Sie konsumieren im Bett, auf dem Klo, auf dem Pausenhof, sie lassen Hausaufgaben liegen, kehren Netflix den Rücken, liegen nachts wach. Die Druckaddicts, wie sich die junge Community nennt, ist süchtig nach einer Teenieserie. Mehr als 30 Millionen Mal wurden die über 100 Clips von Druck innerhalb eines Jahres schon gesehen, der dazugehörige YouTube-Kanal des Contentnetzwerks funk hat rund 300.000 Abonnenten, jedes Video wird tausendfach kommentiert.
Ungewöhnlich ist das erstens, weil der Kanal zu ARD und ZDF gehört - die nicht gerade dafür bekannt sind, sich besonders hingebungsvoll um die Sehgewohnheiten ihrer unter 30-jährigen Zuschauerinnen und Zuschauer zu kümmern. Und zweitens, weil fast keine Werbung gemacht wurde für diese Webserie, nicht auf Plakaten, nicht im linearen Fernsehprogramm und auch nicht in groß angelegten Kampagnen. Und so hat kaum jemand außerhalb der Zielgruppe (und ihrer Eltern) etwas vom Hype mitbekommen, obwohl die Serie mittlerweile schon in der dritten Staffel läuft.
Druck, die Adaption des Supererfolgs aus Norwegen, begleitet eine Clique Berliner Abiturienten beim Erwachsenwerden, beim sich Verlieren und Wiederfinden, bei der kopflosen Suche dazwischen. Im Leben von Mia, Hanna, Kiki, Amira, Sam, Matteo, Alex, Carlos, Jonas, Abdi und Hans geht es um klassische Coming-of-Age-Themen: um Sex, Liebe, Freundschaft und Feindschaft, Angst und Mut. Und natürlich um die Frage, wer oder wie man eigentlich sein will.
Radikal zeitgenössisch ist die Erzählform der Serie. Die Ich- und Wir-Werdung seiner Teenies (die durchweg von relativ unbekannten Jungschauspielerinnen und Jungschauspielern verkörpert werden) erzählen die Regisseure Pola Beck, Tom Lass und Chris Miera in Clips, die nur wenige Minuten lang sind. In ihnen darf mehr Subtext als Text sprechen: in Blicken, Berührungen, Bettdeckenknistern und ziemlich elegant eingebetteten WhatsApp-Unterhaltungen - so elegant, dass wirklich kein Jugendlicher den Versuch, die eigene Lebensrealität in Wort und Bild abzubilden, cringy, also extrem unangenehm, finden muss. Ausgespielt werden die Videosequenzen in Echtzeit: So werden müde Zuschauer morgens um 8.03 Uhr zu Beobachtern eines intimen Augenblicks auf dem Schulflur, um 11.38 lauschen sie banalem Genuschel im Biounterricht und falls sie um Mitternacht noch wach sind, bezeugen sie schüchterne Knutschversuche auf einer WG-Party.
Wer seinem Lieblingscharakter noch näher kommen möchte, muss nur dessen Social-Media-Kanal checken: Auf WhatsApp heulen sich Matteo, Mia und Co. über Liebeskummer und Identitätsverwirrungen aus und auf Instagram posten sie Kuschelselfies aus ihrem fiktiven Alltag. In seiner Nonlinearität kommt dieses multimediale Konzept der Medienrealität "echter" Jugendlicher so nah, dass Fans (laut funk sind rund 80 Prozent von ihnen zwischen 14 und 25 Jahren alt) in den Kommentaren gelegentlich schon nicht mehr zwischen fiktiv Realem und real Fiktivem unterscheiden können.
So oder so ist es nicht der Plot, sondern die Machart von Druck, die für hysterischen Beifall sorgt: die Fangemeinde feiert die Musikauswahl ("Billie Eilish!"), die Charaktere ("so realistisch", " so cute"), und natürlich den Herzschmerz (" feeling it"). Neue Clips von Druck erwarten manche sogar so sehnsüchtig, dass sie schon auf dem Weg zur Schule oder in der großen Pause das Datenvolumen ihres Smartphones dafür opfern, wie sie schreiben.