Nina Himmer

Freie Journalistin, München

11 Abos und 34 Abonnenten
Artikel

Verhütung für Männer: Neue Ansätze

Trotz jahrzehntelanger Forschung ist Verhütung noch immer Frauensache. Neue Hoffnung wecken jetzt hormonfreie Methoden für Männer, um die Spermien zu stoppen

von Nina Himmer, 19.06.2017

Die Zukunft wiegt zwei Gramm, ist so groß wie ein Gummibärchen und funktioniert auf Knopfdruck - zumindest, wenn es nach Clemens Bimek geht. Er hat ein Ventil erfunden, das den Fluss von Spermien durch die Samen­­leiter steuern und so unsere Verhütung revolutionieren soll.

Das Prinzip ist einfach: Bei geöffnetem Ventil können die Spermien die Samenleiter ungehindert passieren. Ist es geschlossen, werden sie in den Körper abgeleitet - statt ihn mit dem Ejakulat zu verlassen. Auf diese Weise kann man die Fruchtbarkeit an- und ausknipsen. "Die Ventile werden in den Hodensack implantiert, umschließen beide Samenleiter und lassen sich mit einem durch die Haut tastbaren Schalter bedienen", erklärt Professor Hartwig Bauer.

Welches Potenzial hat die Methode?

Der Münchner Urologe betreut die medizinische Entwicklung des Ventils, das bisher nur der Erfinder selbst trägt. Über die bisherigen Ergebnisse äußert sich Bauer zufrieden. "Die Spermiogramme zeigen, dass geschlossene Ventile eine zuverlässige Verhütung ermöglichen." Er hofft, dass es die Methode bis zur Markt­reife schafft und sich als Alternative zur Vasektomie, also der chirurgischen Durchtrennung der Samenleiter, etabliert.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Während Bauer an das Potenzial der Methode glaubt, zeigt sich der Rest der Fachwelt skeptisch. Wolfgang Bühmann vom Berufsverband Deutscher Urologen etwa räumt dem Ventil kaum Chancen ein. "Wenn mit Kunststoff an lebendem Gewebe hantiert wird, drohen Entzündungen, Vernarbungen oder Verklebungen der empfindlichen Samenleiter. Das erhöht das Risiko, dass die Fruchtbarkeit dauerhaft verloren geht", sagt er. Erst einmal müssten Studien zeigen, wie zuverlässig das Ventil tatsächlich funktioniert. Und dabei müsse sich die neue Technik an der sicheren Wirkung und einfachen Anwendung der Antibabypille messen lassen.

Nebenwirkungen beachten

Diese Messlatte liegt hoch. Seit der Einführung der "Pille" vor mehr als 50 Jahren dominiert sie unsere Verhütung. In Deutschland schlucken sie rund sieben Millionen Frauen - aber zu einem hohen Preis. Zum einen schaden die enthaltenen Östrogene unserer Umwelt, weil sie über das Abwasser in den Nahrungskreislauf gelangen. "Zum anderen ist die Einnahme der Hormone oft mit erheblichen Nebenwirkungen wie Thrombosen, ­ Migräne, Abnahme der Libido oder De­pres­sionen verbunden", sagt Bühmann.

Eine internationale Studie der Weltgesundheitsorganisation zur hormonellen Verhütung bei Männern wurde 2011 wegen ähnlicher Nebenwirkungen abgebrochen, die Teilnehmer klagten über Hautprobleme, Gewichtszunahme, Schwankungen bei Stimmung und Libido sowie Depressivität. "Alle zwei Monate erhielten die Männer eine Spritze mit Testosteron und Gestagen", sagt Professor Michael Zitzmann vom Zentrum für Reproduk­tionsmedizin an der Uniklinik Münster.

Hormongaben auch bei Männern problematisch

Zitzmann leitete den deutschen Teil der Studie und blickt mit gemischten Gefühlen zurück: "Bei 96 Prozent der Männer war die Wirkung so gut, dass es die Spritze mit der Pille hätte aufnehmen können. Andererseits kann ich als Forscher meine Patienten nicht weiterbehandeln, wenn sie sich schlecht fühlen und aufhören wollen."

So gesehen war die Studie Erfolg und Misserfolg gleichermaßen. Dass ihr Abbruch gerade bei Frauen auf Unverständnis trifft, kann Experte Zitzmann verstehen. "Unter heutigen Bedingungen wäre die Antibabypille aufgrund ihrer Nebenwirkungen wohl niemals zugelassen worden. Aber in den 60er-Jahren war das einfach kein Thema."

Keine Pille für den Mann absehbar

Tatsächlich sind strenge Zulassungsverfahren ein wichtiger Grund für das zögerliche Vorankommen bei Verhütungsmöglichkeiten für den Mann. Da erst seit rund 40 Jahren dazu geforscht wird, müssen die Ergebnisse anspruchsvolleren Vorgaben genügen, als es bei der Pille der Fall war.

"Natürlich müssen wir uns der Frage stellen, ob es gerecht ist, dass Frauen mehr Nebenwirkungen auf sich nehmen sollen als Männer", so Zitzmann. Fest steht: Die Pille oder Spritze für den Mann wird es so schnell nicht geben. Die Experten sind sich einig: Der Abbruch der WHO-Studie war ein Rückschlag für die Forschung.

Auf die Spermienbremse treten

Immerhin: Alternativen zur hormonellen Verhütung für den Mann haben durch das Ende der Studie an Bedeutung gewonnen. Neben dem Samenleiterventil sind aktuell noch zwei weitere Methoden in Arbeit. Als heißer Kandidat gilt TSSK2. Das in den Hoden produzierte Enzym regelt die Beweglichkeit der Spermien in der Samenflüssigkeit. Forscher der Universität von Virginia (USA) konnten es 2016 erstmals isolieren und Wirkstoffe zu seiner Blockade testen.

Gelingt es, die Beweglichkeit der Spermien einzuschränken, könnten Männer vorübergehend unfruchtbar werden. "Ein spannender Ansatz", findet Urologe Bühmann. Denn er imitiere ein natürliches Phänomen. Zähe Samenflüssigkeit sei nämlich eine häufige Ursache, wenn Männer keinen Nachwuchs zeugen können. Doch ob dieses Verfahren die ersehnte Pille für den Mann liefern wird, ist völlig unklar - bisher wurde der Enzymblocker nur an Mäusen getestet.

Gelpfropf als Samenfilter

Ein sogenanntes Polymer-Gel aus den USA ist da schon weiter. Die Substanz steht kurz vor den ersten Tests am Menschen und funktioniert wie ein Filter. Das Gel verstopft die Samenleiter so, dass es für die Samenflüssigkeit durchlässig ist, nicht aber für den Samen selbst. Kalifornische Wissenschaftler haben die in Indien erfundene Methode weiterentwickelt und das Gel in den vergangenen Jahren an Tieren getestet - mit beachtlichem Erfolg, wie sie im Fachmagazin Basic and Clinical Andrology berichteten.

Der Clou des Gels: Es soll wieder aufge­löst werden können, falls doch ein Kinderwunsch besteht. Dass Verhütungsmaßnahmen sich zuverlässig rückgängig machen lassen, ist neben Verträglichkeit und Sicherheit der wichtigste Punkt. Laut Zitzmann scheitert das Gel aber möglicherweise genau daran: "Es könnte zu Entzündungen und irreversiblen Verschlüssen des Neben­hodens kommen." Der Reproduk­tionsmediziner sieht außerdem die Gefahr, dass sich Antikörper gegen die im Neben­hoden aufgestauten Spermien bilden.

Industrie hat kaum Interesse

Auch der dritte Kandidat im Rennen um die männliche Verhütung weckt unter Experten also keineswegs Euphorie. Ein Blick auf die Finanzierung des Projekts durch Spenden und von dritter Seite offenbart ein weiteres Problem. Die Pharmahersteller haben kaum Interesse an der Entwicklung neuer Verhütungsmittel.

"Die Chancen für die Markteinführung stehen schlecht, und das Geschäft mit der Pille für Frauen ist lukrativ", sagt Bühmann. Die Befürchtung, dass nur wenige Männer umständliche Arten der Verhütung nutzen würden und sich dabei von Nebenwirkungen abschrecken lassen könnten, dämpft das Interesse von Industrie und Geldgebern zusätzlich.

Weiteres Umdenken notwendig

Damit die Forschung endlich mehr Fahrt aufnehmen kann, wäre ein gesellschaft­liches Umdenken nötig. Die Ansicht, Verhütung sei allein Frauensache, entspringt zwar einem völlig veralteten Rollenbild - hält sich aber hartnäckig. Soziologen und Genderforscher kritisieren, dass in der medizinischen und pharmazeutischen Forschung mit zweierlei Maß gemessen werde. Was Frauen jahrzehntelang selbstverständlich in Kauf nehmen mussten und noch heute müssen, will den Männern niemand zumuten. "Aus der Luft gegriffen ist dieser Vorwurf nicht", findet Bühmann.

Immerhin ärgern sich darüber auch zunehmend die Männer selbst. Bühmann: "Viele von ihnen wollen ihren Teil zur Familienplanung beitragen und sind offen für neue Möglichkeiten."

Lesen Sie auch:
Zum Original