
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer sprechen in Schuld mit Helfern und Menschen aus dem vom Hochwasser schwer getroffenen Ort. © Pascal Hesse
Die 62-Jährige ist spontan aus Köln gekommen, um hier zu helfen. Seitdem ist sie von der Außenwelt abgeschnitten. Im Ahrtal gibt es seit dem katastrophalen Hochwasser kaum mehr Handynetz, geschweige denn Internet oder Strom. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sich für den Sonntag in Schuld angekündigt haben, ist somit noch nicht zu allen vor Ort durchgedrungen. Die meisten haben auch ganz andere Sorgen.
"Naja, ist ja Wahlkampf, da müssen sie sich blicken lassen", sagt Gödel und geht in ein Gasthaus, in dem man bis vor kurzem noch ein Tagesessen für günstige 5,90 Euro bekam. Jetzt schippt ein Mann mit einer Schaufel Schlamm aus dem Fenster.
Als der Tross mit Kanzlerin und Ministerpräsidentin in das Dorf kommt, wirbeln die schwarzen Audis ordentlich Staub auf. Das Dorf Schuld liegt malerisch in einem grünen Tal, umgeben von Wald. Teile des Ortes werden von der Ahr in einer großen Kurve umflossen. Normalerweise jedenfalls. Am Donnerstag hat der zum reißenden Strom angeschwollene Fluss eine Abkürzung durch das Dorf genommen, Brücken überspült. Mehrere Häuser sind verschwunden und Teile von Straßen abgebrochen.
Viele hat die Flut trotz der Warnungen überrascht, wenige hatten sich ein derartiges Ausmaß überhaupt vorstellen können. Ali Topalca betreibt eine Pizzeria im Ort, jedenfalls bis vor Kurzem. "Alles ist weg", sagt er. Mit seiner Familie habe er die Nacht in Angst im ersten Stock verbracht, weiter hoch hätten sie sich nicht getraut, aus Sorge, das Dach könne eingedrückt werden. "Man konnte aus dem Fenster in das Wasser fassen". Und mitansehen, wie die Häuser der Nachbarn weggespült wurden. Gerettet wurde die Familie erst am nächsten Tag mit einer langen Leiter. Irgendwie müsse es jetzt weitergehen, sagt Topalca. "Wir bleiben hier."
Es riecht nach Schlamm und Diesel
Vom unversehrt gebliebenen Teil von Schuld, der etwas höher gelegen ist, bietet sich ein apokalyptisches Panorama. Dort, wo einmal Häuser standen und Donnerstagnacht plötzlich meterhoch das Wasser, baut das Technische Hilfswerk eine Wasseraufbereitungsanlage auf. Zwischen den Trümmerteilen stehen Zelte, Bagger, Feuerwehrautos, weiter hinten parken Bundeswehr-Panzer in Tarnfarben, zwei Helikopter schwirren in der Luft. Es riecht nach Schlamm und den Dieselabgasen der Generatoren und Baumaschinen.
Helfer, Anwohner, Nachbarn mit Schaufeln wuseln durch die von braunem Morast bedeckten Straßen. Überall liegen noch Trümmerteile, entwurzelte Bäume, Schrott, Autos. Von einem Spielplatz am Ufer ist nur noch ein buntes Metallknäul übrig. Manche Häuser sehen aus wie Gerippe, es fehlen ganze Wände, von anderen ist nur noch das Fundament geblieben.
Von hier oben verschaffen sich Dreyer und Merkel als erstes einen Überblick, als sie gegen Mittag das Dorf erreichen. Sie sei gekommen, um sich ein reales Bild von den surrealen, "gespenstischen Bildern" zu verschaffen, wird die Kanzlerin später sagen. Sie trägt robuste Wanderschuhe und geht zu Fuß durch den Ort, umringt von Sicherheitsleuten, Polizisten, Soldaten und Journalisten. Die Delegation bahnt sich dann den Weg die Straße hinunter über die einzige Brücke, die der Flut standgehalten hat, in den unteren Teil des Dorfes.
Merkel spricht mit Betroffenen und Helfern, verspricht Unterstützung. Am Mittwoch wolle das Kabinett ein Programm für schnelle Hilfen, mittelfristige Aufgaben und zur Wiederherstellung der Infrastruktur verabschieden. Einer Gruppe von Feuerwehrleuten und Soldaten dankt sie für deren Einsatz und sagt zum Abschied leise: "Passen Sie auf sich auf!"
Dreyer und Merkel wirken betroffen vom Ausmaß der Zerstörung. Sie sind abseits vom Aufruhr durch die große Entourage eher zurückhaltend. Auch wenn die Debatte um den fragwürdigen Auftritt des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet in den Flutgebieten in Schuld kaum jemanden erreicht haben dürfte, will hier niemand im Weg stehen. Das klappt nicht immer.
Langfristig wird vor allem Geld gebraucht
Die Meinungen zum Merkel-Besuch gehen im Ort auseinander.
"Bagger wären mir lieber", sagt ein Mann, der gekommen ist, um einem
Arbeitskollegen zu helfen. Pascal Hockertz findet es hingegen gut, dass die
Kanzlerin gekommen ist. Er ist in Schuld aufgewachsen und steht mit
Baseballkappe und Stiefeln im Morast, als Merkel durch das Dorf geht. Sie müsse
ja keinen Wahlkampf mehr machen, meint der junge Mann, "auch wenn ich es gut
gefunden hätte, wenn sie noch einmal weitermacht." Kurzfristig brauche es jetzt
vor allem noch mehr Helfer, Gerät und langfristig: Geld. Viele stünden hier vor
dem Nichts. Außerdem dürfe man auch die anderen Orte nicht vergessen, denen
weniger Aufmerksamkeit zu Teil wurde.
Die große Aufmerksamkeit ist in Schuld nicht allen
willkommen. "Erst kommt das Hochwasser, dann die Bundeskanzlerin und nun die
Journalisten", sagt ein Dorfbewohner, Mitte 50. Es stehe alles still, bis die
Kanzlerin wieder weg sei. Andere freuen sich über die große Anteilnahme, die die
Berichterstattung ausgelöst hat.
Und die ist groß, schon seit Tagen. Viele Helferinnen und
Helfer sind in Eigeninitiative in den Ort gekommen, um anzupacken. Im
Jugendzentrum neben der Kirche stapeln sich die Sachspenden. Der Platz, weiter
oben im Ort gelegen, ist zum improvisierten Lagezentrum geworden. Es gibt
Feldbetten, Nudeln mit Bolognese-Sauce und vor allem Trinkwasser in Flaschen.
Die 30-jährige Lisa Caspari wohnt ein paar Orte weiter. Sie
ist eigentlich Orthopädieschuhmacherin, jetzt hilft sie mit der Schaufel in der
Hand, macht nur kurz vor dem Jugendtreff eine Verschnaufpause. Gleich am
Donnerstag sei sie gekommen, sagt sie. Seitdem packt sie gemeinsam mit vielen
anderen vor Ort an. Man gehe einfach von Haus zu Haus und frage, wo man
gebraucht werde, sagt sie. Und gebraucht werde man fast überall. "Der
Zusammenhalt ist der Hammer", sagt Caspari. Ob sie am Montag überhaupt zur
Arbeit gehe oder weiter hier hilft, wolle sie noch mit ihrem Chef besprechen,
vielleicht lasse sie sogar den Urlaub ausfallen.
Werden noch Touristen kommen?
Solidarität ist auch Janine Hoffmann wichtig. Sie lebt in
Schuld, ist selbst aber nicht vom Hochwasser betroffen, anders als viele ihrer
Freunde. Gemeinsam mit anderen sammelt sie Geld auf einem eigens eingerichteten
Konto. Jeder zahle ein, was er eben könne. Dann werde geklärt, wer nicht
versichert sei, und die Spenden verteilt. "Die Gelder landen also nur bei den
Leuten, die wirklich in Not sind."
Hoffmann macht sich aber auch Sorgen um die
Zukunft der Region. "Das Ahrtal wird nie wieder so sein wie zuvor", sagt sie.
Es habe hier viel Tourismus gegeben. "Aber wer will jetzt noch hier hin?" Auch
andere treibt die Frage um, welche Folgen der Klimawandel hier vor Ort haben
wird und ob man den Ort wirksam gegen kommende Fluten schützen kann.
"Wir sehen, mit welcher Gewalt die Natur agieren kann", sagt Angela Merkel nach dem Besuch in Schuld im nahe gelegenen Adenau vor Journalisten. "Wir werden uns dieser Naturgewalt entgegenstemmen – kurzfristig, aber auch mittel- und langfristig." Es bedürfe einer Politik, "die die Natur und das Klima mehr in Betracht zieht, als wir das in den letzten Jahren gemacht haben".