Bald ist Winter in Charkiw, und der Bomben-Schaden bei der Alla Varlamova ist noch nicht behoben. Der örtliche Priester ist gekommen und packt mit an. Charkiw war bis zum russischen Rückzug schwer umkämpft. Die Zerstörungen sind noch überall zu sehen. Viele Menschen haben die Gegend verlassen. Geblieben sind vor allem die Alten – und die müssen sich nun so gut es geht für die kalten Monate wappnen. Es mangelt an Baumaterialien – wegen russischer Attacken auf die Infrastruktur gibt es zudem vielerorts kein Wasser und Gas und keinen Strom.
Viacheslav Koyun, Ortspfarrer
»Sie greifen kritische Infrastrukturen an: Kesselhäuser, Elektrizitätswerke, Umspannwerke. Wir haben ein Umspannwerk in der Nähe, das sehr oft angegriffen wurde. Manchmal hatten wir wochenlang kein Licht. Kein Wasser in der Gegend.«
Vor dem Frost müssen so viele Gebäude wie möglich repariert werden – sonst könnten Wasserrohre einfrieren. Und auch die Gasleitungen müssen dicht sein, damit die Heizsysteme in den Städten funktionieren. Es ist eine Mammutaufgabe: Nach Angaben der Ukraine wurden bisher schätzungsweise 50.000 Gebäude beschädigt sowie 350 Heizanlagen.
Pfarrer Koyun improvisiert. Er baut Holzplatten ein - an richtige Fenster zu kommen ist schwer. Glas ist in der Ukraine zurzeit Mangelware. Also ist die Devise: Hauptsache dicht.
Alla Varlamova, Anwohnerin
»Von hier aus wird es noch etwas ziehen, aber ich plane, die Lücken mit diesem Schaumstoff hier zu schließen. Und dann werde ich eine Folie über alles legen, um den Raum so warm wie möglich zu halten.«
Auch Olga Kobzar wohnt in einem zerstörten Haus. Ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne Heizung. Sie stellt ihren Herd an, um ihre Wohnung wärmer zu bekommen. Die ukrainischen Behörden raten den Bürgerinnen und Bürgern, sich Generatoren und Feuerholz zu beschaffen – für den Fall, dass die Heizung ausfällt. Viele Menschen haben sich elektrische Heizlüfter zugelegt – das birgt allerdings die Gefahr, dass das Stromnetz zusammenbricht, wenn zu viele Menschen gleichzeitig die Elektroheizungen nutzen.
In Charkiw sind bereits jetzt teilweise weniger als 10 Grad Celsius – kurz vor dem Kriegswinter versuchen die Menschen, sich so gut es geht vorzubereiten: Sie reparieren ihre Häuser notdürftig, isolieren mit Styropor, sammeln Holz. Die Kindergärtnerin Anzhelyka Shpak hat in ihrem Keller eine Notunterkunft eingerichtet. Sollten die Heizungen ausfallen, kann sie hier Menschen für ein kurze Zeit versorgen.
Auch in anderen Regionen der Ostukraine ist die humanitäre Situation schlecht. Im Donbass überqueren Anwohner eine selbst gebaute Brücke. Im Hintergrund ist Artilleriefeuer zu hören. Die Brücke verbindet die von der Ukraine kontrollierte Stadt Bachmut mit den russisch besetzten und umkämpften Gebieten der Region. Die Menschen von dort decken sich in Bachmut nur mit Hilfsgütern ein und kehren dann in das Kriegsgebiet zurück. Ihre Heimat zu verlassen ist für sie keine Option…
Nina (60), Bewohnerin des Donbass
»Aber wohin soll ich denn sonst gehen? Meine Tochter ist in einem Tagebau gestorben. Eine Granate hat mein Haus getroffen. Ich werde nirgendwo hingehen. Ich habe sie nicht begraben, sie liegt immer noch da…
Ich kann nicht, es tut mir leid.«