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Schützenhilfe aus Moskau | Karenina

Eine junge Frau sitzt auf einem Pappkarton, die Arme um ihre Knie geschlungen, umkreist von Polizisten in schwarzen Uniformen und Sturmmaske. Es ist das wohl eindrücklichste Bild, das vom Wahlsonntag in Kasachstan geblieben ist. Es verdeutlicht die schiere Übermacht des Staats, der sich gegen eine Handvoll friedlicher Demonstranten, gegen seine eigenen Bürger, zur Wehr setzt.

Fast zwölf Millionen Kasachstaner waren am 10. Januar aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Dass es zu Protesten kommen würde, war zu erwarten. Schon in den Wochen vor der Wahl war eine Verhaftungswelle über das Land gerollt. Etliche Regierungskritiker landeten unter fadenscheinigen Gründen im Gefängnis. Dabei hatte Präsident Qassym-Schomart Toqajew noch im Dezember versprochen, dass dies die bisher demokratischsten Wahlen im unabhängigen Kasachstan werden würden.

Doch die ersten Parlamentswahlen unter Toqajew, der 2019 die Macht von Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew übernommen hatte, hätten kaum ernüchternder sein können. Fünf Parteien standen zur Wahl, allesamt regierungstreu. Am Ende haben es drei davon über die Sieben-Prozent-Hürde geschafft. Die Regierungs- und Präsidentenpartei Nur Otan erhielt mit 71 Prozent die absolute Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag bei 63,3 Prozent, wobei in Kasachstans größter Stadt Almaty nicht einmal ein Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben.

Kein echter Wettbewerb

Dort gingen stattdessen Oppositionelle auf die Straße. Allen voran die Mitglieder der Bürgerbewegung „Oyan Qazaqstan" (Wach auf, Kasachstan) und der Demokratischen Partei von Schanbolat Mamay. Sie riefen zum Boykott der Wahlen auf und forderten eine freie und faire Abstimmung. Der Demokratischen Partei wird seit Monaten die Registrierung verweigert und durfte deshalb nicht bei den Wahlen antreten. Die Wahlbeobachter der OSZE kritisierten: „Kein echter Wettbewerb und grundlegende Grundrechtseinschränkungen ließen die Wähler in Kasachstan ohne echte Wahl."

Das sahen die Wahlbeobachter der von Russland geführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit naturgemäß anders. Sie stellten keine Verstöße in Kasachstan fest. Toqajew hatte vor den Wahlen sogar noch unerwartete Schützenhilfe aus Moskau erhalten. Die beiden Duma-Abgeordneten Wjatscheslaw Nikonow und Jewgeni Fjodorow hatten im Dezember behauptet, dass das heutige Territorium Kasachstans ein „Geschenk" Russlands gewesen sei. Damit griffen sie Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin aus dem Jahr 2014 auf, wonach die „Kasachen nie eine Staatlichkeit hatten" vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Was wie eine Drohung klingt, nutzte Toqajew für sich. In einem Artikel vom 5. Januar, der auf Kasachisch in einer staatlichen Zeitung erschien, schrieb er: „Niemand von außen hat den Kasachen dieses große Territorium geschenkt." Dank der Äußerungen von Nikonow und Fjodorow konnte Toqajew Stärke zeigen und die Nationalismuskarte spielen - ein ansonsten schwieriges Unterfangen in dem multikulturellen Land, in dem rund ein Drittel der Bevölkerung keine ethnischen Kasachen sind. Gleichzeitig hob der Präsident die guten nachbarschaftlichen Beziehungen hervor.

Kirgistan: Abkehr vom Parlamentarismus

Während also Kasachstans Präsident die Zügel deutlich anzieht, zementiert im Nachbarland Kirgistan Sadyr Dschaparow seine Macht. Auch dort waren am 10. Januar die Menschen zu Wahlen aufgerufen. Sie konnten über einen neuen Präsidenten und ein neues Regierungssystem abstimmen. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei nicht einmal 40 Prozent. Und obwohl insgesamt 17 Kandidaten zur Wahl standen, gewann Dschaparow mit fast vier Fünfteln aller Stimmen deutlich.

Dabei saß er Anfang Oktober noch eine langjährige Haftstrafe wegen Geiselnahme ab. Als damals Proteste gegen gefälschte Parlamentswahlen ausbrachen, wurde Dschaparow von seinen Anhängern aus dem Gefängnis befreit. Er gilt als Nationalist und hatte unter dem 2010 gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew Karriere gemacht.

Nach seiner Befreiung begann ein kometenhafter Aufstieg: Innerhalb weniger Tage wurde der 52-jährige Premierminister und Interimspräsident in Personalunion. Von beiden Ämtern trat er im November zurück, um als Kandidat an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen zu können.

Schon im Vorfeld hatte Dschaparow angekündigt, ein starkes Staatsoberhaupt sein zu wollen. Deshalb fand zeitgleich zu den Präsidentschaftswahlen ein Verfassungsreferendum statt, bei dem es um die Rückkehr zum präsidentiellen Regierungssystem ging. Nach dem Regierungsumsturz 2010 war in Kirgistan ebenfalls per Referendum der Parlamentarismus eingeführt worden, von dem sich die Kirgisen nun jedoch enttäuscht abgewandt haben. 81,4 Prozent der Wähler stimmten für die Reform.

Kirgistans wichtiger Partner: Russland

Der neue Präsident steht vor schwierigen Aufgaben. Kirgistan leidet unter grassierender Korruption und den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Russland ist dabei ein wichtiger Partner, wie der Präsident direkt nach seiner Wahl betonte. In Kirgistan befinden sich vier russische Militärstützpunkte. Außerdem ist das Land ebenso wie Kasachstan Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und abhängig von den Überweisungen der Wanderarbeiter aus Russland. 2019 machten sie etwa 28 Prozent von Kirgistans Bruttoinlandsprodukts aus. Im vergangenen Jahr sind die Überweisungen aufgrund der Pandemie allein zwischen Januar und August um sieben Prozent gesunken.

In einem Telefonat mit Putin hat sich Dschaparow bereits vergangene Woche für Russlands Hilfe bei der Bekämpfung der Coronakrise bedankt. Seine erste Auslandsreise wird ihn jedoch nicht nach Moskau führen, sondern nach Kasachstans Hauptstadt Nur-Sultan. Dort wird er sich mit Toqajew treffen.

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