Nina Himmer

Freie Journalistin, München

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Juristen in Bundesbehörden: Mit vollem Einsatz

Nina Lehmann stolperte während einer Zugfahrt über ihren Traumjob: Eine Stellenanzeige in der Zeitung, in der das Innenministerium nach Juristen für seine Behörden suchte - darunter das Bundeskriminalamt. „Mir war sofort klar, dass ich diese Chance nutzen will", sagt die 34-Jährige, die damals bei einer Großkanzlei in Frankfurt am Main arbeitete. „Ich war zufrieden dort, aber ich wollte etwas Sinnvolles für die Allgemeinheit machen." Sie ist in der Nähe der Behörde aufgewachsen, der Vater einer Freundin war dort Ermittler, der Schwager ihrer Oma arbeitete einst in der Waffenkammer. „Schon seit dem Studium wollte ich im Bereich Strafverfolgung arbeiten. Natürlich gehörte auch das BKA zu meinen Wunscharbeitgebern." Doch die Hürden für den Einstieg bei der Verbrechensbekämpfung sind hoch. Zwar sucht die Behörde regelmäßig Juristen, und ihr Anteil im höheren Dienst entspricht rund 22 Prozent. Doch auf eine freie Stelle kommen schnell Hunderte Bewerber. Entsprechend hart ist das Auswahlverfahren. Lehmann ließ sich davon nicht abschrecken: Als sie die Bewerbungsunterlagen ausfüllte und dabei ihre bevorzugten Behörden angeben sollte, schrieb sie in alle drei Felder dick „BKA".

Fünf Jahre später muss sie über diese Geschichte lächeln. Die Gruppen- und Einzelgespräche, ein Gesundheitscheck und das berüchtigte Assessmentcenter liegen lange hinter ihr, heute ist sie Verwaltungsbeamtin und stellvertretende Leiterin der BKA-Pressestelle. Braucht man dafür ein Jurastudium? „Mit klassischer Juristerei hat meine derzeitige Arbeit wenig zu tun", sagt Lehmann. Untypisch sei das aber nicht: Zwar warten im Bundeskriminalamt vielfältige Aufgaben auf Rechtswissenschaftler, doch strukturiertes Denken, Team- und Organisationsfähigkeit sind dabei oft wichtiger als Paragraphen und Gutachten. „Darauf sollte man gefasst sein", sagt Lehmann. Für geborene Anwälte und spezialisierte Starjuristen sei das BKA nicht der richtige Ort, zumal junge Referenten alle zwei Jahre nach dem Rotationsprinzip das Referat wechseln. Lehmann etwa hat im Bereich Datenschutz angefangen, dort Gutachten verfasst und die Abteilungen und die Amtsleitung rechtlich beraten. Danach schrieb sie zwei Jahre lang Reden für den Präsidenten der Behörde, bevor sie in die Pressestelle wechselte. Was danach kommt, weiß sie noch nicht. Internationale Fahndungen unterstützen? Budgets berechnen? Oder doch wieder juristisch arbeiten? Lehmann zuckt mit den Schultern. „Ich mag Abwechslung und die Herausforderung, mich immer wieder neuen Aufgaben zu stellen und die eigene Komfortzone zu verlassen."

Herzblut für die Polizeiarbeit

Solche Sätze hören Personaler im öffentlichen Dienst gern. „Wir brauchen hier Mitarbeiter, die sich der Sache verpflichtet fühlen, flexibel einsetzbar und bereit sind, Personalverantwortung zu übernehmen", sagt BKA-Sprecherin Sandra Clemens und erklärt, dass es für Juristen zwei Wege in die Behörde gibt: die Verwaltungs- und die Vollzugslaufbahn. Beide führen über mehrstufige Bewerbungsverfahren und zielen auf künftige Führungskräfte ab. „Vollzugsbeamte werden später beispielsweise bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder in der Terrorabwehr eingesetzt, kümmern sich um die Auswertung von polizeilichen Informationen oder besetzen Schnittstellen zu Euro- oder Interpol", sagt sie. Verwaltungsbeamte hingegen würden eher in Personal-, Haushalts- oder Beschaffungsbereichen, in der Rechtspolitik oder im hauseigenen Justitiariat eingesetzt. Starre Regeln gibt es dabei nicht: „Wir besetzen Stellen nach individueller Eignung und Erfahrung", sagt Clemens. Am Ende zählt vor allem Herzblut für die Polizeiarbeit, auch wenn diese für Juristen häufig am Schreibtisch stattfindet. „Wenn G20-Gipfel ist oder ein Terroranschlag einen Berliner Weihnachtsmarkt trifft, redet hier niemand von frühem Feierabend oder Urlaub - es sind einfach alle da und bringen vollen Einsatz", sagt Clemens und fügt hinzu: „Persönliche Eignung ist für uns wichtiger als ein Prädikatsexamen."

Ein Satz, dem sich Michael Rottmann sofort anschließen würde. Der Verwaltungsleiter der Bundesnetzagentur ist ständig auf der Suche nach Juristen für seine Behörde, denn durch die Energiewende und den europäischen Stromhandel ist der Bedarf an Verhandlungsgeschick und rechtlichem Knowhow gestiegen. Die Bundesnetzagentur ist für den Ausbau der Stromnetze und der Internetbreitbandversorgung zuständig, aber auch für den Bahnverkehr, Postlieferungen und die Energieversorgung. „Wir suchen offene und flexible Bewerber, die interdisziplinär arbeiten können und Lust haben, wechselnde Aufgaben und viel Verantwortung zu übernehmen", sagt Rottmann. Typische Juristenreservate gebe es bei der Bundesnetzagentur allerdings nicht; alle müssten mit einer Vielzahl von Kollegen aus anderen Fachrichtungen zusammenarbeiten. „Das ist wichtig, denn unser Mandat ist das öffentliche Interesse."

Attraktiver Arbeitgeber Staat

Dass die meisten Bundesbehörden bei der Einstellung nicht nur auf die Abschlussnoten schielen, kommt sicher vielen Absolventen entgegen. Doch dass Bundesbehörden in Rankings Spitzenpositionen belegen und dabei selbst renommierte Kanzleien auf die Plätze verweisen, hat noch andere Gründe: die Privilegien des Beamtenstatus, flexible Arbeitszeiten, wechselnde Aufgaben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine gute Work-Life-Balance zum Beispiel. Auch das Arbeiten in einem internationalen Kontext ist für viele Berufseinsteiger attraktiv und durch den Einfluss der Europäischen Union auf deutsche Behörden oft möglich. Abstriche machen müssen Behörden-Juristen hingegen beim Gehalt und mitunter bei den Aufstiegsmöglichkeiten - Planstellen im öffentlichen Dienst sind rar. Dafür bieten Behörden auch Absolventen eine Perspektive, die sich im Anwaltsberuf nicht richtig zu Hause fühlen, besonders unabhängig arbeiten wollen oder ungewöhnliche Kompetenzen und Interessen mitbringen.

Die 30-jährige Jenny Gorenstein zum Beispiel stellte schon im Referendariat fest, dass ihr die klassische Kanzleiarbeit nicht liegt. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zunächst beim Bundesverkehrsministerium und bewarb sich dann bei der Bundesnetzagentur. Dort kümmert sie sich nun um energierechtliche Fragen. „Mich reizt die Schnittstelle zwischen Politik und Jura und die Tatsache, dass man nicht für Mandanten, sondern für eine Sache arbeitet", sagt sie. Im energierechtlichen Grundsatzreferat schreibt sie Gutachten zur Gesetzesauslegung, brieft Kollegen aus anderen Fachrichtungen in rechtlichen Fragen oder arbeitet an Positions­papieren der Behörde mit. Dass sie damit politische und wirtschaftliche Entwicklungen in Deutschland ein Stück weit mitgestalten kann, ist für sie wie für viele junge Juristen ein wichtiger Anreiz.

Enger Kontakt nach Brüssel

Zu ihnen gehört auch Tobias Brenner, der sich für eine Karriere beim Bundeskartellamt entschieden hat. Die Behörde befasst sich mit dem Schutz des Wettbewerbs, deckt Kartelle auf und prüft Fusionen, um Monopolstellungen von Unternehmen zu verhindern. Im Gegensatz zur Arbeit in vielen anderen Behörden ist diese beim Kartellamt genuin juristisch - für den promovierten Juristen Brenner ein ausschlaggebender Punkt. „Ich kann hier fachlich auf höchstem Niveau arbeiten, bei wichtigen Fällen und bei Gesetzgebungsprozessen mitwirken", sagt er. Zwar sei viel ökonomisches Fachwissen nötig, doch sein Arbeitsalltag wird von juristischen Fragestellungen dominiert. Seinen Einstieg beim Kartellamt absolvierte er in einer Beschlussabteilung, wo er insbesondere Fusionen geprüft hat. Dazu musste er zunächst alle nötigen Informationen ermitteln, indem er mit Branchenvertretern telefonierte, Zahlen und Gutachten prüfte und Sachverhalte recherchierte. Auf dieser Grundlage wurde dann entschieden, ob ein Zusammenschluss freigabefähig ist oder nicht. Aktuell arbeitet der 33-Jährige im Grundsatzreferat für deutsches und europäisches Kartellrecht und hat oft in Brüssel zu tun. Dort trifft er Vertreter der anderen europäischen Kartellbehörden und bespricht aktuelle Fälle oder neue Rechtsnormen. Für ihn eine spannende Aufgabe: „Mich reizt es, in einem aktuellen und sich ständig verändernden Rechtsgebiet zu arbeiten, das überdies Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht in sich vereint", sagt er. Schon im Studium legte Brenner entsprechende Schwerpunkte, entschied sich im Referendariat für eine Wahlstation beim Kartellamt und dissertierte zu Kronzeugenregelungen im Kartellrecht. „Mein Vorwissen ist für die Arbeit hier sehr hilfreich, aber für den Einstieg nicht zwingend nötig", sagt er. Durchaus zwingend für die Arbeit beim Kartellamt ist hingegen ein Prädikatsexamen. Damit hätten Brenner viele andere Wege offengestanden, doch mit seiner Wahl ist er glücklich: „Natürlich kann man anderswo mehr verdienen. Hier ist aber nicht nur die Work-Life-Balance besser, sondern ich kann vor allem mehr eigene Entscheidungen treffen und so die ökonomische Realität in Deutschland mitgestalten."

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