Patrick Gensing

Journalist, Redakteur, Autor

1 Abo und 5 Abonnenten
Artikel

NSU: Geheime Botschaft im Weißen Wolf?

Die Neonazi-Postille Weißer Wolf sorgte für Aufsehen, da im Jahr 2002 darin ein Gruß an den NSU veröffentlicht worden war. Ein Jahr zuvor hatte das von kriminellen Neonazis unter staatlicher Aufsicht gegründete Fanzine zudem einen Artikel über "Ausländerviertel" in Hamburg gebracht - just zu dem Zeitpunkt, als der NSU in der Hansestadt mordete. Von Patrick Gensing

Die Geschichte des Weißen Wolfs ist ein Skandal für sich. Das radikale Neonazi-Fanzine wurde 1996 in Brandenburg gegründet - in einer Justizvollzugsanstalt. Offenkundig konnten sich die kriminellen Neonazis auf die Infrastruktur im Knast stützen - Papier und Kopierer wurde den völkischen Fanatikern zur Verfügung gestellt - und so konnten sie ihren Rundbrief für Gefangene vervielfältigen.

Damit nicht genug: Der Weiße Wolf wurde maßgeblich von Carsten Szczepanski ins Leben gerufen. Szczepanski saß im Knast, weil er beteiligt war, als 1992 ein Asylbewerber auf brutalste Weise fast totgeprügelt wurde. Das Urteil: acht Jahre Haft. Der Geheimdienst warb den Schwerverbrecher 1994 als Partner an (Deckname "Piato" oder auch "Piatto" geschrieben). Dieser war zu diesem Zeitpunkt bereits eine Größe im internationalen Rechtsextremismus - mit besten Kontakten beispielsweise zum KKK in den USA.

Terroristische Bestrebungen

Das Antifa-Infoblatt berichtet über Szczepanski: "[Ein] 1992 geführtes Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Szczepanski wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in Form einer terroristischen Teil­organisation des KKK wur­de wegen nicht hinreichender Bestätigung eingestellt. Dabei wurden in diesem Zusammenhang in einer von ihm vormals angemieteten Wohnung vier Rohrbomben, chemische Substanzen und eine Zündvorrichtung sichergestellt."

Schon damals war Szczepanski als Fanzine-Macher aktiv, in den Blättern wurde über den bewaffneten Kampf diskutiert - die Idee war, Zellen zu bilden, so wie es der NSU dann realisierte.

Der Rechtsextremist Nick Greger behauptete in seinem Buch "Verschenke Jahre - Eine Jugend im Nazi-Hass" zudem über Carsten Szczepanski, dieser habe offenkundig einen Brandanschlag auf sein eigenes Auto vorgetäuscht, um seine Kameraden zu terroristischen Aktionen gegen Linke anzustacheln. Greger behauptet weiter, es habe daraufhin einen Deal gegeben, damit er nicht aussage, dass Szczepanski Anführer dieser quasi terroristischen Zelle gewesen sei. Greger vergisst allerdings zu erwähnen, dass auch er vorübergehend mit dem Geheimdienst kooperierte, wie nun enthüllt wurde.

Kurzum: Beim Weißen Wolf handelt es sich um ein Fanzine, das sich durch eine besondere Nähe zu Geheimdiensten ausgezeichnet hat. Dies gilt auch für Thomas R., ein Neonazi, der ebenfalls als V-Mann Geld verdiente, zum NSU-Unterstützernetzwerk gerechnet werden kann - und nun plötzlich im Alter von 39 Jahren verstorben ist - im Zeugenschutzprogramm. R. mischte auch beim KKK mit, hier gehen die Kontakte insbesondere nach Baden-Württemberg - bis in die Polizeieinheit von Michele Kiesewetter. R. war im NSU-Ermittlungsverfahren ein wichtiger Zeuge - und sollte nun erneut befragt werden, konkret ging es um eine Daten-CD mit der Aufschrift "NSU/NSDAP".

Zudem soll auch Thomas R. Kontakte zum Weißen Wolf gehabt haben. Zu jenem Fanzine also, das einen Gruß und Dank an den NSU veröffentlichte. Das war im Jahr 2002.

Ein Jahr zuvor hatte der Weiße Wolf einen Artikel veröffentlicht, der sich mit "Ausländervierteln" in Hamburg beschäftigte. Der Text wurde aus dem Hamburger Abendblatt geklaut - dort war er allerdings bereits 1999 abgedruckt worden. Warum der Weiße Wolf diesen Artikel nun herauskramte und veröffentlichte, erschließt sich nicht. Auch passt der Artikel keineswegs zum sonstigen Stil des Blatts.

Warum also veröffentlichte der Weiße Wolf im Jahr 2001 einen Artikel aus dem Hamburger Abendblatt? Just in diesem Jahr schlug der NSU in der Hansestadt zu, erschoss Süleyman Tasköprü in Altona; der Stadtteil wurde in dem Abendblatt-Artikel ebenfalls erwähnt.

Auszüge aus dem Artikel des Abendblatts aus dem Jahr 1999, der 2001 im Weißen Wolf erschien:

Es ist eine verschlossene Stadt in der Stadt, mitten in Hamburg. Sie hat keinen Namen und ist auf keiner Karte eingezeichnet und doch kann sie jeder sehen. Einige Straßenzüge liegen in St. Pauli, andere in Harburg, Altona oder Wilhemsburg. Die parallele Stadt hat eigene Restaurants und Cafés, Lebensmittelgeschäfte, Schneider, Ärzte, Anwälte, Banken, Werbeagenturen, Tankstellen, Bestattungsinstitute und Gotteshäuser. [...] Einer von ihnen ist Ömer Sezener (19), geboren in Istanbul, seit zwölf Jahren in Deutschland. Genau wie in Istanbul frühstückt er auch in St. Georg mit Sucuk (Knoblauchwurst), Rührei und Fladenbrot. Den Tag über arbeitet er mit zwei Cousins im Obst- und Gemüseladen seines Onkels auf dem Steindamm. [...] Sammeln sich im Schatten der verschlossenen Stadt die enttäuschten Hoffnungen für den offenen ethnischen Konflikt von morgen?

In dem Artikel werden also präzise Ziele beschrieben, die der NSU ins Visier genommen hat: Junge deutsch-türkische Männer im Kleingewerbe. Bemerkenswert ist aber auch der Wortlaut des Danks im Folgejahr: "Es hat Früchte getragen :-) Der Kampf geht weiter..." Was hat Früchte getragen? Der Artikel, in dem Ziele definiert wurden?

"Denn neun sind nicht genug..."

Sicherlich ist der Artikel allein kein brauchbares Indiz für eine geheime Botschaft an das Unterstützernetzwerk - doch in dem bemerkenswerten Kontext des Weißen Wolfes erscheint die Sache schon etwas anders: Ein Fanzine, gegründet von potentiellen Rechtsterroristen, die auch noch V-Leute waren, und Kontakte ins NSU-Unterstützernetzwerk hatten - und die den bewaffneten Kampf diskutieren und mit Waffen hantieren. Dann folgt 2001 ein älterer Artikel aus dem "Hamburger Abendblatt" über "Ausländerviertel" in Hamburg, der überhaupt nicht zum Stil der sonstigen Beiträge im Weißen Wolf passt - und genau zu dieser Zeit schlägt der NSU in einem der erwähnten Viertel in der Hansestadt zu. Nun folgt eine Geldspende des NSU an den Weißen Wolf - und die Macher revanchieren sich 2002 mit einem Dank.

Zufall? Möglich. Doch auch das Lied "Döner-Killer" von Gigi und die braunen Stadtmusikanten kann wie Propaganda an die Szene verstanden werden. Dazu kommen der Gruß an den NSU im Weißen Wolf sowie die Tatsache, dass sich der Ex-NPD-Abgeordnete (und V-Mann) Peter Klose kurz vor dem offiziellen Bekanntwerden des NSU-Terrors bei Facebook vorübergehend "Paul Panther" nannte - all dies spricht eher dafür, dass es eine Szene-interne Kommunikation gegeben hat.

Weiterführende Informationen zum Thema:

Ministerium verharmloste rechte Propaganda aus dem Knast - Die Zeit über den Weißen Wolf

Nick Greger: Verschenkte Jahre - eine Jugend im Nazi-Hass

Spitzel im NSU-Umfeld - eine Übersicht des Antifa Infoblatts

Der Fall Carsten S. - Artikel bei NSU-watch

V-Mann "Piatto" - Antifa Infoblatt mit zahreichen Details über Carsten S.

Um- statt aussteigen - Antifa Infoblatt über Nick Greger

Kontakt zum Autor: gensing(at)publikative.org

Zum Original