Brennende Polizeiautos und Kopftücher, die verbrannt werden – seit über zwei Wochen demonstrieren im Iran landesweit Menschen für mehr Freiheit. Wackelt das Mullah-Regime – oder bleibt die Protestbewegung ohne größere Folgen?
Auslöser der Demonstrationen war der Tod der 22 Jahre alten Iranerin Mahsa Amini. Die junge Kurdin wurde wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung von der Sittenpolizei verhaftet. Amini brach auf der Polizeiwache zusammen und wurde drei Tage später im Krankenhaus für tot erklärt. Ob die Behörden dafür verantwortlich sind, ist bisher nicht eindeutig geklärt – und doch löste der Vorfall Proteste aus, die sich schnell auf zahlreiche Städte ausbreiteten. Massenproteste hat es in Iran in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben...
Dr. Azadeh Zamirirad, Politologin
»...es gibt hier aber sicherlich eine sehr starke emotionale Komponente, die dadurch gegeben ist, dass hier eine junge Frau, die eigentlich nur zu Besuch war in Teheran, um ihre Familie zu treffen, auf so tragische Weise aus dem Leben gerissen worden ist. Und jede Frau in Iran kennt dieses Gefühl, diese Nervosität, diese Sorge, die damit einhergeht, dass man von der Sittenpolizei mitgenommen werden kann. Ich denke, diese sehr emotionale, persönliche Komponente hat hier doch noch mal etwas befeuert.«
Mancherorts eskalierten die Proteste, die Sicherheitskräfte gingen mitunter hart gegen die Versammlungen vor. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Iran Human Rights wurden bislang mindestens 84 Demonstrierende getötet – darunter sechs Frauen und vier Kinder. Die Behörden sprechen von zehn toten Beamten.
Dr. Azadeh Zamirirad, Politologin
»Die Islamische Republik reagiert eigentlich so, wie sie immer in solchen Protestlern reagiert. Sie hat eine ganze Reihe von Instrumenten, auf die sie zurückgreifen kann. Dazu gehört natürlich der Sicherheitsapparat. Dazu gehören Sondereinsatzkräfte der Polizei, die in der Aufstandsbekämpfung geschult sind. Dazu gehören zivile Milizen, die auf den Straßen unterwegs sind und auf Demonstranten einschlagen mit Knüppeln. Dazu gehört auch die Beschränkung technische Beschränkungen des Internetzugangs […] aber auch die gezielte Verhaftung zum Beispiel von Journalistinnen und Journalisten, von ihnen unliebsamen Aktivistinnen, von politischen Gegnern. All das sehen wir heute wieder, und das sind auch Instrumente, die auch in früheren Protesten immer wieder zum Einsatz gekommen sind.«
Offiziellen Angaben zufolge wurden mehr als 1200 Menschen festgenommen, Aktivisten gehen von einer deutlich höheren Zahl aus. Durch die Straßenproteste wird der Kampf gegen Kopftuchzwang und für Frauenrechte international sichtbar – zivilen Ungehorsam für diese Ziele gibt es schon lange.
Dr. Azadeh Zamirirad, Politologin
»Natürlich sind dem Ganzen Jahrzehnte vorausgegangen, in denen sich Frauen alltäglich eigentlich dieser Kleiderordnung widersetzt haben, indem sie das Kopftuch zum Beispiel nicht dazu genutzt haben, um sämtliche Haare zu bedecken, indem sie farbenfrohe Kopftücher getragen haben, versucht haben, das sozusagen modisch anzupassen, indem die Kleidung enger wurde, kürzer wurde. Das sind ja bereits ganz alltägliche Akte des Widerstandes, die den Protesten, die wir heute sehen, auch lange vorausgegangen sind und bei denen die Frauen schon viel, viel früher sehr viel Mut an den Tag gelegt haben und immer das Risiko eingegangen sind, dass sie eben von der Sittenpolizei mitgenommen werden können.«
Mahsa Amini soll nach Angaben der Polizei wegen »des Tragens unangemessener Kleidung« auf die Polizeiwache gebracht worden sein. Seit der Islamischen Revolution von 1979 gilt in Iran eine strenge Kleiderordnung für Frauen. In der Öffentlichkeit müssen sie ihre Haare verdecken und mit locker sitzender Kleidung ihre Figur verschleiern. Verstöße werden insbesondere von der Sittenpolizei geahndet – es drohen Verhaftungen und Geldstrafen. Vielen Demonstrierenden aber geht es um viel mehr als das Kopftuch.
Dr. Azadeh Zamirirad, Politologin
»Das Kopftuch steht ja gewissermaßen sinnbildlich für diese Islamische Republik. Es zeigt ja sehr eindringlich, wie weit der Staat in die Persönlichkeitssphäre der Bürgerinnen und Bürger dann auch eingreift. Ich sage auch Bürger, weil auch die natürlich von der rigiden Kleiderordnung betroffen sind, wenn ihre Frauen, ihre Schwestern, ihre Töchter potenziell von der Sittenpolizei mitgenommen werden können. Es steht auch sinnbildlich für die Gleichstellung von Mann und Frau in diesem Land. Frauen sind Männern nicht rechtlich gleichgestellt in der Islamischen Republik und sollen es auch nicht sein. Insofern handelt es sich um sehr viel mehr als nur um ein Stück Stoff. Und viele, die auf der Straße sind, begehren ja nicht nur aufgrund des Kopftuches auf, sondern eben, weil sie es sinnbildlich für diese Islamische Republik sehen und diese Republik, die auf theokratischen Boden quasi fußt, gerne ihren Niedergang sozusagen zu gehen sehen wollen.«
Am vergangenen Mittwoch drohte Staatspräsident Raisi in einem Fernsehinterview erneut den Demonstrierenden.
Ebrahim Raisi, Präsident Iran
»Die Sicherheit des Landes zu stören, Chaos zu verursachen und die Bedrohung von Menschenleben und Eigentum kann nirgendwo auf der Welt akzeptiert werden. […] Die Personen, die an den Unruhen beteiligt waren, müssen hart bestraft werden.«
Zugleich stimmte der Kleriker bei dem Auftritt versöhnliche Töne an und sprach – wenn auch sehr vage – von »Reformen«. Zugeständnisse an die Protestierenden – etwa eine Lockerung der Vorschriften – sind kurzfristig nicht zu erwarten. Diskutiert werden Reformen in konservativen Kreisen allerdings schon.
Dr. Azadeh Zamirirad, Politologin
»Ich glaube, dass man erst mal versuchen wird, mit aller Gewalt diese Proteste unter Kontrolle zu bringen und hofft, dass dann langsam wieder vielleicht etwas Ruhe einkehrt. Ich glaube, dass diese Hoffnung nicht aufgehen wird, weil es immer wieder Proteste geben wird. Es gibt aber durchaus auch in Teilen des konservativen Hardliner-Lagers kritische Stimmen bezüglich der Kleiderordnung, die also auch schon aus Selbsterhaltungsgründen Sorge haben, dass diese Art der gewaltsamen Durchsetzung dieser Kleiderordnung eigentlich kontraproduktiv ist und dass es dem System auch auf lange Zeit schadet.«
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