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Video von „Dandy Diary": Der Kunde ist „Scheich"

Der Fake-Scheich und seine Fake-Frauen

Am Jungfernstieg in Hamburg fährt ein weißer SUV vor, aus der rasch geöffneten Tür steigt ein Scheich - das müssen zumindest die Verkäuferinnen und Verkäufer vom Alsterhaus denken, als sie den klischeehaft in Weiß gewandeten Gast empfangen. Sie selbst sind ausstaffiert mit Regenschirmen und gekleidet in schwarze Anzüge und Röcke. Sie begrüßen ihn und die drei verschleierten Frauen, die ihn begleiten, und führen sie zum Eingang des Kaufhauses - galant, höflich, zuvorkommend.

Das Video, das mit dieser Szene beginnt, heißt „Fata Morgana", der vermeintliche Page und Chauffeur des Scheichs David Kurt Karl Roth. Er trägt einen schwarzen Anzug - ein eher untypisches Outfit für den Gründer des Blogs „Dandy Diary", auf dem die Sequenz nun veröffentlicht wurde. Hier handelt es sich nicht nur um eine optische, sondern eine tatsächliche Täuschung. Der Scheich, die Frauen: alles fake. Unter den Kostümen stecken Schauspieler und versteckte Kameras.

Einige Mails und Telefonate reichten offenbar aus, um die Illusion zu verkaufen. Roth selbst öffnet im Film die Tür, bleibt dann aber draußen. Zu hoch wäre wohl das Risiko, erkannt zu werden. Spätestens seit er einen Flitzer in die Fashion Show von Dolce & Gabbana in Mailand schickte, wird er mit Störungen des professionalisierten Modebetriebs in Verbindung gebracht.

Der Ansatz ist dieses Mal ein anderer, die Zielsetzung ähnlich: hinter die Fassade, die Tünche schauen, auf die zugrundeliegenden Mechanismen. Drinnen wird der Scheich-Darsteller die Grenzen dessen ausloten, was die Mitarbeiter in Kauf nehmen, um zu verkaufen. „Ich habe schon vor einiger Zeit bemerkt, dass Luxusmarken und Kaufhäuser Angebote für gut betuchte Einkäufer aus dem arabischen Raum schaffen", sagt Roth. „Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich in der Modebranche spiegelt. Deshalb ist es für uns interessant."

In den Sommermonaten begeben sich die Scheichs gerne zusammen mit ihrem Gefolge auf Shopping-Reise durch Europa. Für 2022 prognostiziert die Beratungsfirma Thomson Reuters, dass der muslimische Modemarkt ein Volumen von umgerechnet 325 Milliarden Euro haben wird. Labels und Läden stellen sich darauf ein. Von Nike gibt es einen Hijab und Louis Vuitton zeigt eine Kopftuchkollektion. Beides ist zu sehen in der arabischen Ausgabe der „Vogue", die 2017 gegründet wurde, und wird aktuell in der Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion" im Frankfurter Museum Angewandte Kunst verhandelt. Ob das Kopftuch nun ein Zeichen der Unterdrückung oder Ausdruck der Selbstbestimmung und Religionsfreiheit ist, steht im Dandy-Diary-Video nicht im Vordergrund. Vielmehr sei der Umgang der Modebranche mit dem neuen Kundensegment spannend für ihn gewesen, sagt Roth.

„Don't dress your horse better than yourself"

„Personal Shopping" heißt der Service für sehr wichtige Gäste, bestätigt das Alsterhaus auf Anfrage. Wobei „wichtig" hier im Sinne von „reich" zu verstehen ist - also wichtig für das Unternehmen. Im Video wird dieses Angebot aufs Äußerste strapaziert. Die Verkäufer übergehen elegant das demütigende Verhalten des vermeintlichen Scheichs, auch gegenüber seinen Frauen. Während er zu einem persönlichen Aufzug geführt wird, sollen sie auf dem Weg in die Unterwäscheabteilung zum Beispiel die Treppe nehmen. Dort werden Dessous für die Jüngste ausgesucht, als Geschenk zu ihrem 15. Geburtstag. „Don't dress your horse better than yourself", sagt der vermeintliche Scheich. Die Frauen sagen nichts, dürfen nicht angesprochen, nicht angesehen, nicht angefasst werden. Die Mitarbeiter lächeln höflich, bringen zuvorkommend weitere Lingerie.

„Es ist völlig klar, dass wir hier ein Klischee zeigen, eine Übertreibung, eigentlich eine Satire, ein bisschen wie Hape Kerkeling als Queen Beatrix", sagt Roth. Mit Blick auf die unterdrückten Frauen ist das eher bestürzend als lustig. „Die überzeichnete Klischee-Darstellung dient aber vor allem als Werkzeug, um einen Blick auf eine andere, viel absurdere Welt zu werfen: Die weiß-kapitalistische Welt, in der Verkäufer - angetrieben vom System - alles dafür tun, um Umsatz zu generieren", sagt der Blogger

Im weiteren Verlauf des Shoppingtrips lässt sich der Scheich von den Mitarbeitern die Socken überziehen, betont aber, dass das nichts mit Homosexualität zu tun habe, obwohl er ja wisse, dass in Deutschland jeder mit jedem schlafe. Buchstäblich auf Händen wird er schließlich von den Mitarbeitern aus dem Kaufhaus getragen und höflich verabschiedet. „Ich glaube, dass diese Situation keine alltägliche für die Verkäufer war, aber es wird nicht in Frage gestellt, dass man alles macht, um den Kunden und damit das Haus zu befriedigen. Die Verkäufer haben in keinem Moment daran gezweifelt, dass das hier ein echter Scheich ist", erzählt Roth. Im Video sind sie unkenntlich gemacht, um ihre Identität zu schützen.

Es gehe nicht um sie persönlich, sondern um die Geisteshaltung und Geschäftspraxis des Hauses, betont Roth. Auf seinem Blog schreibt er: „Fata Morgana ist eine Satire. Aber auf was denn schlussendlich eigentlich? Auf die Kultur der Scheichs? Oder aber auf eine Industrie, die - sobald das Bakschisch stimmt - offensichtlich keine Grenzen mehr kennt? Darf der weiße Mann 2019 die arabische Kultur parodieren, um das weiß-kapitalistische System zu entlarven?"

Das Alsterhaus gehört zur KaDeWe-Gruppe. Auf Anfrage äußert das Luxuskaufhaus, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten „nicht so gehandelt und sich so verhalten, wie wir und sie selbst sich das vorstellen". Zudem habe man in einem Gespräch auf Werte und Normen des Unternehmens hingewiesen. Welche das sind, wollte die Gruppe auch auf wiederholte Nachfrage nicht sagen. Westliche Werte wie Freiheit und Toleranz stehen in Werbekonzepten hoch im Kurs. Insbesondere Modeunternehmen versuchen häufig, ihre Produkte über eine Idee zu verkaufen. Die Betonung liegt aber auf „verkaufen". „Fata Morgana" ist da in jeder Hinsicht treffend. Die optische Täuschung entsteht schließlich durch eine Ablenkung des Lichts.

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