Patrick Gensing

Journalist, Redakteur, Autor

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Demonstrationen in Deutschland: Nahost-Konflikt ganz nah

In mehreren Städten demonstrieren Tausende Menschen gegen israelische Angriffe auf Gaza - zumeist friedlich. Aber es gibt auch Gewalt und antisemitische Parolen. Die Veranstalter der Proteste distanzieren sich, jüdische Gemeinden sind besorgt.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Heute und am Wochenende werden in mehreren Städten Tausende Teilnehmer zu Demonstration gegen die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen erwartet. Unter dem Motto "Stoppt die Bombardierung Gazas" rufen in Essen unter anderem palästinensische Organisationen, linke Splittergruppen sowie Politiker der Linksfraktion zu Protesten auf. Dies sorgt für Diskussionen und Kritik, da am vergangenen Wochenende auf mehreren Demonstrationen Hamas-Fahnen geschwenkt und Polizisten angegriffen wurden. In Dortmund und Frankfurt am Main mischten sich Neonazis unter die Menge. Zudem skandierten Teilnehmer israelfeindliche Parolen, vereinzelt wurden antisemitische Parolen wie "Hamas, Hamas - Juden ins Gas" gerufen.

Zu den Unterstützern der Demonstration in Essen gehört auch der Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Niema Movassat. Gegenüber tagesschau.de betonte Movassat, ihm sei "bewusst, dass es um ein hochbrisantes Thema geht". Er verurteile "ausdrücklich Hamas-Fahnen und Neonazis auf Demonstrationen". Die Hamas sei "Teil des Problems". Sie habe "die Bevölkerung Gazas in Geiselhaft genommen für ihre politische Agenda und missbraucht zivile Einrichtungen zur Stationierung von Waffen".

Davon ist in dem Demonstrationsaufruf allerdings nichts zu lesen, dort wird ausschließlich die israelische Militäroperation thematisiert, von den zahlreichen Raketenangriffen auf Israel in den vorherigen Wochen ist nichts zu lesen. Der Beschuss durch die Hamas sei "selbstverständlich ebenfalls zu verurteilen", sagte Movassat dazu. Allerdings habe man es "mit unterschiedlichen Kräfteverhältnissen zu tun", da die israelische Armee hochgerüstet sei.

"Mehr Verständnis, mehr Empathie"

Eine Argumentation, die der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, nicht verstehen kann. Er forderte im Gespräch mit tagesschau.de "mehr Verständnis für Israel" und "mehr Empathie für die Menschen dort, die dem Raketenterror der terroristischen Hamas ausgesetzt" seien. Es sei "Israels Pflicht und legitimes Recht, seine eigene Bevölkerung zu schützen. Und dafür ist es unausweichlich, die Terror-Infrastruktur zu zerstören."

Der Nahost-Konflikt polarisiert auch in Deutschland. Jüdische Gemeinden fühlen sich von aggressiven Demonstranten teilweise bedroht. So beispielsweise in Kassel. Dort soll ebenfalls heute eine weitere Demonstation stattfinden. Die Vorsitzende der Gemeinde, Ilana Katz, fürchtet nun um die Sicherheit der Besucher des Schabbat-Gottesdienstes. Die Gemeinde habe die Stadt Kassel deshalb gebeten, die Route des Protestes zu verlegen. "Die Kasseler Juden haben Angst", erklärte Katz.

Hintergrund ist eine in Teilen aggressive Protestveranstaltung am vergangenen Wochenende, als rund 2000 Menschen durch Kassel zogen. Auch sie skandierten unter anderem Parolen wie "Kindermörder Israel". Weil die Kasseler Synagoge nur wenige Schritte vom Startpunkt der Kundgebung entfernt lag, hatte die Gemeinde ihren geplanten Religionsunterricht abgesagt. "Wir möchten unsere Kinder nicht der Gefahr aussetzen, von diesen aufgehetzten Menschen angegriffen zu werden", sagte Katz der " Jüdischen Allgemeinen".

"Lassen uns nicht einschüchtern"

Der Vorsitzende des Zentralrats, Graumann, betonte, man werde sich nicht einschüchtern lassen. Er sei allerdings "absolut schockiert", wenn er sehe, "wie viel an Hass und Hetze auf deutschen Straßen gegen Israel und gegen Juden transportiert" werde. "Hier bricht sich ein Hass seine Bahn, der so stark ist, wie ich das nicht erwartet hätte."

Auch die Polizei war am vergangenen Wochenende von hohen Teilnehmerzahlen und teilweise aggressiver Atmosphäre bei Demonstrationen für Frieden in Nahost überrascht worden. In Frankfurt am Main und in Berlin kam es zu Zusammenstößen: Laut Polizei warfen einige Demonstranten in beiden Städten Steine oder Knallkörper auf die Beamten.

Bei einer Demonstration von Palästinensern und Unterstützern in Bremen wurde ein 28-jähriger Passant sogar schwer verletzt. Der Mann stellte sich schützend vor einen Reporter der " tageszeitung" (taz). Daraufhin wurde er mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt, knallte auf die Straße und wurde schwer am Kopf verletzt. Der Reporter berichtete von Parolen wie "Zionisten sind Faschisten", ein Passant sei als "Scheiß Jude" beschimpft worden.

Massiv in die Kritik geriet die Polizei in Frankfurt. Sie hatte einen Einsatzwagen samt Lautsprecheranlage für einen Demonstranten zur Verfügung gestellt. Eigentlich habe der Mann mäßigend auf die anderen Teilnehmer einwirken sollen, erklärte die Polizei später, tatsächlich nutzte er die Lautsprecher der Polizei aber, um israelfeindliche Parolen anzustimmen.

"Antisemitische Statements unverzüglich unterbinden"

Der Bundestagsabgeordnete Movassat räumt ein, dass man als Veranstalter der Essener Demonstration gemerkt habe, "dass antisemitische Kräfte versuchen, die Veranstaltung für sich zu missbrauchen". Man werde bei der Demonstration eine große Anzahl von Ordnern in Kooperation mit der Essener Polizei nutzen, um antisemitische Statements unverzüglich zu unterbinden.

Auch würden "konsequent antisemitische Facebook-Postings in der Veranstaltungsgruppe gelöscht und entsprechende Leute gesperrt". Angesichts der Flut von Hasskommentaren im Netz keine leichte Aufgabe.

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