Nora Voit

Freie Journalistin, München

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Artikel

Tierhaltung: Der Zoo der Zukunft

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 2/2023.

Ein nasskalter Herbstmorgen in München, nicht gerade Löwenwetter. Die Bewohner des Tierparks Hellabrunn verdauen ihr Frühstück und Direktor Rasem Baban, zurückgekämmtes Haar, dunkelblauer Anzug, hat in sein Büro geladen. Buntstiftgiraffen spähen von den Wänden, eine Nilpferdfamilie aus Holz lauscht regungslos. Baban, studierter Architekt, ist seit 2014 Direktor in München. Einem Interview über die Zukunft des Zoos hat er erst nach einigem Hin und Her zugesagt, Zeit für eine Führung sei leider auch nicht.

Babans Skepsis ist nachvollziehbar. Das Image von Tierparks hat zuletzt gelitten. "Geht nicht in Zoos!", fordern Aktivisten wie der Meeresbiologe Robert Marc Lehmann oder die Tierschutzorganisationen Peta und Great Ape Project immer lauter. Der Grund sind Nachrichten wie diese: Der Giraffenbulle Marius aus dem Zoo Kopenhagen musste sterben, weil er genetisch unbrauchbar war, Inzuchtgefahr. Bei einem Brand im Krefelder Affenhaus starben acht Menschenaffen qualvoll. Gorillamännchen Fritz aus dem Tierpark Nürnberg bekam jahrelang Bier gegen seinen Kummer.

Kein Tier ist freiwillig im Zoo, so viel ist klar. Kann ein artgerechtes Leben im Gehege trotzdem möglich sein? Und wenn ja, wie muss ein Zoo dafür aussehen?

Nach dem Gespräch lässt sich der Direktor doch noch zu einem Rundgang durch seinen Tierpark überreden. Also raus, von den gemalten Tieren zu den echten. Vorbei an einer Gruppe dick eingepackter Grundschüler, die im Chor brüllen: "Tiiii-ger, Löööö-wen." Von den rund 500 Tierarten in dem 1911 gegründeten Park ziehen die Flagship-Arten seit jeher die meisten Besucher an: Elefant, Tiger oder Eisbär.

Schnurstracks zum Vorzeigeprojekt

In Europa gehören Tiergärten zu den meistbesuchten Freizeiteinrichtungen. Vor der Pandemie zählten die 71 Zoos des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) - der VdZ repräsentiert Zoos aus Deutschland, Schweiz, Österreich und Spanien - etwa 45 Millionen Besucher pro Jahr. Und eine forsa-Befragung von 2020 ergab, dass 82 Prozent der Deutschen für die Existenz von Zoos sind.

Rasem Babans Weg führt an diesem Vormittag aber nicht zu den beiden Löwenbrüdern, die ein paar Hundert Meter weiter ihre immer gleichen Runden ziehen. Und auch nicht zum Tigerkater, der am Wassergraben auf und ab hechelt. Sondern schnurstracks zum Vorzeigeprojekt: dem generalsanierten kleinen Affenhaus. Nach 35 Jahren im alten Betonwürfel können Münchens Klammeraffen, Siamangs, Rote Varis, Kattas und Lisztaffen endlich an echten Ästen baumeln. In der Hochphase der Corona-Pandemie wurde das Affenhaus ausgebaut. Keine Gitter, doppelt so viel Platz, Naturboden und eine Wand- und Deckenheizung.

Die Zooarchitektur ist im Wandel, nicht nur in München. Allein 2019 investierten deutsche Zoos mehr als 140 Millionen Euro in die Weiterentwicklung ihrer Anlagen. Vorbei die Zeiten, in denen Kreaturen in winzigen Käfigen vor sich hin vegetierten. Moderne Tierparks, sogenannte Geozoos, bieten hektargroße Savannenlandschaften, in denen sich Giraffe, Zebra und Stachelschwein um Sträucher streiten. Noch weiter gehen Zukunftsmodelle, die das Prinzip Zoo beinahe auf den Kopf stellen. Simulationen zeigen Besucher auf kleinen Plattformen und mehr oder weniger frei lebende Tiere auf gigantischen Arealen.

Nicht nur die eigenen Tiere profitieren

Das Eintrittsgeld des Münchner Tierparks kommt aber nicht nur den eigenen Tieren zugute. Ein Teil fließt in den Artenschutz weltweit. Etwa in Projekte, die den Lebensraum bedrohter Affen im südamerikanischen Regenwald erhalten sollen. Über die Touchscreens im Affenhaus können sich Besucher über bedrohte Tierarten und deren Lebensräume informieren und sich per Webcam live im Dschungel umschauen. "Wir versuchen die Menschen durch Emotionen auf den Artenschutz aufmerksam zu machen", sagt Baban und drückt einige Knöpfe.

Laut dem Schweizer Zoologen Heini Hediger, gestorben 1992, gibt es vier Gründe, die die Tierhaltung in Zoos rechtfertigen: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung. Zum VdZ gehören 71 wissenschaftlich geführte Zoos; die meisten berufen sich gebetsmühlenartig auf Hediger - mit der Hoffnung, Kritik wegtheoretisieren zu können. Die Kritiker selbst überzeugt das selten.

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