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Vom Anfang, vom Ende und dem Danach

Illustration: Yvonne Kuschel

Unsere Autorin begleitet ihre Mutter beim Sterben. Sie fragt sich, was wir im Umgang mit dem Tod besser machen können.


Das Sterben meiner Mutter fühlt sich an wie eine schwere Geburt. Es passiert etwas mit ihrem Körper, worüber sie kaum Kontrolle hat. Sie liegt in einem Bett in einem Berliner Hospiz, über ihr an der Decke ein Bild mit Wolkenhimmel. Sie ist unruhig, sie kämpft. Ständig versucht sie sich aufzusetzen, es wirkt, als würde sie von etwas auf die Matratze zurückgezogen. Sie zupft und zieht an unseren Ärmeln, zaghaft, mit letzter Kraft.

Wir versuchen herauszufinden, was sie möchte, mit Ja-Nein-Fragen, der Tumor hat ihr die Stimme genommen. Wir, ihre Kinder, sitzen neben ihr, jedes zu einer Seite, Tochter und Sohn. Einmal noch, ganz nah. Irgendwann sagt sie ihre letzten verständlichen Worte: „Schöne Scheiße."


Das trifft ziemlich genau, was ich in den vergangenen Monaten erlebt habe. Ich habe meine Mutter beim Sterben begleitet, und weder sie noch ich waren darauf vorbereitet. Seither treibt mich die Frage um, warum es so kam und nicht anders, und ob es mit mehr Tod im Alltag nicht vielleicht - wenigstens ein kleines bisschen - einfacher wäre, einen geliebten Menschen sterben zu sehen.


Meine Mutter ist an Krebs erkrankt, eine von jährlich 500.000 Menschen in Deutschland, in deren Leben diese Diagnose wie ein Komet einschlägt. Uns erreicht der Komet am 17. Dezember 2020. Meine Mutter, 63 Jahre alt und vor kurzem als Requisiteurin für Film und Fernsehen in Frührente gegangen, ist schon seit Wochen heiser. Ich tingle gerade für eine Recherche von Querdenker-Demo zu Querdenker-Demo. Am Tag zuvor schreibt sie mir eine Whatsapp:


„Huhu, ich hoffe du gehst nicht im Querdenker Stress unter? Meine Stimmlosigkeit kommt von einer linksseitigen Stimmbandlähmung. (verunsichertes Emoji) war am Montag beim HNO Arzt und heute beim CT... jetzt warte ich auf den Befund und mir ist schon etwas mulmig. (zwei Kussmund-Herz-Emojis) "


Ich frage sie, wann der Befund kommt, ob sie Schmerzen hat, ob der Arzt etwas zur Ursache gesagt hat. Keine Antwort, bis zum nächsten Abend nicht. Ich rufe sie an, genervt, weil sie mir nicht geantwortet hat.


In einem Tagebuch habe ich den Einschlag des Kometen festgehalten:

Dann kommt der Satz, vor dem ich mich in Gedanken schon so oft gefürchtet hatte: „Ich muss dir was sagen." Mir wird schlecht, mein Herz schlägt schneller, wie ein Trommelwirbel, der einen Schicksalsschlag ankündigt. „Ich habe ein Bronchialkarzinom und Metastasen an den Lymphknoten." Ich schweige nicht, da sind sofort Worte, die rauswollen, „Scheiße" und „Fuck". Ich stehe vom Küchenstuhl auf, gehe drei Schritte zur Tür und wieder zurück, sitzen, aufstehen, drei Schritte vor und zurück, sitzen, wieder aufstehen, bis wir auflegen.


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