Paul-Philipp Braun

Journalist für Text und Foto, Erfurt

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Nähzeit statt Spielzeit

Sistrut Vogel zählt noch einmal nach, ob die Anzahl der Masken dem Bedarf entspricht.

Es ist schon ein kleiner Berg aus Plastiktüten, Wäschekörben und Stoffstücken der sich vor dem Ballettsaal aufgetürmt hat. „Das haben wir noch nicht sortieren können. Einfach noch keine Zeit ´für gehabt", sagt Sistrut Vogel, fast entschuldigend. Sistrut Vogel ist von zierlichem Wuchs, eine große Brille bestimmt ihr Gesicht, die dahinterliegenden Augen strahlen vor Freude. Seit einigen Jahren ist die Eisenacherin Pressesprecherin des Landestheaters. Normalerweise bereitet sie Spielzeithefte vor, steht Journalistinnen Rede und Antwort oder kümmert sich um Kritiken und Kritiker. Doch in diesen Tagen ist alles anders. Bereits Anfang März hat das Theater seinen Spielbetrieb eingestellt. Eine Facebook-Mitteilung, Presseinformationen und Notizen in den Schaukästen mit den imposanten Theaterfotos hatte Vogel damals noch für die Absage veranlasst. Dann war erst einmal Ruhe. Kein Theater, keine Pressearbeit. Doch diese Auszeit war nur von kurzer Dauer. Denn zu Hause herumsitzen und stoisch auf das Ende der Krise warten, das käme für keinen „Theater-Menschen" in Frage, erklärt Sistrut Vogel.


Und in der Tat, schon wenige Tage nach der Bekanntgabe der zeitweiligen Schließung des Eisenacher Hauses kam die Theaterleitung auf eine Idee: Die Unterstützung des Gesundheitswesens in der Corona-Krise sollte auch vom Landestheater aus geleistet werden. Für Susanne Hoffmann, die für Öffentlichkeitsarbeit und Besucherservice zuständig ist, eine Herzensangelegenheit. Schließlich habe das Theater mit seiner hauseigenen Schneiderei genügend Ressourcen, um eine andere - derzeit stark mangelnde - Ressource zu fertigen: Atemmasken. Eine Schneideranleitung aus dem Internet diente als Vorlage, die Theaterschneiderinnen fertigten erste Prototypen und brachten sie zur Begutachtung ins Eisenacher St. Georg Klinikum. Das Zeugnis für die Theater-Masken fiel durchweg positiv aus und das Krankenhaus bestellte gleich so viele, wie möglich sind. Inzwischen werden sie über die Klinik auch an andere Einrichtungen verteilt.


Mit dem Mitteldeutschen Rundfunk, über Facebook und durch die örtlichen Tageszeitungen rief das Theater daraufhin auf, Stoffspenden zu leisten. „Wir brauchen dafür kochfeste Baumwolle, wie sie etwa in Bettwäsche verarbeitet wird", erklärt Susanne Hoffmann. Sie übernahm an die Koordinierung der Spendenaktion und Verarbeitung, Sistrut Vogel holte die Stoffe zum Teil - natürlich kontaktlos - bei Einzelpersonen ab. Bis in das 50 Kilometer entfernte Schlotheim führte sie ihre Tour. Als sie zurückkam, war das Theater-Auto bis zum Dach mit Bettwäsche beladen. „Wir mussten dann erst einmal sortieren, was für unsere Zwecke geeignet ist und welche Stoffe wir nicht verwenden konnten", sagt Sistrut Vogel und verweist auf die Kochfeste der Baumwolle. Denn Nähen allein reiche nicht. Die Wäscherei des Krankenhauses müsste jede Maske vor dem Einsatz noch einmal mit speziellen desinfizierenden Mitteln waschen, um die Hygiene sicherzustellen. „Wenn dann aber Polyester oder so in dem Stoff ist, dann leiert der aus und die Maske ist nicht mehr zu gebrauchen."


Inzwischen ist der Nähsaal des Theaters täglich besetzt. Zu viert arbeiten sie von hier aus, sortieren die Wäsche, nähen, bügeln, falten, versehen die vorbereiteten Stoffstücken mit Baumwollbändern. Bis zu 70 Masken schafft das Team pro Tag. Hinzu kommt die Unterstützung aus den Homeoffices. Denn wer einer Risikogruppe angehöre, der schneidert die Schutze von zu Hause aus, sagt Susanne Hofmann. Und auch der Platz sei ein Problem. Zwar wäre es „in normalen Zeiten" nicht ungewöhnlich, dass in der Schneiderei viele Leute tätig sind, im Corona-Ausnahmezustand wird allerdings genau auf die notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln geachtet. Also: Höchstens vier Menschen im Nähsaal. Inzwischen unterstütze das ganze Theater die Aktion mit dem jeweils eigenen Einsatz, freut sich Susanne Hoffmann. Schauspielerinnen und Balletttänzerinnen würden ebenso mit Masken nähen, wie Verwaltungsmitarbeiterinnen und Menschen aus dem Requisitenbau. „Wir wollen einfach unsere Möglichkeiten zur Verfügung stellen", sagt Hoffmann und will sich zugleich bei den vielen Menschen bedanken, die das Theater durch teils großzügige Stoffgaben unterstützt haben.


Die Menschen wiederum bedanken sich auf ihre Art bei den Theater-Leuten. Vielen der Stoffpakete liegen hand- oder auch computergeschriebene Zettel bei. Auf ihnen bedanken sich die Gebenden für das Engagement des Landestheaters, wünschen alles Gute und geben sogar noch Tipps, wie die Arbeit mit Bügeleisen und Nähmaschine noch leichter von der Hand gehen kann. Hin und wieder sei es sogar noch originalverpackte Bettwäsche aus den Volkseigenen Betrieben der DDR, die mit den Spenden käme. „Da liegt dann oft noch eine Quittung oder ein Beiblatt drin", lacht Susanne Hoffmann. Und Sistrut Vogel freut sich schon, auch den Bettenberg vor dem Ballettsaal zu sortieren und die weiße, bunte oder gemusterte Wäsche zu Masken-Unikaten werden zu lassen.

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