1 Abo und 1 Abonnent
Feature

Und hör nicht auf Yoda!

Bin ich wirklich ein guter Autofahrer? Brauche ich ein zweites Kochbuch? Und wo lerne ich, Zöpfe zu flechten wie Pippi Langstrumpf? Eine Selbstbefragung in Sachen Männlichkeit

Von Paul Linke

Ich bin kleiner, als ich dachte. Nicht viel, aber doch genug, um einen Verlust zu beklagen, der meine Männlichkeit berührt. Sie irgendwo tief im Innern kitzelt, piesackt und einmal ordentlich schüttelt. Es tut gut, darüber zu sprechen.

Jahrelang ging ich in dem amtlich beglaubigten Wissen durch die Welt, einen Meter und sechsundsiebzig Zentimeter groß zu sein. Das war mir wichtig. Damit gehörte ich zur körperlichen Mittelschicht. Korrekt aufgerundet maß ich schon eins achtzig. So wie Leonardo DiCaprio. Oder Lukas Podolski. Und nur noch einen Zentimeter weniger als Claudia Schiffer. Dann hatte ich neulich Grippe. Eine echte.

Die Krankschreibung war ausgestellt, als mich das seltene Bedürfnis übermannte, mehr über meine Gesundheit zu erfahren. Ich werde bald achtunddreißig. Aufgerundet bin ich vierzig, stehe statistisch gesehen vorm Bergfest. Jedenfalls war ich dankbar, dass meine Hausärztin sofort wusste, was ich brauchte: einen Check-up.

Es ist alles in Ordnung, selbst meine Lungenfunktion trotz Zigaretten und einer gegen null tendierenden Trainingsbeteiligung bei über einhundert Prozent. In zwei Jahren solle ich wiederkommen, sagte meine Hausärztin. Ich fühlte mich schon, als wäre ich durch den TÜV gekommen. Bis sie beiläufig sagte: "Eins vierundsiebzig - Komma sechs." Ich aufgeschreckt fragte: "Sicher?" Und sie mitfühlend nickte.

In der Hoffnung auf eins siebenundsiebzig Komma irgendwas hatte ich mich unauffällig gestreckt. Stattdessen bin ich wohl geschrumpft. Kenne endlich meine wahre Größe. Habe nur noch fünf Zentimeter Vorsprung auf Tom Cruise. Aber nur, wenn er keine Absätze trägt.#

JEDER MANN, DENKE ICH, ist dazu aufgefordert, sich neu zu vermessen, eine Art Selbstauskunft einzuholen und so mehr über das Innenleben seiner Männlichkeit zu erfahren. Über das Besondere und manchmal auch: das beschämend Sonderbare bis Absonderliche. Ich habe mal gelesen, dass der Kopf rund ist, damit das Denken die Richtung ändern kann.

Das ist für mich eine Konsequenz aus der Debatte, die Frauen #MeToo schreiben, aufschreien oder flüstern lässt. Eine andere: Niemand darf sich in einen Bademantel des Schweigens hüllen, sollte er Zeuge von Sexismus werden. Einverständnis ist so unmissverständlich nicht. Nein heißt wirklich nein. Und ich hoffe, dass sie es nicht gemerkt hat, wie ich einmal den Druck ihrer Brust auf meiner spüren wollte. Party, Dunkelheit, der Schutz der Menge. Ich war fünfzehn, angetrunken, sie schön und zwei Klassen über mir.

Viele Männer sind an ihrem Mannsein interessiert. Mit Leidenschaft zerlegen einige ihre Männlichkeit in Puzzlestücke, setzen sie wieder zusammen und stellen sich existenzielle Fragen, wo ihnen die Gewissheiten ausgehen. Dabei benutzen sie gern Ausrufezeichen.

Im Internet stoße ich auf einen Männerkongress ("Männer! Macht! Therapie!"), wo "über das Töten, die Seele des Menschen, den Stoizismus und das Knockout" gesprochen wird. Auf eine Männerkonferenz ("Entwickle Deine Männlichkeit!"), bei der nur Männer Vorträge halten, darunter ein Hirnforscher von der Akademie für Potentialentfaltung, bevor sich die ausschließlich männlichen Teilnehmer auf einem "Fitnessspielplatz" treffen können. Das Einzelticket für 149 Euro! Oder die Männerseite männersache.de ("Das bleibt Männersache!"), die solche News verbreitet: "Diese Pillen lassen deine Fürze nach Rosen duften", "Mit diesem geheimen Militärtrick entrinnst du dem Tod", "Jagdhund wird von Wölfen attackiert und filmt Angriff mit GoPro".

ICH WUSSTE VORHER NICHT, DASS ES DAS GIBT: Männerforscher, Männerrechtsaktivisten, Maskulisten. Und dass man einen Schreck bekommen kann, wenn es heißt, die Emanzipation der Frau sei nicht am Ziel angelangt, sondern allenfalls auf halber Strecke, beim Nachtanken vielleicht. Aus Angst, Teile ihrer Männlichkeit zu verlieren, verkehren Maskulisten einen Fakt wie die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern zum Mythos, und sie vertauschen Debattenvorzeichen, um sich als Opfer in die Decke zu kuscheln. Eigentlich, denke ich, müssten sich diese Männer mit feministischen Theorien auseinandersetzen. Dann wären sie nicht mehr so wütend oder gar dankbar für ein paar Lösungsansätze, wie man stark sein kann als schwaches Geschlecht.

Der Mann ist in der Krise, lese ich stattdessen. Schon wieder. Immer noch. Er fühle sich degradiert, nicht gebraucht, missverstanden, er sei überfordert und zerrissen zwischen Job und Familie, als wäre er auf einer Streckbank gefoltert worden. Nur von wem? Von einer Terrororganisation, die sich als Feminismus tarnt?

Feminismus ist nicht mein Feindbild. Wäre er ein Klub, wäre ich Fan, aber passives Mitglied. Denn obwohl ich gelernt habe, dass Gleichberechtigung eine gemeinsame Anstrengung wert sein sollte, musste ich noch nie einen Finger krümmen.

Als weißer, heterosexueller und in Westeuropa sozialisierter cis-Mann war mir klar, dass mich das Leben strukturell bevorteilt. Doch wie klar die Nachteile für Frauen sind - das wusste ich nicht.

Ich habe eine Liste von Privilegien gefunden. Die amerikanische Autorin Maisha Z. Johnson hat fast zweihundert zusammengetragen. Darunter viele, die wie blinde Flecken meine Wahrnehmung trüben: Männersport bekommt mehr mediale Aufmerksamkeit; medizinische Forschung widmet sich vorzugsweise Männern; Männer können alleine und meist ohne die Angst reisen, belästigt zu werden, genötigt oder vergewaltigt; sie sind seltener Opfer von Stalking oder Rachepornos.

Bei Geschlechterfragen geht es oft um Wahrscheinlichkeiten, denke ich. Männer werden häufiger krank, aber sie ernähren sich auch ungesünder, rauchen und trinken mehr und gehen seltener zum Arzt als Frauen, die wahrscheinlich länger leben, weil sie es tun.

Erklären lässt sich wahrscheinlich auch, warum das Prozentzeichen von den einen als Nase mit zwei Augen, von den anderen sexuell gedeutet wird. Einer nicht repräsentativen Umfrage zufolge hat die Erklärung wenig mit dem Geschlecht zu tun. Auch für Männer muss das Prozentzeichen nicht mehr sein als eine dünne von links unten nach rechts oben verlaufende und unterwegs zwei Kreise passierende Linie.

Männlichkeit hatte früher weniger Spielarten, denke ich. Es gab eine klassische Rollenverteilung und irgendwann nur noch Klischees: der starke Mann, das Familienoberhaupt, der Alleinernährer, der irgendwann damit beginnt, sich schweigend und trinkend in sein inneres Exil zu verkriechen, wo er verdrängt, was um ihn herum passiert, weil er es nicht aufhalten kann.

Menschen klammern sich nun mal gern an Dinge. Und Männer haben meist den festeren Klammergriff. Sie können schnell übergriffig werden, wenn sie ihre Männlichkeit so praktizieren, als wäre sie ein Frust zu Aggression oder Gewalt verarbeitendes Gewerbe.

Es gibt immer weniger Dinge, die ausschließlich von Männern getan werden. Angela Merkel ist Bundeskanzlerin. Becky Hammon wird hoffentlich bald ein Basketballteam anführen, als Headcoach in der NBA. Es würde mich freuen, wenn der erste Mensch, der den Mars betritt, eine Frau wäre. Ich gehöre einer Generation an, für die es keinen Geschlechterkampf bedeutet, Gehaltsverhandlungen mit einer Chefin zu führen. So viel anders sagen Chefs auch nicht nein.

Wenn Frauen bereits alles können, können Männer endlich alles versuchen. Das kann doch kein Verlust sein! Das ist Freiheit. Denn ich bin frei darin zu scheitern - und über mich selbst zu lachen.

Neulich war ich ein mit sich und der Welt zufriedener Mann. Nach der Arbeit, nach Kita, Spielplatz, Supermarkt setzte ich Nudelwasser auf, entkernte eine Paprika und ließ sie in Streifen geschnitten anbraten. Ich röstete Pinienkerne, rieb Parmesankäse und schälte eine Knoblauchzehe. Alles nach Rezept. Das einzige iBook, das ich besitze, ist ein Familienkochbuch. Dieser Satz überzeugte mich: "Einmal kochen, alle glücklich machen!"

Gerade, als ich alles mit getrockneten Tomaten, Salz, Pfeffer, einer Handvoll Basilikum und einem Schuss Olivenöl zu hoffentlich Pesto pürieren wollte, klingelte es.

"WER IST DAS, PAPA?", fragte meine bald dreijährige Tochter. "Mama?"
"Noch nicht", sagte ich und war froh, gleich den nächsten Tagesordnungspunkt abhaken zu können. "Erst kommen die starken Männer von Hermes."

Kurz darauf stand ich in der Küche, links den Pürierstab haltend und rechts ein "Wer ist Hermes?" fragendes Kind hantierend, als zwei Männer durch die Tür traten. Es waren nicht viele Worte nötig. Kein Händedruck. Eine Unterschrift genügte. Dann war die Couch, die online gemütlicher ausgesehen hatte, wieder weg.

Zurückblieb ich: ein Feierabendpapa, der im täglichen Familienstaffellauf nicht den nächsten Wechsel verpatzen wollte; ein zunächst geringfügig mit Selbstzweifeln beschäftigter Haushaltsjobber, der sich dann immer mehr einbildete, seltsam beäugt worden zu sein. Diese Männer hatten Oberarme so dick wie meine Waden. Nichts an ihnen verlangt, aufgerundet zu werden. Sie trugen die Couch. Ich immerhin keine Schürze.

Ich fühlte mich schwach, unzulänglich, wurde weinerlich. Unsicherheit muss die plötzliche Abwesenheit von Überzeugung sein. Was dachte meine Tochter, die beeindruckt war von der Leichtigkeit des Abtransports und später das Pesto verschmähte? Meine Zufriedenheit verflüchtigte sich wie Helium aus einem Luftballon.

Dass Mannsein sich nicht aus schierer Kraft oder Größe ableiten lässt, weiß ich natürlich - auch wenn ich zu eingebildeter Verzwergung neige und offensichtlich ein leichtes Hermesbotensyndrom habe. Aber das Mannwerden, lese ich, ist ein soziales Konstrukt und hat mehr mit Erziehung und weniger mit den Genen zu tun, als ich angenommen hatte.

Als besonders männlich angepriesene Körpermerkmale sind im Krieg oder unter Tage von Vorteil. Ohne konkreten Verwendungszweck schreien sie nach Selbstoptimierung oder Fitnessstudio. Oder, auch das finde ich im Internet, nach einer Teilnahme am Seminar "Manngeburt", bei dem Männer sich "mit Hilfe von Ritualen, Aufgaben in der Natur, Prüfungen, Gesprächskreisen, Atmung, Schwitzhütten und Vision Quest dem inneren Wachstum verschreiben".

Neben Religion und Nationalität verliert auch das Geschlecht seine alte, identitätsstiftende Funktion. Gendergrenzen lösen sich auf. Sprache macht verschüttete Unterschiede deutlich. Im Rückwärtsdenken begabte Populisten und echte Kerle wie Wladimir Putin oder @therealDonaldTrump nutzen das aus. Sie versprechen eine neue Identität, deren Umrisse so verschwommen sind, als wären sie unter Sauerstoffmangel in einer Schwitzhütte skizziert worden. Nebenbei planen sie Hackerangriffe oder erfinden Handelskriege. Leider reicht das Farbspektrum meiner Fantasie nicht aus, um mir auszumalen, was es bedeutet, dass Computerspiele und Algorithmen meist von Männern programmiert werden.
Ich habe mir vorgenommen, einiges anders zu machen. So anders, dass meine Tochter mir eines Tages nicht zum Vorwurf macht, mich zu gemütlich eingerichtet zu haben in dieser Welt. Anders auch, als es mir beigebracht wurde.

Ich bin in Polen geboren, und meine Eltern wären früher nach Deutschland gekommen, wenn das Regime nicht das Kriegsrecht ausgerufen hätte. Als ich drei Monate alt war, ist meine Mutter wieder arbeiten gegangen. Ich blieb oft bei meiner Oma.

Nach der Wende unseres Lebens stellte sich meine Mutter in den öffentlichen Dienst und kletterte die Stufen ihres Tarifvertrags nach oben, ohne jemals einer Gewerkschaft beigetreten zu sein. Mein Vater wollte sich selbstständig machen, Geld verdienen, den Mercedes kaufen, den er sich so sehr wünschte. Den er auch mir versprach, als ich weinte vor Heimweh.

SPÄTER SAH ICH, WIE ER DAMIT KÄMPFTE, seinen im polnischen Kommunismus erworbenen Geschäftssinn auf den westdeutschen Kapitalismus anzuwenden. Er war oft nicht da. Import. Export. Das Sprechen schien ihn anzustrengen.

Gleichberechtigung sah bei uns so aus: Die Frau kümmerte sich um die Küche, die Einkäufe und die konsumfreudige Dekoration der späteren Eigentumswohnung; der Mann übernahm Keller, Garage, Mülltrennung und wurde ein Künstler darin, die Geschirrspülmaschine einzuräumen. Die häusliche Gewaltenteilung funktionierte. Doch das ist kein Modell, mit dem ich daheim durchkommen würde. Als Mann, Partner, später Vater musste ich erst im Selbststudium lernen, wie Freiwilligkeit und Verpflichtung zusammenpassen. Ich hatte keine verlässlichen Vorbilder.

Pippi Langstrumpf hätte es fast geschafft, doch letztlich waren alle Helden meines Alltags männlich. Sie hatten Superkräfte, schrieben aufwühlende Romane oder Songs und konnten verrückte Dinge anstellen mit einem Fußball. Eines haben sie mir nicht vermittelt: wie sich zwischenmenschliche Beziehungen möglichst unfallfrei mit Männlichkeit kombinieren lassen. Einer Männlichkeit, die man toxisch nennt, wenn als typisch männlich erachtete Handlungen und Verhaltensweisen übertrieben zur Aufführung kommen. Risikobereitschaft etwa, die sehr schädlich sein kann. Letztlich für alle.

"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte Herbert Grönemeyer Mitte der Achtziger. Er reimte "stark" auf "Herzinfarkt", das Publikum grölte "Außen hart und innen ganz weich". Machos konnten auch mal Softies sein.

Damals war ich vier und hatte einen Gummiring auf eine lose Gitterbettstange geschoben, um mit D'Artagnan und den anderen Musketieren in den Degenkampf zu ziehen. Alle für einen. Und einer für alle. Männer müssen nun mal für das Gute kämpfen.

Was gut ist, denke ich, definieren oft Männer. Männer, die aus einer nach oben offenen Machtposition heraus auf eine Männerwelt schauen, in der Frauen sich zwischen doppelten Böden und gläsernen Decken bewegen.

In der zweiten Klasse kritzelte ich in Danielas Poesiealbum unter "Wer ist dein Vorbild?" MARADONA in Großbuchstaben. Wer das sei, fragte sie. "Der beste Fußballspieler der Welt", sagte ich. Für das Gute kämpfende Männer müssen immer gewinnen. Fußball war der Sport, in dem ich besser als meine Freunde und irgendwann Weltmeister werden wollte.

Ich bin Sportjournalist geworden, ein Männersportjournalist, um genau zu sein. Ich arbeite gewisssermaßen in der Außenstelle einer raffgierigen Unterhaltungsindustrie: im Vertrieb und Marketing Profifußball.

Dort haben sie größere Sorgen als den Ausgang eines nächsten Spiels, das oft von Zufall bestimmt wird und manchmal von der Hand Gottes. Öffentlich - falls überhaupt - sprechen Fußballer erst am Karriereende darüber. So wie Per Mertesacker, ein Weltmeister, der vor ein paar Wochen die körperlichen und seelischen Qualen seines Profilebens beschrieb.

Die einen feierten ihn als Vorbild dafür, ein Tabu gebrochen zu haben. Andere beschimpften ihn als Weichei, dem man keine Jugendmannschaft anvertrauen dürfe. Mertesacker sagte: "Aber selbst wenn ich vor jedem Spiel erbrechen und zwanzigmal in die Reha müsste, ich würde es immer wieder machen." Dem System, das er angreifen wollte, stellte er sich doch wieder als Abwehrspieler zur Verfügung.

MIT ZWÖLF WOLLTE ICH EIN JEDI WERDEN. Meister Yoda lehrte mich, meine Gefühle zu unterdrücken und meine Gedanken vor anderen zu verbergen. Nur so würde ich mich nicht selbst verraten, nur dann bliebe es mir erspart, wie der röchelnde Darth Vader auf der dunklen Seite der Macht zu enden. Siegertypen, die für das Gute kämpfen, müssen nun mal Opfer bringen, um ein Abenteuer zu bestehen. Um im letzten Level auch den Krieg der Sterne zu gewinnen.

Erst vor kurzem erfuhr ich, dass man die Philosophie der Jedi mit einem Subtext unterlegen sollte. In "Episode III - Die Rache der Sith" hat Anakin Skywalker berechtigte Angst, seine Familie zu verlieren, und Yoda sagt: "Eine Bindung führt zu Eifersucht. Der Schatten der Raffgier, das ist." Verzweifelte Frage: "Was muss ich tun Meister Yoda?"

Es folgt das, was der amerikanische Videoessayist Jonathan McIntosh den "womöglich schlechtesten Rat in der Geschichte der Galaxis" nennt. Hier ist er: "Dich darin üben du musst, loszulassen. Alle Dinge, von denen du fürchtest, sie zu verlieren." Als sei Empathie eine auf dem Waldmond Endor grassierende Seuche und nicht das Vermögen, Mitgefühl zu zeigen, mal in den Arm zu nehmen. "Angehende Jedis", sagt McIntosh, "werden dazu ermutigt, eine autonome, emotional losgelöste Insel zu werden."

Mit sechzehn las ich Max Frisch und bewunderte "Stiller" für seine Fähigkeit, bis zur Selbstverleugnung ("Ich bin nicht Stiller") vor allem unter sich selbst zu leiden. Über meiner Jugend lagen teils
selbstzerstörerische Zeilen von Pearl Jam: "Oh I'll keep takin' punches until their will grows tired".
STILLER, SOLLTE ICH BEGREIFEN, IST EIN FEIGES ARSCHLOCH. Und die Band, die ich immer noch liebe, macht keinen Grunge, sagte mir mal jemand, sondern Musik, die vor Sex trieft, daher auch Schwanzrock genannt wird. Ein sehr männlicher Siegertyp muss gewisse Dinge ausblenden, ehe er seinen Kampf für das Gute fortsetzen kann.

Und Grönemeyer, den ich zuletzt mit Anfang zwanzig live gesehen habe? "Ich kann's nicht mehr hören", sagte er vor ein paar Jahren in einem Interview, "Männer nehmen in den Arm, Männer sind schon als Baby blau - welchen Sinn hat das denn? Ich habe Sätze geschrieben, die sind einfach stulle. Aber im Zusammenhang mit der Musik funktionieren sie."

Ein Teil meiner inzwischen ausgebildeten Männlichkeit beruht übrigens darauf, von mir selbst zu glauben, ein exzellenter Autofahrer zu sein. Kilometer pro Stunde scheint mir eine männliche Einheit zu sein. Und es gibt mehr: Mails am Morgen, Biere am Abend, Frauen im Leben, vom Lieblingsklub geschossene Tore.

Jedenfalls kann ich mich darüber aufregen, wenn jemand sich - meist ist es eine Frau - darüber aufregt, dass ich zu schnell fahre. Statt meine Fähigkeit zu würdigen, alles unter Kontrolle zu haben. Wahrscheinlich weil keine von ihnen weiß, dass ich nur von den Besten gelernt habe, wie man Kurven einsieht und schneidet, um auf der Ideallinie zu bleiben: von meinem Vater und Ayrton Senna.

Ich habe das Buch "Boys don't cry - Identität, Gefühl und Männlichkeit" des britischen Autors Jack Urwin gelesen, und ich kann es nur empfehlen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Geschichte, die sich vor ein paar Jahren im australischen Bundesstaat New South Wales zugetragen hat. "No One Thinks Big Of You" stand da auf großen Tafeln. Nach dem ersten Jahr gab es weniger Verkehrstote. Drei Viertel der jungen Fahrer in der Gegend sagten, die Kampagne hätte sie veranlasst, sich an die Geschwindigkeit zu halten. Urwin schreibt: "Es funktionierte, weil sie mehr Angst hatten, als uncool zu gelten, als zu sterben."

Daran musste ich neulich denken, nachdem ich die vier eng hintereinander geschalteten Ampeln am Kottbusser Tor, in diesem schnittigen Kreisverkehr, viermal bei Gelb überfahren hatte - was mir immer ein großes Vergnügen bereitet. Diesmal etwas weniger. Nicht viel, aber doch genug, um einen Verlust an sonderbarer Männlichkeit zu feiern, die durchgekitzelt, gepiesackt und einmal geschüttelt worden war.
Fahr vorsichtiger, sage ich jetzt manchmal zu mir. Und wenn ich schon dabei bin: Geh öfter zum Arzt,
kauf dir ein zweites Kochbuch und mach mehr Sport, aber nicht für die Oberarme. Lies mehr weibliche Autoren und erwähne Simone de Beauvoir, wenn alle nur Sartre und Camus sagen. Such dir doch mal ein weibliches Vorbild oder lern wenigstens, Zöpfe zu flechten wie Pippi Langstrumpf. Geh mit deiner Tochter zu einem Amateurfußballspiel. Und hör nicht auf Yoda!

Erschienen am 5. Mai 2018