1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Online-Dating: Wie Bisexuelle unsichtbar gemacht werden

Die Corona-Pandemie verlieh dem Online-Dating Aufwind. Doch was, wenn Menschen Frauen und Männer kennenlernen wollen? Zumindest auf den großen und zahlungspflichtigen Vermittlungsportalen ist das für Bisexuelle nicht möglich. Sie müssen sich für ein Geschlecht entscheiden. Wer das nicht will, muss sich zwei Profile anlegen, sich also als hetero- und homosexuell ausgeben und zusätzliche Kosten tragen. Damit werden User dazu gedrängt, ihre bisexuelle Orientierung unsichtbar zu machen.

"Wir sind uns durchaus bewusst, dass unser Service augenblicklich nicht die gesamte Bandbreite sexueller Vorlieben optimal berücksichtigen kann", sagt Lisa Pernkopf von Elitepartner. Einen konkreten Lösungsansatz, um das zu ändern, gibt es nicht.

Diese Diskriminierung auf Partnerbörsen spiegelt ein Problem wider, das tief in der Gesellschaft verankert ist: "Egal, mit wem ich in einer Beziehung bin – es wird sofort angenommen, dass ich entweder hetero- oder homosexuell bin. Ich muss mich immer wieder outen und erklären, wenn ich will, dass Bisexualität sichtbar wird", sagt JD, Gründungsmitglied des Wiener Vereins VisiBi*lity.

Bei einer 2017 durchgeführten Statista-Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen von Bisexuellen gaben 82,1 Prozent der rund 3.000 Befragten an, dass sie als heterosexuell wahrgenommen wurden. Dabei ist die Definition nicht sonderlich komplex: Wer sich zu seinem eigenen Geschlecht und zu anderen – möglicherweise auch nichtbinären – Geschlechtern hingezogen fühlt, gilt als bisexuell.

Partnersuche ohne Geschlechtergrenzen

Was führt zu sogenanntem bi-erasure, also der Unsichtbarmachung von Bisexuellen? "Oft wird angenommen, dass bisexuelle Menschen sich nicht entscheiden und keine langfristige monogame Partnerschaft eingehen können oder wollen. Das ist natürlich Unsinn. Ob jemand seine Beziehung monogam, polyamorös oder offen leben möchte, ist nicht an seine bisexuelle Orientierung gekoppelt. Auch homo- oder heterosexuelle Menschen haben solche Vorlieben", sagt der Psychologe Guido F. Gebauer. Er definiert diese Vorurteile als Grund für die Ausgrenzung von Bisexualität auf Dating-Portalen.

Als Mitgründer der deutschsprachigen Partneragentur Gleichklang will der Psychologe eine Partnervermittlung über Geschlechtergrenzen hinweg ermöglichen. Rund zehn Prozent der Nutzerinnen und Nutzer deklarieren sich dort explizit als bisexuell.

Gebauer nimmt an, dass die geringe Sichtbarkeit in der Gesellschaft wechselseitig dazu führt, dass sich auch auf der Plattform nicht alle bisexuellen User als solche outen. "Deshalb erfragen wir neben der eigenen Orientierung auch, ob der gesuchte Partner oder die gesuchte Partnerin bisexuell sein darf. Durch diese Akzeptanz für bisexuelle Orientierungen kann die Partnersuche offener und entspannter werden – auch für Menschen, die sich noch nicht geoutet haben oder ihre sexuelle Identität nicht festlegen wollen."

Doppelte Diskriminierung

Bi-erasure findet nicht nur in der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft statt. Auch von Homosexuellen sehen sich bisexuelle Menschen mit Vorurteilen und Stigmatisierung konfrontiert: "Ich habe das Gefühl, monosexuelle Menschen tun sich schwer damit, es nachzuvollziehen, dass man sich auch zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen kann. Hier gibt es eine doppelte Diskriminierung", sagt JD. Seit dreieinhalb Jahren organisiert VisiBi*lity als Verein regelmäßige Stammtische zum Erfahrungsaustausch und Community-Building in Wien. "Das war auch für mich am Anfang enorm wichtig."

Wie wertvoll eine eigene bisexuelle Community ist, zeigt sich auch bei der Stigmatisierung innerhalb queerer Kreise. JD: "Sind Bisexuelle in scheinbar heterosexuellen Beziehungen, werden sie oft aus der Community ausgegrenzt. Sie sind dann nicht queer genug. Deshalb trauen sich viele bisexuelle Menschen wohl nicht, den Platz einzunehmen, der ihnen zusteht, und laut zu werden." Einen wichtigen Schritt in Richtung Sichtbarkeit hat VisiBi*lity 2016 gesetzt, indem die Gruppe – damals noch kein Verein – als erste offizielle bisexuelle Fraktion bei der Vienna Pride vertreten war.

Manche Menschen verstecken sich aus Angst vor den Folgen eines Outings ein Leben lang. Andere wiederum zerbrechen unter dem enormen Druck, den eine doppelte Diskriminierung mit sich bringt. So kam eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2017 zu dem Ergebnis, dass für Bisexuelle ein höheres Risiko dafür besteht, psychisch zu erkranken und unter Depressionen oder Angstzuständen zu leiden.

Zwischen Vorurteilen und Fetisch

Wo bleibt die Toleranz, wenn es darum geht, dass jeder Mensch lieben und begehren kann, wen er möchte? Auch auf Online-Dating-Portalen wie Tinder oder Ok Cupid, auf denen viele Bisexuelle aktiv sind, werden sie oft mit mehr Vorurteilen als Solidarität konfrontiert, sagt JD. "Offensichtlich diskriminierend war ein Profil einer lesbischen Frau, in dem 'keine Bisexuellen' stand."

Während manche queeren Personen Bisexualität als nicht eindeutig genug empfinden, nehmen andere heterosexuelle User die Orientierung gar als Fetisch wahr. In beiden Fällen sieht JD den Grund in der patriarchalen Prägung unserer Gesellschaft und dem male gaze – also dem männlichen Blick – auf die Dinge: "Schaut man sich die Vorurteile über Bisexuelle an, heißt es bei Frauen, sie machen es für die Aufmerksamkeit der Männer. Männern wird unterstellt, sie sind schwul und trauen sich das nicht zu sagen." In beiden Fällen stehe die männliche Perspektive im Vordergrund.

Wer Dating-Apps wie Tinder nutzt, sucht nicht zwangsläufig eine langfristige Partnerschaft. Manche User wollen Sex, andere wischen auf der Suche nach Selbstbestätigung nach links und rechts. Solange bei der Partnersuche alle die gleichen Möglichkeiten haben, ist das kein Problem.

Indem große Dating-Portale Bisexuelle ausgrenzen, unterstützen diese jedoch bi-erasure und gängige Vorurteile in Richtung Promiskuität. Es werde hinterfragt, ob Menschen mit dieser sexuellen Orientierung an einer ernstzunehmenden, langfristigen Beziehung interessiert sein können, sagt Guido F. Gebauer: "Nach dem Motto: Sexuell ist das schon in Ordnung, aber partnerschaftlich spielt das keine Rolle."

Damit Bisexualität nicht mehr nur als sexuelle Vorliebe eingeordnet und in der Gesellschaft sichtbar wird, brauche es das organisierte Interesse von Menschen mit dieser Orientierung, sind sich Gebauer und JD einig. Gebauer: "Um irgendwann auch Beziehungsformen jenseits der traditionellen Zweiermodelle anzuerkennen." (Nina Horcher, 20.12.2020)


Infos:

Partneragentur Gleichklang

Verein VisiBi*lity

Zum Original