Pascal Hesse

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Unwetter in NRW: Wer nicht in Lebensgefahr ist, muss warten

Seit 14 Jahren ist Lars Linden ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz. Beim Hochwasser in Nordrhein-Westfalen war er 24 Stunden lang im Dienst. © DRK Landesverband Nordrhein

Lars Linden arbeitet ehrenamtlich bei der Wasserwacht. Im Hochwassergebiet war er zunächst am Boden im Einsatz, dann im Helikopter. Das Protokoll einer langen Nacht

Protokoll: Pascal Hesse

Seit 14 Jahren ist Lars Linden ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz. Beim Hochwasser in Nordrhein-Westfalen war er 24 Stunden lang im Dienst.


An normalen Tagen sitze ich im Kölner Jobcenter hinter einem Schreibtisch, das war auch am Mittwoch so - bis zu meinem Feierabend. Ich saß am Küchentisch, als das Telefon klingelte. Alarm! Dann bleibt keine Zeit mehr, um aufzuessen. Umziehen, Einsatzrucksack schnappen, ab ins Auto.


Wir trafen uns mit 24 Helferinnen und Helfern in Bornheim bei Köln, kurze Lagebesprechung, dann ging es los Richtung Rheinbach. Erst über die Autobahn, dann durchs Gelände. Da helfen auch Martinshorn und Blaulicht nicht. Je näher wir ins Hochwassergebiet vorrückten, desto schwieriger wurde es, intakte Straßen zu finden. Wir waren ein Tross aus 15 Fahrzeugen - Gerätewagen, Mannschaftstransporter und Führungsfahrzeug.


Dass es kein einfacher Einsatz wird, war mir schon vorher klar. Ich bin seit 14 Jahren ehrenamtlich bei der Wasserwacht des DRK. Aber das Bild vor Ort war echt schlimm, massive Überflutungen und Zerstörungen soweit das Auge reicht. Uns wurden mehrere Einsatzstellen zugeteilt, die wir nacheinander abarbeiten sollten. Doch das Gebiet war so stark überschwemmt, dass wir schon Probleme hatten, unseren ersten Anlaufpunkt direkt anzufahren. Und Umwege zu finden, das kostete Zeit.


Im Ort saßen mehrere Personen in und um ihre Häuser fest. Wir sollten evakuieren. Wenn die Menschen hüfttief von Wasser umgeben festsitzen, alles zerstört ist und die Nerven blank liegen, wollen sie einfach nur noch raus. Manche riefen. Manche schrien. Manche weinten. Viele sind verängstigt, wissen nicht, wie sie sich in so einer Situation verhalten sollen. Und zugleich sind sie erleichtert, wenn wir Helfer nach einer gefühlten Ewigkeit eintreffen. Oft haben sie den Notruf schon Stunden vorher abgesetzt. Wenn so viele Notrufe eingehen wie am Mittwoch, da waren es mehrere Tausend, müssen wir priorisieren. Vorrang haben natürlich die, die in Lebensgefahr sind. Wer nur festsitzt, muss warten.


Insgesamt haben wir etwa 30 Menschen gerettet, Junge und Alte, auch Kinder. Manche von ihren Häusern, andere von Autodächern. Autos bewegen sich im Hochwasser schnell, dafür braucht es nicht viel Wasser. Immer wieder überschätzen einzelne die Situation und glauben, sie könnten noch durch das bisschen Wasser rangieren. "Sie können nicht einschätzen, wie tief es ist. Irgendwann ist der Motor aus. Dann geht gar nichts mehr. Der Wagen läuft voll und die Insassen retten sich aufs Dach. Dann sind wir dran.


Der zweite Einsatz erfolgt aus der Luft

Gegen fünf Uhr morgens bin ich nach Hause, aber nur sehr kurz. Umziehen, frisch machen, einen Happen essen. Dann bin ich weiter nach St. Augustin Hangelar, für meinen nächsten Einsatz bei der hubschraubergestützten Wasserrettung. Um halb zehn war ich in der Luft. Ich bin zusammen mit dem Piloten, dem Co-Piloten und dem Bordtechniker der Bundespolizei als Air Rescue Specialist der vierte Mann im Helikopter.


Ich seile mich dann über eine Winde ab, so können wir Menschen auf Balkonen oder Hausdächern erreichen, wo andere Rettungskräfte nicht hinkommen. Wir flogen nach Bad Neuenahr, Ahrweiler und Trier. Mit einer Tankfüllung können wir etwa eine Stunde in der Luft bleiben. Zwischendurch müssen wir aber immer wieder landen, um Leute abzusetzen. Bestenfalls an Sammelpunkten, manchmal aber auch nur an der nächsten Lichtung.


Nach 24 Stunden war mein Einsatz beendet. Zum Glück habe ich weder Verletzte noch Tote entdeckt. Aber die Zerstörung aus der Luft zu sehen, das bedrückt mich. Für die Menschen, die es persönlich betrifft, ist es schlimm. Sie haben Haus und Hof verloren, oder noch schlimmer: Angehörige, Freunde oder Bekannte.


Den Freitag habe ich mir freigenommen, um mich auszuruhen und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich muss bloß meine Ausrüstung wieder vorbereiten. Für den Fall, dass das Telefon wieder klingelt.


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