Beauty-Filter auf Instagram optimieren die Gesichter ihrer Nutzerinnen. Das hat Folgen - für unser Schönheitsideal, unseren Selbstwert und eine diverse Gesellschaft.
Herzförmige Lippen. Hohe Wangenknochen. Weiße Zähne. Katzenartige Augen, umrahmt von geschwungenen Wimpern. Eine Haut wie weichgezeichnet. Schlicht und einfach " Instagram Face" heißt das Gesicht, das derzeit unser Schönheitsideal bestimmt. Ein Gesicht, das keine Makel kennt. Ein Gesicht, das manche mithilfe von Hyaluronsäure für viel Geld auflegen und andere umsonst kriegen - indem sie einfach in die Kamera ihres Smartphones schauen.
Das Instagram Face ist ein Geschäftsmodell: Algorithmen bevorzugen es. Plastische Chirurgen verkaufen es. Und Influencerinnen tragen es: Die Supermodel-Schwestern Bella und Gigi Hadid. Die Millennial-Ikonen Kylie Jenner und Kim Kardashian. Die deutschen Rapperinnen Loredana und Shirin David. Die YouTuber Dagi Bee, Marvyn Macnificent, James Charles und Jeffree Star.
Filter kaschieren Pickel und vergrößern AugenDie Geschichte vom Instagram Face beginnt im Jahr 2013. FaceTune kommt auf den Markt, eine App, mit der ihre Nutzerinnen und Nutzer Selfies nach eigenen Wünschen auf dem Smartphone retuschieren können. In Hunderten Ländern schnellt FaceTune auf Platz eins der App-Charts. Aber das Morphen der eigenen Bilder raubt Zeit und Nerven - und wer nur mittelmäßig talentiert ist, hat sich schnell zur Cartoon-Figur verschlimmbessert.
Im September 2015 dann der Durchbruch: Snapchat launcht die ersten AR-Face-Filter. AR, das steht für Augmented-Reality: computergestützte Techniken, die unsere Realität um eine virtuelle Ebene erweitern. Weltweit posten Menschen plötzlich Selfies mit Hundeschnauzen, Katzenohren oder Blumenkränzen. Die Motive ähneln sich. Und so auch die Gesichter: AR-Filter kaschieren Pickel, plustern Lippen auf, vergrößern Augen - ganz ohne Make-up und FaceTune. Heute ist die Agenda vieler AR-Filter, die User mit der Software Spark AR Studio mittlerweile relativ einfach selbst designen und auf sozialen Plattformen zur Verfügung stellen können, geradliniger: ihre Nutzer mit einem Wisch schöner zu machen.
Früher zeigten seine Patientinnen Fotos von SchauspielerinnenAlexander Hilpert sitzt im weißen Kittel im Zoom-Interview in seiner Praxis in der Düsseldorfer Königsallee. Seit einigen Jahren, erzählt der Facharzt für ästhetische und plastische Chirurgie, kämen immer mehr junge Menschen zu ihm in die Sprechstunde, die so aussehen wollten wie ihr Filter-Ich: Die Wangenknochen höher, die Lippen voller, die Nase schmaler. "Früher brachten mir meine Patienten Fotos von Schauspielerinnen und Schauspielern, heute zeigen sie mir gemorphte Selfies auf dem Smartphone", sagt er. Wie Schwestern sähen die Patientinnen aus, wenn sie "durchbehandelt" seien. Was genau gilt heute eigentlich als schön? Hilpert antwortet, ohne zu zögern: "Makellos zu sein."
Der Facharzt aus Düsseldorf ist nicht der einzige, der den Einfluss von Schönheitsfiltern bei der eigenen Arbeit messen kann: Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie hat ihre Mitglieder befragt: 85 Prozent der Chirurgen sind demnach der Meinung, dass bearbeitete Selfies die Ansprüche von Patienten an den eigenen Körper verändern. Die Bilder können sogar die Körperwahrnehmung von Nutzerinnen stören. Seit 2018 hat das Phänomen einen Namen: Selfie- oder Snapchat-Dysmorphia. In den USA ist allein die Zahl der Lippenunterspritzungen in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent gestiegen, auch in Deutschland gibt es Jahr für Jahr mehr sogenannte minimalinvasive Eingriffe.