Nina Himmer

Freie Journalistin, München

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Artikel

Selbsttests auf Lebensmittelunverträglichkeiten

Kleiner Test, große Klarheit: Mit diesem Versprechen werben die Anbieter von Selbsttests auf Lebensmittelunverträglichkeiten. Doch die Ergebnisse haben keine medizinische Aussagekraft – und können die Gesundheit sogar gefährden


Ein Picks in den Finger, ein Tropfen Blut auf einem Teststreifen und eine Analyse im Labor - mehr braucht es angeblich nicht, um Lebensmittelunverträglichkeiten auf die Spur zu kommen. Im Anschluss bekommt der Testwillige eine Liste mit allen Nahrungsmitteln, die er nicht verträgt und deshalb besser weglassen sollte. Und zack, gehören Verdauungsprobleme und Gesundheitsbeschwerden der Vergangenheit an.

Klingt zu schön, um wahr zu sein? „Ist es auch nicht", sagt Stephan Bischoff, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Dass das Geschäft mit Selbsttests auf Lebensmittelunverträglichkeiten trotzdem boomt, macht dem Mediziner Sorgen. Er selbst behandelt immer häufiger Menschen, die sich strikt an die Empfehlungen solcher Tests halten und deshalb gesundheitliche Probleme bekommen: „Die Liste der angeblichen Unverträglichkeiten ist oft lang und umfassend. Lässt man alles weg was darauf steht, können Mangelerscheinungen entstehen."

Ein problematischer Parameter: IgG-Tests

Das ist umso problematischer, weil die Testergebnisse keinerlei medizinische Aussagekraft haben und wertvolle Lebensmittel wie Obst, Getreide und Gemüse völlig willkürlich vom Speiseplan gestrichen werden. „Die meisten Selbsttests funktionieren auf Grundlage sogenannter Immunglobulin-G-Antikörper-Tests. Das sind Eiweiße, die zur körpereigenen Abwehr gehören und die sich im Blut jedes Menschen nachweisen lassen", sagt Bischoff. Es gibt sie tatsächlich und man kann sie auch zuverlässig messen - aber zum einen haben sie auch völlig gesunde Menschen im Blut und zum anderen lassen sie nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft keinerlei Aussage über das Vorhandensein einer Allergie zu, weil es keine Grenzwerte gibt, mit denen sich zwischen gesund und krank unterscheiden ließe. Die Daten werden für die Selbsttests also bewusst falsch und unwissenschaftlich interpretiert: „Ginge es nach diesen Tests, wären nahezu alle Menschen Allergiker", sagt Bischoff.

Die Realität aber sieht anders aus. Experten gehen davon aus, dass etwa vier Prozent der Erwachsenen in Deutschland tatsächlich unter einer Lebensmittelallergie leiden. Häufiger sind mit rund 15 Prozent nicht-allergische Unverträglichkeiten, die sich zum Beispiel durch Bauchschmerzen, Übelkeit, Blähungen, Aufstoßen oder seltener auch durch Erbrechen äußern können. „Es gibt zwei Arten von Unverträglichkeiten: allergische und nicht-allergische", erklärt Imke Reese, die in München eine Praxis für Ernährungstherapie betreibt und sich in der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie engagiert (DGAKI).

Bei einer allergischen Reaktion handelt es sich um eine immunologische Erkrankung, die sich in einer Überreaktion der körpereigenen Abwehr äußert - etwa bei einer Allergie gegen Nüsse. Bei einer nicht-allergischen Unverträglichkeit hingegen hat der Körper Probleme mit der Aufnahme, dem Abbau oder dem Transport bestimmter Stoffe, etwa aufgrund eines fehlenden Enzyms. In diese Kategorie fallen Unverträglichkeiten wie Laktoseintoleranz oder Fructosemalabsorption. Welcher Mechanismus hinter der häufig vermuteten Unverträglichkeit gegenüber Histamin steht, ist dagegen unklar. Für die Diagnose und insbesondere für die Therapie ist der Wirkmechanismus allerdings ein wichtiger Unterschied.

IgG-Tests: Offensive Werbung trifft auf verunsicherte Patienten

Ein Unterschied, den Selbsttests nicht machen. „IgG-Befunde liefern keine Aussage bezüglich Unverträglichkeiten, sondern lediglich darüber, was der Körper kennt", sagt Reese und verweist auf die entsprechende Leitlinie der allergologischen Fachgesellschaften. Darin heißt es: „IgG4-Antikörper gegen Nahrungsmittel sind nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Indikator für krank machende Vorgänge misszuverstehen, sondern Ausdruck der natürlichen Immunantwort des Menschen nach wiederholtem Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen. Daher ist der allergenspezifische Nachweis von IgG- oder IgG4 -Antikörpern gegen Nahrungsmittel zur Abklärung und Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ungeeignet und strikt abzulehnen."

Gerade Reizdarm-Patienten wird oft gesagt, dass man da eben nichts machen könne. Das ist nicht nur falsch, sondern verursacht auch viel Frust und Leidensdruck.

Stephan Bischoff, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim

Das Papier stammt aus dem Jahr 2009 ist damit schon etwas älter. Der Inhalt ist jedoch nach wie vor aktuell und wird von allen relevanten Fachgesellschaften unterstützt. In Kürze wird eine aktualisierte Version erscheinen, in der sich an dieser Einschätzung nichts geändert hat. Bereits 2010 zeigten placebokontrollierten Studien, dass es keine Korrelation zwischen nahrungsmittelspezifischem IgG oder IgG4 und einer Nahrungsmittelallergie gibt. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hat sich seitdem nicht wesentlich verändert. Was sich hingegen durchaus verändert hat, ist die Darstellung der Tests in der Öffentlichkeit: Sie werden offensiv beworben, meist im Kontext eines bewussten und gesundes Lebensstiles und oft in sozialen Netzwerken wie Instagram.

Das stößt auf durchaus fruchtbaren Boden, denn viele Menschen sind überzeugt, dass sie eine Unverträglichkeit haben. Einer Umfrage der Berliner Charité zufolge glaubt mehr als ein Drittel der Befragten, unter einer Lebensmittelallergie oder einer Unverträglichkeit zu leiden. Deutlich mehr, als die tatsächlichen Zahlen hergeben.

Hinzu kommt, dass eine seriöse Diagnostik aufwendig und langwierig sein kann. „Das schürt eine gewisse Sehnsucht nach schnellen und einfachen Antworten auf gesundheitliche Beschwerden", vermutet Stephan Bischoff. Die Ärzteschaft sei daran nicht ganz unschuldig: „Gute Fachärzte, die Beschwerden ernst nehmen und eine solide Nahrungsmittelallergiediagnostik durchführen können, gibt es nicht an jeder Ecke", sagt er. Auch würden andere Auslöser von Verdauungsbeschwerden, etwa eine Dysbiose, also ein Ungleichgewicht der Darmflora, oft nicht erkannt oder Patienten mit Diagnosen wie Reizdarm abgespeist. „Gerade Reizdarm-Patienten wird oft gesagt, dass man da eben nichts machen könne. Das ist nicht nur falsch, sondern verursacht auch viel Frust und Leidensdruck." Es komme also nicht von ungefähr, dass die Selbsttests aus dem Internet oder vom Heilpraktiker immer populärer werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sieht diese Entwicklung mit Sorge und widmete dem Thema im Mai dieses Jahres einen großen Artikel für Beratungsfachkräfte. Nicht zuletzt, weil sich viele Anbieter inzwischen nicht mehr auf den Verkauf der bis zu 500 Euro teuren Tests beschränken, sondern auf Basis der Testergebnisse auch Diätprodukte und Nahrungsergänzungsmittel vertreiben. „Es sollte Patienten immer skeptisch machen, wenn ein Test als Basis für Produktverkäufe genutzt wird", warnt die Münchner Ernährungstherapeutin Imke Reese. Antje Gahl von der DGE sieht das ähnlich: „Die Selbsttests führen oft zu unnötigen Pauschaldiäten, die nicht nur zu einer verminderten Lebensqualität, sondern schlimmstenfalls auch zu einer Unterversorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen führen können".

Auch Verbraucherschützer warnen

Wie real dieses Risiko ist, zeigen nicht nur die vielen Patientenfälle, von denen Mediziner wie Bischoff berichten. Auch Verbraucherschützer warnen vor den Tests. Das österreichische Verbrauchermagazin „ Konsument" etwa testete 2017 zehn Allergietests an zehn unterschiedliche Probanden. Fast alle ergaben Unverträglichkeiten, obwohl die Personen nach dem Verzehr der vermeintlich kritischen Lebensmittel keinerlei Beschwerden hatten. Eine schwere Laktoseintoleranz wurde dafür nicht erkannt. Auch die Einschätzung des deutschen Bundesverbandes Verbraucherzentrale fällt knapp, aber eindeutig aus: „IgG-Tests eignen sich nicht, um Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten festzustellen."

Die DGE macht sich deshalb für Aufklärung in Sachen Allergiediagnostik stark. „Die Menschen müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass es einen Einzeltest auf Unverträglichkeiten gibt. Seriöse Allergiediagnostik funktioniert anders - eher wie ein Puzzle", sagt Antje Gahl.

Mühsam, aber nötig: Seriöse Diagnostik

Zu diesem Puzzle gehören zum Beispiel Tests auf Immunglobulin E (IgE). Das sind Eiweiße, die körperfremde Stoffe abwehren und sich als wichtiger Laborparameter bei der Diagnose von Allergien bewährt haben. Allerdings gilt selbst dafür, dass der Test allein nur beschränkte Aussagekraft hat. Er dient vielmehr als Basis, um nach klinisch relevanten, auslösenden Allergenen in der Ernährung zu suchen - etwa durch zusätzliche Provokationstests und eine ausführliches Patientengespräch zu Lebens- und Essgewohnheiten sowie Vorerkrankungen.

Die Diagnose einer Unverträglichkeit durch einen Facharzt ist ja schon schwierig, wie soll da ein Schnelltest verwertbare Ergebnisse bringen?

Sonja Lämmel, Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB)

„Bei der Diagnose sollten Allergologen und Ernährungsfachkräfte eng zusammenarbeiten", sagt Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). Sollte der Ausschluss bestimmter Lebensmittel tatsächlich nötig werden, müsse ein individueller Ernährungsplan erstellt werden - einer, der das Risiko von Mangelerscheinungen berücksichtige. „Pauschale Listen oder Empfehlungen können das nicht ersetzen. Menschen mit einer Unverträglichkeit sollen auf jeden Fall eine individuelle Ernährungsberatung in Anspruch nehmen. Nur so kann für den Einzelnen trotz Einschränkungen eine abwechslungsreiche und ausgewogenen Ernährung gewährleistet werden", rät Ernährungswissenschaftlerin Lämmel.

Über die Selbsttests und ihre langen Listen mit Nahrungsmittelverboten kann auch sie nur den Kopf schütteln: „Die Diagnose einer Unverträglichkeit durch einen Facharzt ist ja schon schwierig, wie soll da ein Schnelltest verwertbare Ergebnisse bringen?"

Stephan Bischoff rät allen Patienten mit Verdauungsbeschwerden, einen guten Facharzt aufzusuchen. Oft stecke gar keine Unverträglichkeit, sondern etwas ganz anderes dahinter. Und noch einen Tipp hat er für alle, die mit eine Selbsttest liebäugeln: „Gehen Sie stattdessen lieber schick essen. Da ist das Geld besser investiert."

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