Innovations vermissen, muss er doch per Joystick aus der Ferne gesteuert werden. Einen klaren Vorteil hat Delle aber insbesondere für die Unterhaltungsbranche. Durch ihre lange Akkulaufzeit kann sie nämlich vor allem eins: stundenlang performen, ohne dabei - im Gegensatz zu echten Delfinen - zu ermüden oder gar zu leiden.

Und an diesem Punkt kommt nun die wirklich problematische Frage zum Vorschein. Warum finden Menschen es überhaupt vergnügsam, wenn andere Wesen auf ihre Kommandos hin Kunststücke ausführen? Ist es nicht langsam an der Zeit, unsere angebliche Dominanz gegenüber anderen Spezies generell einmal in Frage zu stellen?

Solange wir zu diesen Fragen keine ethisch nachvollziehbare Haltung gefunden haben, ist der Roboter-Delfin auch nur ein weiteres Zeugnis für die brutale Natur des Menschen - Der all seine geniale Intelligenz dazu verwendet, die ausgebeutete Natur als animatronischen Replik weiterhin seine Befehle ausführen zu lassen. Denn wirklich bessern wird sich unser Verhalten gegenüber Tieren nicht, wenn wir es nur bequem auf synthetische Doppelgänger projizieren.

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