Oda Tischewski

Journalistin (Hörfunk, Print, Online), Berlin

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Nachruf Montserrat Caballé: Der Rockstar unter den Opernsängerinnen

DIE ZEIT ONLINE, 06.10.2018


Diva ist für eine Sängerin eine fast unvermeidbare Berufsbezeichnung. Montserrat Caballé, eine der bekanntesten Sopranistinnen und Belcanto-Spezialistinnen unserer Zeit, war aber alles andere als unnahbar, abgehoben oder eben divenhaft. Ihre Stimme, besonders gelobt für ihre leisen Töne, hatte etwas Unaufdringliches, ihre Üppigkeit etwas Mütterliches, ihre Offenheit und ihr strahlendes Lächeln verliehen ihr eine Aura der Warmherzigkeit. Caballé verkörperte nicht weniger als die Seele der Oper.

Maria de Montserrat Viviana Concepción Caballé i Folch wurde am 12. April 1933 in Barcelona geboren. Ihre bürgerliche Familie hatte den Spanischen Bürgerkrieg wirtschaftlich nicht gut überstanden; Caballé wuchs in einfachen Verhältnissen auf und arbeitete nach dem Ende ihrer Schulzeit zunächst als Näherin in einer Taschentuchfabrik, bevor ihr Talent entdeckt wurde. Sie studierte Gesang in Barcelona und Mailand und debütierte 1956 in Basel, wo sie auch ihr hervorragendes Deutsch erlernte. Das konnte sie in Saarbrücken und Bremen ebenfalls gut gebrauchen, wo sie bis Anfang der Sechzigerjahre engagiert war. "Künstlerisch habe ich mich in Deutschland am meisten entwickelt, hier bin ich musikalisch geboren", schwärmte Caballé in München, wo ihr 2007 der Klassik-Echo für ihr Lebenswerk verliehen wurde.

Ihren internationalen Durchbruch feierte die Sängerin 1965 in New York. Als ihre Kollegin Marilyn Horne für eine konzertante Aufführung von Gaetano Donizettis Lucrezia Borgia an der Carnegie Hall ausfiel, sprang sie ein. Der Auftritt begründete ihre Reputation als exzellente Belcanto-Sängerin, und das, obwohl sie anfangs durchaus ihre Schwierigkeiten mit der Partie hatte: "Belcanto klang mir zu sehr nach 'Kikeriki!', ich fand Mozart besser", erzählte sie in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. "Der Dirigent hat mir dann einfach gesagt: 'Sing es, als wenn es Mozart wäre.' Das hat funktioniert." Sehr gut offenbar: Schon wenige Monate später debütierte sie triumphal an der Metropolitan Opera in der Rolle der Margarethe in Charles Gounods Faust.

Mentholzigaretten bei Lampenfieber

Caballés Stimme war berühmt für ihre sanfte Sinnlichkeit und ihr unnachahmliches Pianissimo, selbst in den höchsten Lagen - ein Zeichen äußerster Stimm- und Atemkontrolle. Die legendäre griechische Sopranistin Maria Callas verglich ihr Timbre einmal mit "einer leichten Brise auf der Haut" und ernannte ihre spanische Kollegin und Freundin selbst zu ihrer legitimen Nachfolgerin. Für die Pflege ihrer einzigartigen Stimme hatte die Caballé immer ihre ganz eigenen Techniken: Mentholzigaretten bei Heuschnupfen oder Lampenfieber und tägliche Gymnastik. "Man liegt flach auf dem Boden, trainiert die Muskulatur und achtet darauf, dass auf der Brust alles frei, ruhig und unverspannt bleibt. Das habe ich mein ganzes Leben hindurch gemacht", sagte sie der Welt.

In ihrem Leben und dem ihrer Familie war der Operngesang allgegenwärtig: 1964 heiratete sie den Tenor Bernabé Martí, der jedoch nach einem Herzinfarkt 1977 seine Karriere frühzeitig beenden musste. Die gemeinsame Tochter Montserrat Martí wurde ebenfalls als Sopranistin weltbekannt - nicht selten standen Mutter und Tochter in Opernaufführungen, bei Liederabenden und für Aufnahmen gemeinsam auf der Bühne oder im Studio. Ihre Familie und ihre sehr bewusste Lebensfreude waren ihr Antrieb.

Mitte der Achtzigerjahre wurde bei Montserrat Caballé ein gutartiger Gehirntumor entdeckt, der sie stets an eines erinnerte: "Ich weiß, wie beschenkt man schon damit ist, zu existieren. Wir dürfen es nicht einfach als gegeben nehmen", sagte sie 2006 in der ZEITmagazin-Kolumne Ich habe einen Traum.

Besonders wichtig war Caballé das Engagement für den Nachwuchs: 1971 entdeckte sie einen jungen Tenor, der in London an ihrer Seite in Donizettis Maria Stuarda auf der Bühne stand. José Carreras, Katalane wie sie selbst, wurde nicht zuletzt dank Caballés Unterstützung zu einem der bekanntesten Tenöre weltweit. Die Sopranistin bedauerte oft, nicht mehr für junge Sänger tun zu können, obgleich in Spanien jedes Jahr ein Nachwuchswettbewerb unter ihrem Namen ausgetragen wird: Im ZEITmagazin sprach sie von der Idee, eine eigene Opernschule zu gründen, mit Meisterklassen verschiedener Genres und "einem großen Saal, wo man Kulissen aufbauen kann, damit die Sänger dort im Bühnenbild stehen und ihre Rollen einstudieren können". Sie schloss jedoch mit den melancholischen Worten: "Ich weiß, dies ist ein Traum, der mit einiger Sicherheit nicht in Erfüllung gehen wird. Ich habe einfach nicht das Geld dafür. Ich bin ja kein Tenor."

Einem Publikum, das vielleicht seltener den Weg in die Opernhäuser findet, wurde Caballé durch ihr Duett mit Freddie Mercury bekannt. Mit dem Sänger der Gruppe Queen nahm sie 1987 eine Hymne auf ihre Heimatstadt auf. Barcelona aus dem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1988 wurde zur Erkennungsmelodie der Olympischen Sommerspiele 1992. Ihr Gesangspartner Mercury erlebte den Erfolg nicht mehr, er starb im Jahr zuvor an den Folgen seiner HIV-Erkrankung.

Ihre Neugier und Offenheit führte auch zu Begegnungen mit jungen Menschen, wie beim Wave-Gotik-Treffen 2012 in Leipzig. Exhibitionismus war ihr fremd: Von ihrem Engagement als Unesco-Botschafterin gibt es keine Fotos, und auch ihren Gesang stellte sie immer ganz in den Dienst der musikalischen Intention. Nicht sie, sondern der Komponist und sein Werk sollten brillieren. Sie war eben alles, nur keine Diva.

Im Oktober 2012 erlitt Montserrat Caballé während einer Konzertreise durch Russland einen Schlaganfall, von dem sie sich nie vollständig erholen sollte. Am 6. Oktober 2018 starb die Sängerin in einem Krankenhaus in ihrer Heimatstadt Barcelona. Sie wurde 85 Jahre alt.

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