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Abfall zum Anziehen: Wie das Modelabel Ecoalf aus Müll Mode macht

"Gutes Zeichen, kein einziges Boot ist zu sehen", stellt Nacho Martinez Pedrero erfreut fest. Es ist ein bewölkter Tag Mitte September, wir befinden uns im Fischereihafen von Barcelona und spazieren in Richtung Anlegestelle. Der Spanier trägt eine dunkelblaue Cap mit dem Schriftzug:"Limpia Ríos, Salva Océanos" (Flüsse säubern, Meere retten) - eine kurze Zusammenfassung dessen, womit er sich tagtäglich beschäftigt.

Warum er so gut gelaunt ist? Die Fischerboote konnten trotz prognostizierten Schlechtwetters frühmorgens ablegen und fangen idealerweise neben Kabeljau und Shrimps auch gleich ein bisschen Müll in ihren Netzen ein. Davon gibt es leider mehr als genug: Einer Studie der Weltnaturschutzunion (IUCN) zufolge landen jährlich 230.000 Tonnen Plastikmüll im Meer.

Das nachhaltige spanische Modelabel Ecoalf versucht, diese unglaublichen Mengen schrittweise zu reduzieren: Mit dem Projekt "Upcycling The Oceans" unterstützt es Fischer:innen entlang der mediterranen Küste seit September 2015 dabei, die Meere mit jeder Ausfahrt zu säubern. Teile des eingesammelten PETs verwendet Ecoalf, um damit Fasern für ihre zeitlose, langlebige Mode zu produzieren - die auch noch ziemlich stylish ist.

Awareness schaffen

Als wir durch den Hafen spazieren, zeigt uns Pedrero die gelben Container, in denen die Fischer:innen den eingesammelten Meeresmüll deponieren. Er ärgert sich kurz - ein riesiges Fischernetz füllt fast die ganze Tonne. "Das hat darin nichts zu suchen." Als Project Manager ist Pedrero bei der Ecoalf Foundation, der NGO des Modelabels, unter anderem für die "Upcycling The Oceans"-Initiative zuständig.

Jede Woche besucht er einen anderen Hafen entlang der spanischen Küste, schaut, ob alles nach Plan läuft, ob die Fischer:innen Fragen beziehungsweise Anliegen haben.

52 Fischereihäfen sind in Spanien mittlerweile Teil der Initiative. Das Modelabel will damit auch innerhalb der Branche Bewusstsein für ein massives Umweltproblem schaffen: Schon bis 2050 könnte es in unseren Meeren mehr Plastik als Fische geben, prognostizieren die Vereinten Nationen. "Bevor das Projekt startete, haben die Fischer:innen den Müll aus ihren Netzen genommen und wieder zurück ins Meer geworfen, weil sie für dessen Entsorgung bezahlen hätten müssen", erklärt Pedrero.

Heute beteiligen sich über 3.000 von ihnen freiwillig an der Meeressäuberungsaktion - neben Spanien auch in Italien, Griechenland, Frankreich und Thailand. Das Projekt sei zu einer Community herangewachsen, die Beteiligten motivieren sich gegenseitig dazu, einen Beitrag zu leisten. "Weil sie sehen, dass sie damit tatsächlich etwas positiv verändern können", ist Pedrero überzeugt. Wenn auch in kleinen Schritten. Seit 2015 konnten durch das Engagement jährlich mehr als 200 Tonnen Müll aus den Ozeanen gefischt werden.

Recyclen, was geht

Natürlich kann nicht alles, was im Ozean gefunden wird, zu Mode weiterverarbeitet werden: Fünf bis zehn Prozent des aus dem Meer stammenden Abfalls kann Ecoalf für die Produktion seiner Kollektionen verwenden. Dass der Anteil so gering ist, liegt auch an der Qualität des PET-Kunststoffs, der oft schon Jahre- oder gar jahrzehntelang am Meeresgrund liegt. "Das Plastik hat oft viele organische Anteile und kann dadurch nicht mehr zu einem hochwertigen Garn verarbeitet werden", erklärt Innovationsmanagerin Carolina Blázquez die Hintergründe. Wir treffen sie einen Tag später im Headquarter der Marke im Zentrum von Madrid.

Die spanische Modedesignerin ist seit der Gründung 2009 im Unternehmen tätig. Sie weiß, wie aus dem Meeres-PET Kleidung hergestellt wird: "Wir mischen das Plastik aus dem Ozean mit Plastik, das an Land weggeworfen wurde. Es wird erst zu Flakes verarbeitet, dann zu Pellets, danach wird daraus das Garn gesponnen", erklärt Blázquez. "Das ist derselbe Prozess wie bei anderen recycelten Materialien." Die Kunststoffe zu mischen, sei notwendig, um eine passende Qualität für die Modeproduktionen zu erhalten. Gerade zu Beginn sei das eine große Challenge gewesen. "Vor zehn Jahren war es unmöglich, aus PET einen brauchbaren Stoff herzustellen. Es galt als verrückt, aus Müll Mode machen zu wollen." Die ersten Stoffe seien sehr rau gewesen. Dank neuerer Technologien und vieler Optimierungsschritte ist mittlerweile kein Qualitätsunterschied mehr zu bemerken.

Regenerative Ressourcen nutzen

Wie sich Nachhaltigkeit in der Modeindustrie - ohne Greenwashing - tatsächlich ausgehen kann, beschäftigt Blázquez schon lange. "Als ich bei Ecoalf anfing, kam ich von einem konventionellen Modelabel und war ziemlich frustriert davon, wie es in der Fashionindustrie lief. Dass natürliche Ressourcen für die Modeproduktion ausgebeutet und gleichzeitig zu Stoffen von sehr schlechter Qualität verarbeitet werden", erzählt sie rückblickend. Viele Kund:innen wissen nach wie vor nicht, dass ein T-Shirt aus konventioneller Baumwolle in der Herstellung rund 2700 Liter Wasser verbraucht.

Ihr aktueller Arbeitgeber soll es laut Blázquez anders machen: Mit recycelten und nachhaltigen Materialien will das spanische Fashionlabel Nachhaltigkeit auf das nächste Level heben. "Wir arbeiteten von Beginn an mit recycelten Materialien. Aber nicht alle können am Ende ihres Lebenszyklus auch wieder recycelt werden, sind also nicht zirkulär." Deshalb seien zu 100 Prozent recycelte Materialien umwelttechnisch nicht immer die beste Option.

Ihr Ziel ist, die CO2-Emissionen, den Wasser- und Energieverbrauch nicht nur zu reduzieren, sondern langfristig sogar positiv auszugleichen. "Wir wollen den Wandel anführen." Das Unternehmen setzt auf Transparenz: Schon jetzt kann man im Online-Shop nachschauen, wie viele Ressourcen für ein Produkt eingespart wurden. Mode produzieren und gleichzeitig die Umwelt schützen? Für die Innovationsmanagerin kein Widerspruch. Mit der Initiative "Upcycling the Oceans" werde dahingehend bereits ein wichtiger Schritt gesetzt. Damit scheinen die Spanier:innen einen Nerv zu treffen: 2020 konnte das Unternehmen trotz Pandemie seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 74 Prozent steigern.

Künftig soll es noch weiter in Richtung regeneratives Unternehmen gehen, kündigt Blázquez an: "Immer, wenn wir etwas Neues vorstellen, fragen wir uns: Wie gut ist das Material, das wir produzieren, für die Erde?" Langfristig will die Fashion-Marke eine positive Bilanz erzielen - also vom nachhaltigen zum regenerativen Modeunternehmen werden, von dessen Produktionen die Umwelt sogar profitiert."Wir haben das Commitment, bis 2030 neutral zu werden." Gelingen soll das durch den Anbau gewisser Pflanzen, wie etwa Hanf, die sich positiv auf Böden und Folgekulturen auswirken. "Die Erde und die Ressourcen sollen sich durch die Produktion erholen."

Das Plastikproblem im Meer lässt sich dadurch nur leider nicht beheben. Dafür braucht es weitere Maßnahmen - und ein allgemeines Bewusstsein. Die Fischer:innen, die am Projekt "Upcycling The Oceans" teilnehmen, setzen sich jeden Tag aufs Neue dafür ein.

Verantwortung übernehmen

Als wir im Hafen von Barcelona warten, kommen nach und nach einige Fischerboote zurück. Einer der Fischer, Augustìn Romeo, arbeitet seit 35 Jahren in der Industrie. Während er die Fische sortiert, erzählt er, dass seiner Erinnerung zufolge schon immer Plastik im Meer gewesen sei. "Heute ist es aber deutlich mehr. Vor allem, wenn es regnet, wird durch die Flüsse viel Müll in den Ozean gespült", sagt der 52-Jährige sichtlich entsetzt. "Beispielsweise feuchtes Toilettenpapier oder auch Servietten." Manchmal sei so viel davon im Wasser, dass er und sein Team den Grund nicht mehr sehen können.

Romeo wünscht sich, dass alle verantwortungsvoller mit Abfällen umgehen. "Wenn dir Müll auf den Boden fällt, dann heb ihn auf, sonst landet er irgendwann im Meer." Als Teil des Projekts "Upcycling the Oceans" will er ein Bewusstsein für das Problem schaffen. Auch wenn es wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, wie er sagt. "Wenn wir morgen rausfahren, werden wir wieder Plastik im Meer sehen. Aber immerhin ist das, was wir gefangen haben, nicht länger da."

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