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Schweigen ist die beste Medizin

Nur noch wenige Neuerkrankungen, die meisten Menschen genesen: In Tadschikistan jagt eine Erfolgsmeldung die nächste. Fast könnte man glauben, die Regierung habe ein Wundermittel gegen Corona gefunden. Ab Montag soll sogar das öffentliche Leben weitergehen: Basare, Restaurants und Schönheitssalons öffnen wieder ihre Türen.

Dabei hatten die Machthaber lange geleugnet, dass das Coronavirus überhaupt im Land ausgebrochen sei. Erst als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Delegation nach Tadschikistan schickte, lenkte die Regierung ein. Am 30. April bestätigte der Premierminister die ersten 15 Fälle. Innerhalb weniger Wochen meldete Tadschikistan so viele Tote, dass es kurzfristig zum traurigen Spitzenreiter in Zentralasien wurde.

Viele Menschen hätten Panik gehabt und seien zu Hause geblieben, berichtet Nigora Fazliddin. Die Journalistin arbeitet für Asia-Plus, einem der wenigen unabhängigen Medienportale, die es in Tadschikistan gibt. "Mittlerweile ist die Situation besser. Die Lage hat sich beruhigt", sagt sie. Die Polizei kontrolliere auf den Straßen der Hauptstadt Duschanbe, wer eine Maske trage. Verstöße werden mit Geldstrafen geahndet.

Bei Redaktionsschluss waren offiziell knapp 5000 Menschen an Covid-19 erkrankt, 49 daran gestorben. Beobachter zweifeln allerdings an diesen Angaben. Nicht zuletzt, da in den sozialen Medien alternative Listen kursieren, in die Angehörige die Namen von Verstorbenen eintragen können. Dort sind es mehr als 400. Für die autoritäre Regierung kam die Pandemie zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Im Herbst sollen Präsidentschaftswahlen stattfinden, die Emomalj Rachmon wahrscheinlich nutzen will, um die Macht an seinen Sohn Rustam zu übergeben. Der 67-jährige Präsident regiert das Land seit 1994. Nach der offiziellen Bestätigung des Ausbruchs des Coronavirus tauchte er zunächst ab, um nach einigen Wochen medienwirksam mit seinem Sohn, dem Bürgermeister von Duschanbe, einige Krankenhäuser zu besuchen.

Dass alles unter Kontrolle ist, will die Präsidentenfamilie auch anderweitig zeigen: mit internationalen Hilfslieferungen, die sie als eigene Spenden ausgibt. "Wir hatten einen Artikel über eine Hilfslieferung der Regierung. Auf dem dazugehörigen Foto war allerdings zu lesen, dass die Pakete ›vom chinesischen Volk‹ stammen", erzählt Nigora Fazliddin. Das Foto musste Asia-Plus zwar löschen, aber in den sozialen Medien wurde die "großzügige Geste" der Machthaber weiterhin heiß diskutiert.

Der Fall zeigt nicht nur, wie aufmerksam die Zensoren arbeiten, sondern auch wie abhängig Tadschikistan vom Ausland ist. Das ärmste Land des postsowjetischen Raums hat ein schwaches Gesundheitssystem, das einem massenhaften Ausbruch des Coronavirus kaum gewachsen wäre. Die Weltbank stellte im März fest, dass gerade einmal 6,6 Prozent des Staatshaushalts für Gesundheit ausgegeben werden. Das entspricht im Jahr etwa 15 Euro pro Einwohner. Zudem verabschiedete das Parlament kürzlich ein Gesetz, das hohe Geldstrafen für die Verbreitung "ungenauer" oder "wahrheitswidriger" Informationen über Covid-19 vorsieht. Für den Gesundheitsminister gilt das wohl nicht. Er begründet die sinkenden Infektionszahlen damit, dass das Virus von der Sonne getötet werde.

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