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Wut, Angst, Verzweiflung: Was die Klimakrise seelisch mit jungen Menschen macht

In der erfolgreichen Netflix-Serie „Ginny & Georgia" ist der 16-jährige Marcus Baker schwer depressiv. Ihn belaste unter anderem, dass die Welt wegen der Klimakrise zugrunde gehe, betont er. Auch wenn die Handlung auf Fiktion beruht: Was den Weg in die Popkultur findet, entstammt oft der Realität.

Expertinnen und Experten bestätigen: Die Klimakrise belastet viele Kinder und Jugendliche psychisch stark. Mit Blick auf die Zukunft hätten sie Angst, seien wütend oder verzweifelt: Wie wird die Welt in zehn oder 20 Jahren aussehen? Hat es noch Sinn, Kinder zu bekommen? Und: Wieso tut die Politik nichts?

In einer kürzlich von der Bertelsmann-Stiftung publizierten Umfrage in Deutschland äußerten 80 Prozent der Befragten im Alter von zwölf bis 18 Jahren Sorge wegen des Klimawandels, 42 Prozent waren sehr besorgt. Wovor junge Menschen mit Blick auf die Klimakrise konkret Angst haben, hänge auch vom Alter ab, sagt die Psychologin Lea Dohm von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Autoren nennen Klimapolitik chronische Kindeswohlgefährdung

„Wir wissen, dass das bei jüngeren Kindern etwa im Grundschulalter eher noch konkretere Ängste sind, wie die Angst vor Feuer oder Überschwemmungen", sagt Lea Dohm. Jugendliche hingegen beschäftigten sich mehr mit der eigenen Identität und dem politischen Bezugsrahmen. Fehlender Klimaschutz werde auch mit der Tatenlosigkeit der Regierung zusammengebracht.

Ähnlich sieht das Pauline Brünger, eine Sprecherin von Fridays for Future. Verzweiflung, Wut und Ohnmacht kämen bei jungen Menschen ihrer Erfahrung nach insbesondere dann auf, wenn sie sich „die Untätigkeit der eigenen Regierung" anschauten. Laut Brünger fühlen sich viele Jugendliche in dieser Krise vor allem alleingelassen. „Das macht mich wütend und das macht mich auch traurig", sagt sie.

Die Psychologin Lea Dohm gehört der Initiative Psychologists for Future an, die die Fridays-for-Future-Bewegung unterstützt. Und sie ist Mutter, auch deshalb macht das Thema sie betroffen: „Mich ärgert als Mutter und als Psychotherapeutin wirklich, was da gerade passiert. Die Weltgesundheitsorganisation sagt, die Klimakrise sei inzwischen die größte Gesundheitsgefährdung des Jahrhunderts, und es gibt bereits Autorinnen und Autoren, die davon sprechen, dass wir hier mit der Klimapolitik eine chronische Kindeswohlgefährdung erleben."

Klimaprognosen in verschiedenen Szenarien

Wie das künftige Klima aussehen könnte, beschreibt der Weltklimarat (IPCC) in seinem letzten Sachstandsbericht. „Der ganz pessimistische Fall ist, dass wir auf eine globale Erwärmung von mehr als vier Grad zusteuern", sagt Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Dann wären die meisten Kipppunkte im Klimasystem erreicht und Reaktionen wie etwa das Abschmelzen einiger Eisschilde nicht mehr umzukehren.

Zudem würden bestimmte Naturkatastrophen öfter auftreten, weil ihre Häufigkeit proportional zur globalen durchschnittlichen Erwärmung steige, so Marx. Dieses Szenario hält der Forscher aber für unwahrscheinlich: „Vier Grad ist letztlich nur möglich, wenn der globale Klimaschutz vollkommen versagt."

Im optimistischsten Fall gehe man davon aus, dass das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen sei. „Wobei man ganz deutlich sagen muss, dass es nicht mehr viele Wissenschaftler gibt, die das für realistisch halten", sagt Marx. Dafür müsste Klimaschutz viel stärker global umgesetzt werden - „inklusive der ganz großen Player wie China, und danach sieht es überhaupt nicht aus".

Als wahrscheinlichstes Szenario gelte zurzeit eine globale Erwärmung um 2,5 bis drei Grad. Auch in diesem Fall könnten bereits Eisschilde abschmelzen, Wälder verschiedener Klimazonen geschädigt werden und vermehrt Permafrostböden auftauen und das extrem kräftige Treibhausgas Methan freisetzen, sagt Marx.

Deutschland auch Ende des Jahrhunderts noch „klimatische Gunstregion"

Er sehe die Zukunft dennoch nicht ganz so pessimistisch - zumindest mit Blick auf Deutschland. „Am Ende des Jahrhunderts wird Deutschland immer noch klimatisch eine Gunstregion sein." In anderen Regionen Europas sei das anders, etwa im Mittelmeerraum. Da sei Trockenheit jetzt schon ein Problem, das künftig noch größer werde. Der allergrößte Teil dieser Regionen werde zu den Verlierern zählen.

Was Klimaprognosen bei Heranwachsenden weltweit auslösen, zeigt eine 2021 publizierte Untersuchung im Fachblatt The Lancet. Dafür befragte ein Team um Caroline Hickman von der Universität Bath 10.000 Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren in zehn Ländern aller Kontinente zu Gedanken und Gefühlen in Bezug auf die Klimakrise. Mehr als die Hälfte aller Befragten berichtete von Trauer, Angst, Wut, Macht- und Hilflosigkeit sowie von Schuldgefühlen.

„Besonders besorgniserregend fand ich, dass viele Jugendliche in dieser Studie der Aussage ‚humanity is doomed' zustimmten, also dass die Menschheit verloren sei", sagt die Psychologin Lea Dohm. Knapp 56 Prozent der Befragten bejahten dies. Auch die Reaktionen der Regierungen auf die Krise wurden von einer Mehrheit negativ bewertet, fast 59 Prozent sahen sich und spätere Generationen betrogen. Und mehr als 45 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Gefühle bezüglich des Klimawandels sich negativ auf ihr tägliches Leben auswirken.

Negative Gefühle sollten nicht pathologisiert werden

Solche Gefühle sollten nicht pathologisiert werden, betont Lea Dohm. Zumal Jugendliche wegen Klimagefühlen nicht vermehrt Psychologiepraxen aufsuchten. Kinder und Jugendliche kämen eher wegen anderer Themen in die Therapie. Erst da stelle sich dann heraus, dass auch Klimagefühle sie belasten.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie ( DGPPN), Andreas Meyer-Lindenberg, stimmt zu. Oft kämen Jugendliche mit diffusen Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen, und wüssten nicht, woher das komme. Frage man dann nach, komme oft Klimaangst als Ursache heraus. Deshalb sollten Therapeuten systematisch nach solchen Ängsten fragen, sagt der Experte. „Früher haben wir auch nicht immer nach Missbrauch gefragt, und seitdem wir das systematisch tun, hören wir eben häufig, dass das die Ursache ist für viele Beschwerden."

Erst wenn Klimaangst zu Verzweiflung, Arbeitsunfähigkeit oder Isolation führe, könne sich eine Angststörung oder Depression entwickeln, sagt Meyer-Lindenberg. Für solche Erkrankungen gebe es jedoch mehrere mögliche Auslöser. Weil die Klimakrise eine reale Bedrohung darstelle, sei es erst einmal normal, mit Blick auf die eigene Zukunft negative Gefühle zu empfinden.

Nur wenige Studien zu Auswirkungen auf psychische Gesundheit

Bislang zeigen nur wenige Studien, wie sich die Klimakrise konkret auf die psychische Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen auswirkt. „Das liegt daran, dass das Phänomen erst seit Kurzem so richtig in den Fokus der Forschung kommt", sagt Meyer-Lindenberg. „Die Studien, die es gibt, sagen aber schon, dass es ein sehr hohes Ausmaß an Betroffenheit über das Klima bei Kindern und Jugendlichen gibt."

Gefühle wie Angst, Trauer und Wut seien aus psychologischer Sicht wichtig und richtig, betonen beide Fachleute. Wut und Ärger seien Bedürfnisanzeiger, die darauf hinweisen, dass etwas für den Menschen Bedeutung habe, so Lea Dohm. Diese Emotionen führten zum Aktivwerden, was wiederum helfen könne, sich von der Belastung zu lösen.

Bei Ängsten könne das anders sein. Auf Ängste reagierten Menschen Dohm zufolge mitunter nicht unbedingt nur handlungsorientiert, sondern zum Teil mit Verdrängung oder Vermeidung. „Aber wir wissen, dass zum Beispiel in der Klimabewegung sehr viele auch über Ängste motiviert werden. Das ist dann ein gesunder Mechanismus der Angstbewältigung."

Bei Ängsten kann Aktivität positiv auf die Psyche wirken

„Generell ist Angst dazu da, uns vor etwas zu warnen, was gefährlich sein kann, und eine entsprechende Reaktion darauf auszulösen", erklärt Meyer-Lindenberg. Aktivität könne hier hilfreich sein: „Ich als Einzelperson kann natürlich nicht die Klimakatastrophe beenden. Aber es gibt eine Menge, was ich tun kann, und ich kann dafür sorgen, dass in meiner Umgebung klimaneutral gehandelt wird." Dies sei ein wichtiger Schritt - nicht nur für das Klima, sondern auch für die eigene psychische Gesundheit.

„Wir müssen die Wut, Ängste, den Ärger rund um die Klimakrise ernst nehmen, denn das ist zwar oft unangenehm, aber gesund und normal", sagt die Psychologin Lea Dohm. Zudem dürfe die Gesellschaft die Verantwortung für die Bewältigung der Krise nicht auf Kinder und Jugendliche laden. Das sei Aufgabe der Erwachsenen: „Was da wirklich hilft, ist eine Politik, die die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt."

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