Teile der sogenannten Corona-Protestbewegung sind längst gewaltbereit. Hat ein Mann aus Franken einen Anschlag auf eine ICE-Strecke verübt?
Für Ronny Sauer beginnt der 6. Januar 2021 ganz normal. Es ist ein Mittwoch, der Dreikönigstag ist hier im bayerischen Unterfranken ein Feiertag. Sauer plant eine Radtour mit seiner Frau. Er weiß nicht, dass für über 10.000 Menschen in Deutschland dieser Tag der sogenannte „D-Day 2.0" ist: ein Aktionstag, dessen Name auf die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 anspielt, den Tag also, an dem aus militärischer Sicht der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs begann. Die „D-Day 2.0"-Aktivist*innen glauben, sich 2021 ebenfalls befreien zu müssen - von einer vermeintlichen „Coronadiktatur", einer angeblich von „der Elite" gesteuerten „Plandemie". Ihre Protestmittel: Autokorsos, Plakate, mit „Wacht auf!"-Botschaften versehene Geldscheine.
Ronny Sauer und seine Frau werden an diesem Tag Zeug*innen der vermutlich folgenreichsten Aktion des „D-Day 2.0". Einer Aktion, die Menschenleben gefährdet. Auf dem letzten Kilometer ihrer Radtour, zwischen den Dörfern Waigolshausen und Gemünden, stoppen sie in der Dämmerung die Räder. Neben dem Radweg, mitten auf den Gleisen, einer zu der Zeit auch von ICEs genutzten Trasse, steht ein wackelig gezimmerter Rahmen aus Holzlatten, etwa ein Meter fünfzig hoch. Darauf ist ein weißes Tuch gespannt, in signalroter Farbe steht darauf geschrieben: „Diesesmal FAKE". Eine Botschaft? Eine Drohung? Ein Verweis auf ein nächstes Mal?
Ronny Sauer steigt in das Gleisbett und macht ein Foto. Er baut das Hindernis ab, fährt nach Hause und ruft bei der örtlichen Polizeiwache an. Zehn Minuten später bekommt er einen Anruf von der Bundespolizei, ob er noch mal zum Fundort kommen könne, erzählt er im März der taz. Die Polizei ist im Großeinsatz. Das Plakat, das Sauer gefunden hat, war nicht das einzige. Ein paar Kilometer weiter fährt ein ICE in ein ähnliches Hindernis. Der Zugführer leitet eine Notbremsung ein, der Triebwagen wird beschädigt, Bahnpersonal und Reisende bleiben unverletzt. Wegen der Botschaften auf den Plakaten, die zusammengenommen womöglich einen Satz ergeben, halten die Ermittler*innen die Tat für politisch motiviert. Eine Sonderkommission wird einberufen, der Tatbestand: „Gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr".
Weiterlesen auf taz.de
Co-Autor: Christian Jakob
Mitarbeit: Robert Andreasch
Die Recherche ist im Print in der taz.am wochenende vom 24./25.04.2021 erschienen und entstand im Rechercheverbund Europe's Far Right, gefördert mit Mitteln des „Investigative Journalism for Europe"-Programms.
Zum Original