Patricia Dudeck

Freischaffende Journalistin, Köln

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Europa minus eins

EU-KrisengipfeL

Angela Merkel setzt sich zwar mit ihren Plänen durch, aber zum ersten Mal sind nicht alle mit im Boot. Die Briten ziehen nicht mit. aus Brüssel von unserer Korrespondentin Patricia Dudeck

Großbritanniens Premierminister David Cameron stellt sich bei den Plänen zur Euro-Rettung quer.

Brüssel. Violinenklänge. Feierliche Worte. Lächeln, Englands Premier David Cameron klopft Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy kumpelhaft auf den Arm. Keine Spur von den Pariser Drohgebärden der Nacht zuvor. Professionell spielten die 27 Staats- und Regierungschefs ihre Harmonie bei und nach der Zeremonie für die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages Kroatiens. Doch waren zuvor zu viele Misstöne nach außen gedrungen, als dass dieser Schein gewahrt werden konnte. Einer traf den europäischen Ton ganz und gar nicht: Großbritannien weigert sich beim Eurorettungskonzert mit Merkel und Sarkozy als Dirigenten brav mitzuspielen.

Zunächst war es nicht allein. Im Duo mit Ungarn lehnte es Vertragsänderungen für die Eurozone am frühen Freitagmorgen ab. Doch am Mittag lief Budapest dann über zu den acht anderen (Noch-)Nicht-Euroländern, die sich ganz oder teilweise am neuen Eurovertrag beteiligen möchten. Rasch wurde die Schlusserklärung des Gipfels noch einmal geändert. Das Soloprojekt Londons kam zu Hause nicht bei allen gut an. Gewonnen hatte Cameron für seinen Finanzplatz London nämlich letztendlich nichts. Doch Merkel verurteilte Cameron vor der Öffentlichkeit nicht.

Neue Spielregeln und Spielräume

Stattdessen würdigte sie die „konstruktive Rolle", die Großbritannien all die Jahre in der EU gespielt habe. Bei ihren Gesprächen habe sich gezeigt, dass es auch im Interesse des britischen Finanzmarktes sei, dass es den Banken im Euroraum bald besser ginge, so Merkel. Sie zeigte sich daher optimistisch, dass der Eurovertrag so zustande kommt, wie sie es sich vorstelle: mit neuen Regeln, die Kommission und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu scharfen Wachhunden machen, die automatisch lospreschen, sobald jemand gegen die Regeln verstößt.

Die Juristen des Ratssekretariates hätten grünes Licht dafür gegeben. Der EU-Vertrag ließe dafür gewisse Spielräume, erklärte die Bundeskanzlerin. Schuldenbremsen würden bis ins Detail ausgearbeitet, um sie in die nationalen Verfassungen einzuarbeiten. Das Ziel ist ein nahezu ausgeglichener Haushalt der Länder. Wer nicht spurt, den soll die Kommission künftig vor dem EuGH verklagen. Die Länder verpflichten sich zu einer Reformpartnerschaft mit der Kommission. Schlussendlich zähle die politische Absicht aller, den Euro zu stärken. Bis Anfang März soll der erweitere ESM-Vertrag ausgehandelt sein. Dann bekommen ihn die nationalen Parlamente zur Genehmigung auf den Tisch. Kroatien ist zunächst bloß Beobachter im EU-Verein, ab nächsten Sommer darf es als vollwertiges achtundzwanzigstes Mitglied mitentscheiden. Zur gleichen Zeit soll auch der permanente Rettungsfonds ESM zum Einsatz kommen. Ein Jahr früher als geplant. Auf die veranschlagten 500Milliarden Euro Kapital des Fonds werde allerdings nichts draufgelegt, erklärte Merkel.

Noch einmal 200 Milliarden Euro

Bis diese Lösungen wirken, werden Monate vergehen. Das Vertrauen der Anleger in die Stabilisierungspläne wird davon abhängen, wie rasch die beschlossenen schnell wirkenden Mittel einsetzen, auf die sich der Gipfel geeinigt hat: 200 Milliarden Euro von den Zentralbanken sollen den Internationalen Währungsfonds aufstocken, damit er angeschlagenen Eurostaaten zur Seite springen kann.

Beim aktuellen Rettungsfonds EFSF soll ein Kredithebel die Wirkungskraft auf 750 Euro verdreifachen. Bis sein Nachfolger ESM kommt, bleibt es der Europäischen Zentralbank (EZB) überlassen, ob sie mit Anleihenkäufen unter die Arme greift. Doch technische Hilfe bei Fragen zu Sekundärmarkt und Bankenkapitalisierung hätten die EZB-Experten den EFSF- und ESM-Betreibern bereits zugesichert. Einen Erlass von Außenständen wolle die Eurogruppe nicht mehr von den Banken und Versicherungen verlangen. Bei Griechenland sei das zwar gerechtfertigt gewesen, es würde den Markt jedoch zu sehr verunsichern, räumte Merkel ein.

Für eine „vollkommene" Europäische Union im Sinne des Parlamentes und der europäischen Institutionen, wäre es sicher besser gewesen, Großbritannien hätte „Ja" gesagt, gab Merkel zu. Doch für die Bundeskanzlerin zähle, was sie für den Euro letztendlich erreicht haben. Und mit der Einigung auf eine verstärkte Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Form des erweiterten ESM-Vertrages für eventuell 26, erreichten sie von der „Substanz" das gleiche Ergebnis, wie eine Änderung des EU-Vertrages mit allen 27 gebracht hätte. Ob dies denn der letzte Gipfel in diesem Jahr gewesen sei, wird Merkel zum Abschluss gefragt. „Wir haben uns alle frohe Weihnachten gewünscht", sagt sie. Gute Wünsche können schließlich nie schaden.

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