Christoph Waltz spielt in "The Consultant" einen düsteren Unternehmensberater, der eine finanziell angeschlagene Firma mit bizarren Methoden retten will. Gruseliger als er sind nur die devoten Mitarbeiter.
Wenn Christoph Waltz einen Unternehmensberater spielt, kann man sich ungefähr ausmalen, dass die Figur kein Hoodie-tragender, hipper Freigeist sein wird. Nein, in der Amazon-Serie »The Consultant« wird der Hoodie-tragende Unternehmer Sang-Woo, der Handygames entwickelt, gleich in den ersten Minuten aus dem Weg geräumt, und zwar von einem bewaffneten Grundschüler. Dann, das Blut an der Glasscheibe hinter Sang-Woos Schreibtisch ist noch nicht getrocknet: Auftritt Regus Patoff (Waltz). Offenbar eingestellt, um die Firma zu übernehmen. Man muss dem Mann nur in das verschlossene Gesicht blicken, um zu erahnen: Das Betriebsklima dürfte sich unter ihm radikal ändern.
Galt unter dem erst zwanzigjährigen Sang-Woo eine lässige, kalifornische Start-up-Kultur mit bunten LED-Wänden, Homeoffice und runden Sitzgelegenheiten an jeder Ecke, tritt nun der strenge, fingernagelknipsende Patoff mit Anwesenheitslisten auf den Plan und strukturiert die Firma grundlegend um. Bisher wurden psychisch erkrankte Mitarbeiter weiterhin bezahlt oder in den Erholungsurlaub geschickt. Patoff feuert große Teile der Belegschaft nun gnadenlos. Er kontrolliert Zahlen, Daten und Statistiken und spitzt in seinem Büro Bleistifte, die er fein ordentlich an seinem Schreibtisch anordnet.
Die Unberechenbarkeit des Regus Patoff
Dabei ist der Unternehmensberater maximal branchenfremd und macht daraus auch kein großes Geheimnis. Er ist an der reinen Wirtschaftlichkeit der Firma interessiert. Bei einer ersten Mitarbeiterversammlung verkündet er: »An diejenigen, die im Homeoffice arbeiten: Sie haben genau eine Stunde Zeit, um persönlich hier zu erscheinen, sonst werden Ihre Arbeitsverträge aufgelöst.« Hektisch gehen die Bildschirme aus, die Menschen strömen in die Firma. Eine Frau im Rollstuhl, die wenige Sekunden zu spät kommt, wird gnadenlos gefeuert. Patoff achselzuckend: »Es ist ja nicht so, als hätte sie keine Transportmöglichkeit«.
Diese Unberechenbarkeit ist einschüchternd. Auch hinsichtlich seiner Talente: Als die Mutter des verstorbenen CEO aus Südkorea anreist, um mehr über das Schicksal ihres Sohnes zu erfahren, kümmert sich Patoff um sie, da er (selbstverständlich) fließend Koreanisch spricht. Erinnerungen an die Sprachgewandtheit des von Christoph Waltz verkörperten SS-Standartenführers Hans Landa in Quentin Tarantinos Film »Inglorious Basterds« werden wach. Der ebnete sich auch durch eine stets beängstigend höfliche Sprache Zugang zu seinen späteren Opfern. Nicht die einzige Parallele.
Dabei liegt der wahre Horror aber nicht in der Figur des Unternehmensberaters, sondern in der Gefügigkeit der Mitarbeiter. Neben den beiden Mitarbeitern Craig und Elaine (Brittany O’Grady) gibt es niemanden, der sich Patoff widersetzt. Auch Elaine nicht, die nachts um drei ins Büro fährt, als Patoff sie herbeizitiert. Ein Mitarbeiter, an dem der Unternehmensberater schnüffelt und sich angewidert wegdreht, verschwindet gedemütigt in sein Büro, um sich dort mit einem Schwamm abzuwaschen. Statt diese Grenzüberschreitung zur Sprache zu bringen oder sich einen anderen Job zu suchen.
Wie weit gehen die Mitarbeiter?
Die von Tony Basgallop entworfene Serienwelt entlarvt auf beeindruckende Weise das falsche Versprechen einer neuen, liberalen und progressiven Arbeitskultur. Denn hinter den bequemen Sitzgelegenheiten und dem Gratisfrühstück bei Compware steckt ein tief kapitalistisches Wirtschaftssystem. Und wenn die sich freundlich grüßenden Mitarbeiter am Morgen wenige Stunden später um ein frei gewordenes Büro kämpfen, erinnert das in seiner Entmenschlichung und Radikalität vor allem an die Netflix-Serie »Squid Game«. Unweigerlich fragt man sich: Wie weit werden die Mitarbeiter gehen, um ihren Job zu behalten? Eine Frage, die sich auf den heutigen Arbeitsmarkt ummünzen lässt: Was sind wir in unsicheren Zeiten bereit, für einen, vermeintlich sicheren, Job zu leisten? Wie viel unbezahlte Mehrarbeit ist notwendig, um dem Chef zu gefallen?
Insofern unterscheidet sich die Serie zu Vergleichswerken wie »Severance«, in denen eine dystopische Arbeitswelt dargestellt wird. Wollen die Mitarbeiter hier etwas ganz Grundlegendes ändern und begreifen sich als gemeinsames Kollektiv gegen einen gemeinsamen Feind, wollen die Angestellten bei Compware vorrangig ihren Job behalten.
Jeder ist sich selbst der Nächste. Und alle unterwerfen sich dem Chef. Das macht diese Serie wirklich gruselig.