Oda Tischewski

Journalistin (Hörfunk, Print, Online), Berlin

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"Die hebammengeleitete Geburt sollte Standard sein"

Forderungen von Hebammen - "Die hebammengeleitete Geburt sollte Standard sein"

Mo 15.05.23 | 07:51 Uhr | Von Oda Tischewski

Audio: rbb24 Inforadio | 15.05.2023 | Oda Tischewski | Bild: dpa/Thorsten Helmerichs

Nur etwa drei Prozent der Kinder in Berlin werden außerhalb eines Krankenhauses geboren. Der Deutsche Hebammenverband würde diese enge Verzahnung von Medizin und Geburtshilfe jedoch gerne lockern: zum Beispiel mit mehr Geburtshäusern. Von Oda Tischewski

Wer die britische Serie "Call the Midwife" über die Arbeit von Hebammen im London der 1950er und 1960er Jahre gesehen hat, kennt das Ideal der 1:1-Betreuung von Frauen in den Wehen: eine oder sogar zwei Hebammen, die sie unermüdlich versorgen - egal, wie lange es dauert. Steißlage, Zwillingsgeburt oder abfallende Herztöne - es gibt kaum etwas, womit die Fachfrauen nicht allein zurecht kommen. Nur selten wird der Arzt gerufen. Der Film zeigt keine Utopie: Die 1:1-Betreuung durch eine Hebamme unter der Geburt ist in Großbritannien bis heute gesetzlich geregelter Standard.

Ganz anders in Deutschland, kritisiert Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes: "Wenn wir mit unseren Kolleginnen aus Skandinavien oder aus England sprechen, dann können die das gar nicht glauben, von welchen Situationen wir sprechen in Deutschland: Eine Frau teilt sich die Hebamme während der Geburt mit zwei bis vier anderen Frauen."

Hebammen in Deutschland für deutlich mehr Frauen zuständig

Viele Hebammen verlassen die Kliniken - aus genau diesen Gründen, erzählt Mandy Pleikies. Sie hat das Geburtshaus Treptow mit gegründet, eines von elf Geburtshäusern in Berlin und Brandenburg. Und auch in ihrem Team arbeiten ehemalige Krankenhaus-Hebammen: "Es ist zu viel, also zu viele Frauen gleichzeitig zu betreuen. Viele Hebammen hören auf, weil die Bedingungen im Kreißsaal schlecht sind: Personalmangel, Überarbeitung - es macht einfach keinen Spaß."

Zudem werden immer mehr Geburtsstationen in Deutschland geschlossen, ein Rückgang um 40 Prozent seit Anfang der 1990er Jahre. Der Grund: Geburten, die ohne medizinische Eingriffe auskommen, werden von den Kassen kaum vergütet - ein Verlustgeschäft für die Krankenhäuser. Die Folge: Die Kaiserschnittrate in Deutschland ist mit knapp 30 Prozent doppelt so hoch, wie die WHO empfiehlt. Frühgeburten und Neugeborene unter 1.500 Gramm gibt es Deutschland im EU-weiten Vergleich am dritthäufigsten. Für Ulrike Geppert-Orthofer sind das deutliche Anzeichen dafür, dass die medizinische Versorgung, die möglich ist, nicht ausreichend dort ankommt, wo sie gebraucht wird.

Verband schlägt Hebammen-Kreißsäle vor

Der Ansatz des Hebammenverbandes wäre stattdessen: Mehr hebammengeleitete Einrichtungen wie Hebammen-Kreißsäle oder Geburtshäuser sollten Kliniken entlasten und gleichzeitig Schwangeren die 1:1-Betreuung gewährleisten, die sie brauchen und sich wünschen. Denn nicht zuletzt die Qualität der Betreuung ist verantwortlich dafür, dass etwa 20 Prozent der Frauen in Deutschland ihr Geburtserlebnis im Nachhinein als "traumatisch" beschreiben. Die anstehende Krankenhaus-Strukturreform sieht der Deutsche Hebammenverband als Chance, auch in der Geburtshilfe grundlegende Veränderungen anzustoßen. So solle die Einführung eigener Leistungsgruppen für Hebammengeburten und Geburten mit Facharztstandard die Geburtshilfe in der Krankenhausplanung stärker verankern und die Qualität der Versorgung deutlich verbessern. Für die Zukunft hat Verbandpräsidentin Ulrike Geppert-Orthofer klare Ziele: "Die hebammengeleitete Geburt sollte Standard sein - und zwar überall." Darüber hinaus gebe es dann weitere, "klassische" Kreißsäle mit ärztlichem Personal für Risikogeburten.

Auch die Krankenhäuser sehen eine Entwicklung hin zu mehr hebammengeleiteter Geburtshilfe positiv. "In Berlin haben unsere Vivantes Kliniken sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Geburtshäusern", teilt etwa der Berliner Krankenhausverband Vivantes mit. "Geburtshäuser verstehen wir als ein erweitertes Angebot in der Stadt, als eine Ergänzung." Weiter betont Vivantes: "Da Geburtshäuser eine Verlegungsrate von ca. 30 Prozent bei Erstgebärenden haben und diese Verlegung insbesondere für die Schwangere eine Belastung darstellt, ist der hebammengeleitete Kreißsaal eine sehr gute Lösung. Das heißt innerhalb einer Klinik für gesunde Schwangere die Möglichkeit ausschließlich von Hebammen betreut zu werden, solange keine Komplikationen auftreten, die ein Hinzuziehen der Ärzt:in erforderlich macht. Bei Bedarf kann ohne Verlegung jederzeit die Ärzt:in dazu gerufen werden."

Ausbau der Hebammenkreißsäle steht im Koalitionsvertrag der Ampel

Noch ist das Zukunftsmusik, denn bundesweit gibt es bisher nur 24 Hebammen-Kreißsäle, keiner davon in Berlin oder Brandenburg. Mit ihren Forderungen wendet sich der Deutsche Hebammenverband daher an die Politik, denn bei der Planung der Krankenhaus-Strukturreform sei die Sicht der Hebammen zunächst nicht gefragt gewesen, so Ulrike Geppert-Orthofer. Nun hofft der Verband, sich in Gesprächen, unter anderem mit dem Bundesgesundheitsministerium, Gehör verschaffen zu können - zumal die Ampel sich den Ausbau der Hebammen-Kreißsäle bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Aber selbst, wenn das Angebot stünde, stellt sich noch immer die Frage der Akzeptanz unter den Schwangeren. "Das ist in den Köpfen nicht verankert: 'Ich bin schwanger, ich geh zur Hebamme.' Sondern: 'Ich bin schwanger, ich geh zum Gynäkologen'", sagt Mandy Pleikies vom Geburtshaus Treptow. "Der Frauenarzt sollte die Frau aufklären über alle möglichen Geburtsorte und das neutral und auch studienbezogen. Und die Studien besagen seit Jahren, dass die außerklinische Geburtshilfe genauso sicher ist wie die klinische Geburtshilfe - durch die 1:1-Betreuung und weil wir schnell reagieren können." "Reagieren" kann im Fall einer Geburtshausgeburt auch bedeuten, dass am Ende doch ins Krankenhaus verlegt wird: Etwa 25 bis 30 Prozent der Geburten, die im Geburtshaus beginnen, enden in einer Klinik - oft weil die Gebärenden zum Beispiel Schmerzmedikamente wünschen, die die Hebammen nicht verabreichen dürfen. Mit einem Kaiserschnitt muss eine Verlegung aber nicht enden: Nur etwa fünf Prozent der Frauen, die sich für ein Geburtshaus entscheiden, haben am Ende einen Kaiserschnitt - weit unter dem deutschen Durchschnitt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

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