
Auf Cordes' Hof in Bülstedt ernten Menschen Spargel, die das noch nie gemacht haben. Der Grund: Der Landwirt hat Menschen in Kurzarbeit als Helfer eingestellt, weil die Erntehelfer aus Osteuropa ausfallen.
Bülstedt. Andree Cordes nimmt die Folie vom Damm, schaufelt zweimal mit den Fingern die Erde zur Seite, bis der Spargel zu sehen ist, dann steckt er das Messer mit den zwei Klingen bis zur Markierung in den Boden und hält dabei den Spargelkopf fest. Sein Messer ist schon abgestumpft. Es ist ein leiser Schnitt zu hören, er zieht den weißen Stängel aus dem Boden und legt ihn in seinen Korb. Dann schüttet er das Loch wieder zu.
Genauso macht Andree Cordes es vor, wenn er den neuen Erntehelfern auf seinem Hof zeigt, wie Spargelstechen geht. Die neuen Helfer, das sind Künstler, Köche, Jäger, Menschen aus allen möglichen Berufsgruppen. Manche lernen es schneller, manche brauchen etwas länger, aber der Landwirt ist überzeugt: „Jeder kann Spargel stechen, nicht nur Osteuropäer."
Vor Cordes' Vier-Hektar-Feld stehen an diesem Vormittag mehrere Autos. Ein ungewöhnliches Bild. „Normalerweise sind die Erntehelfer mit einem Trecker vom Hof zum Feld gefahren", erzählt der 57-jährige.
Normalerweise, das heißt vor Corona. In den vergangenen Jahren haben auf Cordes' Hof während der Spargelsaison immer rund 15 Polen und Rumänen gewohnt und geerntet. Auch in diesem Jahr sollten eigentlich sieben Erntehelfer aus Polen kommen. Wegen der Corona-Pandemie hat das nicht geklappt, für Saisonarbeitskräfte gelten Einreisebeschränkungen. Die Bundesregierung hat deshalb angekündigt, unter strengen Auflagen im April und Mai die Einreise für jeweils 40 000 Erntehelfer zu erlauben. Cordes war das zu teuer, sagt er, zu aufwändig wären die hohen Sicherheitsmaßnahmen.
Deshalb hilft Cordes jetzt mit einem polnischen Mitarbeiter, der fest auf seinem Hof angestellt ist, selbst bei der Ernte. Seine Frau Tanja und zwei weitere Mitarbeiterinnen erledigen die Arbeit im Hofladen. Daneben gibt es noch vieles mehr zu tun, denn die Cordes halten auch Geflügel und Schafe, später im Jahr kommt noch die Erdbeer- und Heidelbeerernte hinzu.
Auf dem mit weißen Planen bedeckten Feld sind vor allem Frauen zu sehen. Es ist das erste Jahr, in dem Frauen bei Cordes Spargel stechen. Eine von ihnen ist Svenja, 29 Jahre alt, Opernsängerin. Es ist ihr dritter Tag auf dem Spargelfeld. Ganz zufrieden ist sie noch nicht mit ihrer Arbeit: „Die Kanten sind noch nicht so perfekt und auch die Länge der Spargel kriege ich noch nicht so gut hin", sagt sie. Sie verdient sich etwas dazu, erzählt sie, seit die Theater dicht sind habe sie keine Arbeit. Sie plant, einen Monat zu bleiben. „Ich versuche sie noch zu überreden, dass sie länger bleibt", sagt Cordes und lacht. Das frühe Aufstehen sei gewöhnungsbedürftig, sagt Svenja. Um sechs Uhr morgens geht die Schicht los, meistens bleibe sie fünf Stunden. „Ich habe immer etwas zwischen Muskelkater und Gliederschmerzen im Rücken", erzählt sie und bückt sich, um den nächsten Spargel auszugraben.
Die neuen Erntehelfer haben nicht das Durchhaltevermögen, das die erfahrenen Osteuropäer mitbringen. Cordes ist das bewusst, deswegen stellt er den Helfern frei, wie lange sie arbeiten möchten. Er bezahlt nach Mindestlohn, 9,35 Euro sind das pro Stunde. Würde er die Arbeiter nach Akkord bezahlen, also nach den Kilos die sie ernten, würde das Gehalt weit unter dem Mindestlohn liegen, meint der Landwirt. „Wir nehmen die geringere Leistung in Kauf, wir müssen damit zufrieden sein. Aber die Qualität der Ernte ist super, die Helfer arbeiten sehr gewissenhaft", sagt Cordes. Die geringere Stundenanzahl gleicht er mit einer höheren Zahl an Helfern aus, etwa 20 Stück sind es insgesamt. Trotzdem fällt die Ernte deutlich geringer aus. In diesem Jahr erntet Cordes statt acht Hektar nur vier ab. Und er hat die Folie über dem Feld von Schwarz auf Weiß gedreht, so wächst der Spargel langsamer.
Sebastian, 33 und eigentlich Koch, steht an einem Transporter und lädt die grünen Kisten mit dem Spargel ein. Das mache er etwa einmal die Stunde, dazwischen ernte er den Spargel, erzählt er. „Ich finde die Arbeit erfrischend, ich bin sowieso Frühaufsteher", sagt er. Und er wollte etwas Gutes tun, deswegen habe er sich bei Cordes gemeldet. „Die Arbeit ist recht simpel. Wenn man ein bisschen was von Pflanzen versteht und etwas physikalisches Verständnis hat, ist das kein Problem."
Sebastian fährt den Transporter auf den Hof. Dort wird der Spargel erst in einer Maschine grob abgespült und dann auf etwa ein Grad heruntergekühlt. Cordes wirft einen zufriedenen Blick auf die Körbe im Kühlhaus: „Das ist ein super Bild, da ist kaum Bruch."
Fünf weitere Helfer auf dem Hof machen die Feinarbeit. Sie alle tragen Mundschutz. „Anweisung der Spargelvereinigung", erklärt Cordes. Die Helfer sortieren, putzen und schälen das Gemüse, bevor es in den Hofladen kommt. Auch bei ihnen ist die Mischung bunt: gelernte Tischler, Gärtner, Gastronomen. Sie alle wuseln jetzt eifrig in Spargelkörben herum. Im Hofladen ist der Spargel nach Klassen sortiert, zwischen acht und 15 Euro kostet das Kilo. „Wir sind ein Kleinbetrieb und machen das vor allem, weil es uns Spaß macht", betont Cordes. Es gehe ihm nicht darum, massenhaft zu ernten.
Im Laufe des Vormittags trudeln immer wieder einzelne Kunden ein, die Spargel kaufen. Auch eine Gastronomin ist unter ihnen - das passiert zu dieser Zeit nicht allzu oft. Sie fragt nur nach ein bisschen grünem Spargel, denn groß sei die Nachfrage derzeit bei ihr nicht. Das wird Cordes am Ende der Spargelsaison spüren. Die Gastronomie ist ein wichtiger Abnehmer. Trotzdem bleibt Cordes optimistisch und freut sich, dass so viele Menschen ihre Hilfe bei der Ernte anbieten. „Morgen", sagt Cordes, „Kommt eine neue Helferin dazu."